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Unglück: Ein wahr gewordener Albtraum

Unglück

Ein wahr gewordener Albtraum

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    Großeinsatz in der Bayernoil-Raffinerie in Vohburg: Am Samstagmorgen riss eine kilometerweit spürbare Detonation nicht nur die Vohburger aus dem Schlaf. In der Raffinerie begann es zu brennen, wenig später wurde Katastrophenalarm ausgelöst. 15 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen kamen ins Krankenhaus. Insgesamt waren 600 Rettungskräfte im Einsatz.
    Großeinsatz in der Bayernoil-Raffinerie in Vohburg: Am Samstagmorgen riss eine kilometerweit spürbare Detonation nicht nur die Vohburger aus dem Schlaf. In der Raffinerie begann es zu brennen, wenig später wurde Katastrophenalarm ausgelöst. 15 Menschen wurden verletzt, vier von ihnen kamen ins Krankenhaus. Insgesamt waren 600 Rettungskräfte im Einsatz. Foto: Lino Mirgeler, dpa

    Am Tag danach steht Rudolf Kolbe vor seinem Haus und hat schlechte Laune. Seinen Sonntag hat er sich anders vorgestellt. Seinen Samstag erst recht. Weiß Gott. Kolbes Haus liegt in Irsching (Landkreis Pfaffenhofen). Ein paar hundert Meter über die Äcker rüber ist die Bayernoil-Raffinerie. Der 62-jährige Rentner wohnt mit seiner Familie wohl am nächsten dran. Kolbe hatte in den vergangenen 24 Stunden eine Menge zu tun: das Garagentor schief, die Kellerfenster zerborsten, die Haustür zertrümmert, im Hausputz sind Risse. Kolbe ist an diesem Morgen damit beschäftigt, das Nötigste zu reparieren. Er hat schlecht geschlafen. Wenn er über den Daumen peilt, dann kostet ihn das alles vielleicht 10000 Euro. Trotzdem sagt Kolbe: „Wir haben noch Glück gehabt.“

    Ein sehr treffender Satz, den er genauso meint. Man hört ihn öfter an diesem Wochenende. Es ist 5.15 Uhr, als es am Samstagmorgen knallt wie noch nie. Kolbe steht im Bett. In der Raffinerie gegenüber hat es eine Explosion gegeben. Kein Erdbeben, wie manche denken, sondern eine heftige Explosion erschüttert das zu Vohburg gehörende Irsching und die ganze Region. Die Druckwelle ist noch bis ins 15 Kilometer entfernte Ingolstadt zu spüren. Es knallt, dann färbt sich der Morgenhimmel orange. Es ist ein weithin sichtbares helles Leuchten. In einer Prozessanlage am westlichen Rand der Raffinerie haben kurz vorher Gas-Sensoren Alarm gegeben. In diesem Teil der Raffinerie, einer Destillierkolonne, wird Flüssiggas verarbeitet. Kurz nach dem Sensoren-Alarm knallt es schon. 15 Menschen werden laut Bayernoil durch die Detonation verletzt, elf von ihnen leichter, vier kommen ins Krankenhaus. Wie durch ein Wunder gibt es keine Toten zu beklagen. Es bricht ein riesiges Feuer in den Anlagen aus. Ein Großeinsatz mit rund 600 Rettungskräften – Feuerwehr, Sanitäter, THW, Ärzte und die Polizei – läuft an. Er hält die gesamte Region bis in die Mittagsstunden in Atem.

    Am Tag danach steht Bayernoil-Geschäftsführer Michael Raue mit Helm und Schutzjacke vor der Raffinerie und zieht eine erste Bilanz. Hundert Meter von hier sind die Trümmer der Anlage. Raue sagt: „Den Verletzten geht es den Umständen entsprechend tatsächlich gut.“ Zwei hätten sogar schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden können. Es gebe aber auch Mitarbeiter, die „seelisch angegriffen“ und „schockiert“ von den Ereignissen seien. Um diese müssten sich Psychologen kümmern. 17 Personen waren in der Nachtschicht im Werk, als sich das Unglück ereignete. Raue sagt weiter: „Alle Feuer sind gelöscht, die Anlagen sind gesichert, die Sachverständigen tun ihre Arbeit und bemühen sich, Schadensursachen zu ermitteln.“ Und das Ausmaß der Zerstörung. Die genaue Summe könne man noch nicht beziffern, Raue bestätigt aber: „Es ist ein Millionenschaden.“ Ein Teil der Anlagen könne bald schon wieder in Betrieb gehen. Was vom Brand zerstört wurde, werde „Monate außer Betrieb sein“.

    Die Ingolstädter Kripobeamten und die Staatsanwältin im Bereitschaftsdienst stehen am Tag danach vor dem Bürocontainer an der Raffinerie, in dem gerade noch die Lagebesprechung läuft. Auch sie setzen nach einem langen Samstag ihre Arbeit fort. Ein Gutachter des Bayerischen Landeskriminalamtes begleitet sie. Das übliche Vorgehen. Die Kripo ermittelt in alle Richtungen, teilt die Pressestelle des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord mit. Mehr könne man so kurz nach dem Unglück nicht sagen. Dazu ist die Lage vor Ort noch zu unübersichtlich. Ein Schild warnt: „Gesperrte Gebäude nicht betreten.“ Daneben stehen mit Öl verschmierte Gummistiefel.

    Etwas näher dran öffnet sich fast das gleiche Bild wie am Vortag: Die Anlage ist übersät mit Metallteilen, die bei der Explosion weggesprengt wurden. Zwar weht kein beißender, schwarzer Rauch mehr vom Brandherd herüber, aber Feuergeruch liegt in der Luft. Dazu verrußte Türme, geborstene Fenster, kleine Splitter der von der Druckwelle zerstörten Autoscheiben. An einer Halle sind sogar ganze Wandstücke herausgeflogen.

    Ziemlich nahe der Explosionsstelle ist die Werksfeuerwehr untergebracht. Auch bei ihr schaut alles ziemlich ramponiert aus. Es gibt keine großen Brandherde mehr. Die sind alle gelöscht. Allerdings, so erklärt es Armin Wiesbeck, Kreisbrandrat im Landkreis Pfaffenhofen, würden am Sonntag noch „ganz kleine Produktreste, die jetzt noch in den offenen Leitungen sind, gezielt bei ganz kleiner Flamme abgefackelt. Das ist eine ganz übliche Vorgehensweise.“ Parallel dazu werde die Anlage gekühlt. Wasserschläuche weisen den Weg zum schwarz verkohlten Stahlgerippe, das von beiden Seiten bespritzt wird. Zugleich muss das Löschwasser wieder fortgeschafft werden. Schon am Samstag sind die Absaugwagen ununterbrochen gefahren.

    Am Tag danach steht Martin Schmid auf dem Parkplatz bei der Raffinerie und wirkt erleichtert. Der Erste Bürgermeister von Vohburg hat sich gerade ein Bild von der Lage gemacht und mit den Vertretern von Bayernoil gesprochen. Die Situation sei „unter Kontrolle“ resümiert er und sagt: „Es besteht keinerlei Gefahr mehr für Leib und Leben. Das ist das Wichtigste.“ Wie hoch die Schäden, vor allem im am heftigsten getroffenen Irsching seien, könne er nicht sagen. Er habe aber gerade im Gespräch mit den Bayernoil-Geschäftsführern angemahnt und darum gebeten, dass diese „schnell und unbürokratisch“ behoben werden. „Das ist mir auch versprochen worden.“ Schon Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hatte bei seinem Besuch an der Unglücksstelle am Samstag zugesagt, dass diese Schäden alle ersetzt würden: „Jeder Bürger kann sich darauf verlassen“, hatte Herrmann betont. Ab Montag können sich Betroffene, wenn sie dokumentiert haben, was kaputt ist, an ihre jeweilige Heimatgemeinde wenden. Von dort würden ihre Anliegen dann an Bayernoil weitergeleitet.

    Am Tag danach hat sich Galina Richter wieder etwas von dem Schrecken erholt. Sie ist die Nachbarin von Rudolf Kolbe und putzt gerade den Hauseingang. Am Samstagmorgen, um 5.15 Uhr, sei es so gewesen, als hätte ein riesiger Windstoß alle Türen und Fenster aufgerissen. Auch bei ihnen ist einiges zu Bruch gegangen. Das Garagentor, zum Beispiel, ist eingedrückt. Als es knallte, hätten sie zuerst nach den Eltern geschaut und sich dann im Haus versteckt. Denn „draußen war alles rot“.

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