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Bad Grönenbach: Ein Jahr danach: Wie der Tierskandal das Allgäu verändert hat

Bad Grönenbach

Ein Jahr danach: Wie der Tierskandal das Allgäu verändert hat

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    Mehrere Großbetriebe im Allgäu waren vor einem Jahr Schauplatz umfangreicher Polizeirazzien. Juristisch aufgearbeitet sind die Fälle noch immer nicht.
    Mehrere Großbetriebe im Allgäu waren vor einem Jahr Schauplatz umfangreicher Polizeirazzien. Juristisch aufgearbeitet sind die Fälle noch immer nicht. Foto: Ralf Lienert (Archiv)

    Hier ist die Welt noch in Ordnung. Wer vom Unterallgäuer Örtchen Zell an der Dorfkirche vorbei in Richtung des Weilers Hohmanns fährt, gewinnt zwangsläufig diesen Eindruck. Wiesen, Wolken und ein Wegekreuz, links und rechts ein paar Bauernhöfe. Eine Oase der Ruhe. Doch ausgerechnet hier nimmt ein Tierskandal seinen Anfang, über den vor einem Jahr die ganze Republik diskutiert hat, und der bis heute nicht aufgearbeitet ist.

    Damals bringt die „Soko Tierschutz“ verstörende Bilder an die Öffentlichkeit: Sie zeigen etwa, wie der Mitarbeiter eines Bauernhofs einem kranken Rind gegen den Kopf tritt. Ein anderes Tier wird mit einem spitzen Gegenstand traktiert, eine kranke Kuh von einem Traktor durch den Stall geschleift. Das sind Szenen aus einem der größten deutschen Milchvieh-Betriebe. Er hat damals etwa 1800 Milchkühe und nach Schätzungen von Insidern noch mindestens 1000 Jungtiere.

    Walter Honold half, den Allgäuer Tierskandal aufzudecken

    Walter Honold hat mitgeholfen, den Skandal aufzudecken. Der 52-Jährige sitzt an diesem sonnigen Vormittag auf einer Bank vor seinem Bauernhof und sagt mit ruhiger Stimme: „Ich würde alles wieder genauso machen. Auch wenn es mich viele Nerven gekostet hat.“ Honolds Hof liegt in Hohmanns, das zur Unterallgäuer Marktgemeinde Bad Grönenbach gehört. Im Stall stehen damals Kühe des Großbauern, der zu dieser Zeit Pächter ist. Honold ist unzufrieden, wie der Hof geführt wird. Er wendet sich an Ämter, fühlt sich dort nicht ernstgenommen und kommt in Kontakt mit der „Soko Tierschutz“. Heimlich aufgenommene Videos und Fotos entstehen – in Hohmanns und in einer zweiten, viel größeren Hofstelle auf Bad Grönenbacher Flur.

    Der Erste, der nach der Veröffentlichung der Bilder unter Druck gerät, ist der damalige Unterallgäuer Landrat Hans-Joachim Weirather von den Freien Wählern. Warum, fragt eine entrüstete Öffentlichkeit, haben die Kontrolleure des dortigen Veterinäramtes von den Zuständen bei dem Großbauern nichts mitbekommen? Der Landrat geht in die Offensive und listet auf, wie oft er seit dem Jahr 2006 vergeblich versucht habe, vom zuständigen Umweltministerium mehr Personal für das Veterinäramt zu bekommen.

    Der 61-jährige Weirather ist inzwischen ein Landrat im Ruhestand, doch noch heute klingt Bitterkeit aus seinen Worten: „Mein Vertrauen in die Personen der zuständigen Fachabteilung habe ich längst verloren.“ Das Unterallgäuer Landratsamt hat jetzt mehr Mitarbeiter im Veterinäramt, doch auch den aktuellen Stand hält man in der Kreisbehörde nicht für ausreichend.

    Im Unterallgäu halten 1500 Bauern insgesamt 130.000 Rinder

    Insgesamt 70 zusätzliche Tierarztstellen an den Veterinärämtern hat der Freistaat als Reaktion auf den Tierskandal zugesagt. „Allein im Oberallgäu ist die Zahl der Kontrollen um 45 Prozent angestiegen“, sagt CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer. Die könnten nicht alle Verstöße verhindern, „aber sie machen die schwarzen Schafe vorsichtig“. Zudem gibt es jetzt eine Kontrollbehörde für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (KBLV), die für Betriebe mit mehr als 600 Rindern und 500 Kälbern zuständig ist.

    Nach dem Tierskandal in Bad Grönenbach vor einem Jahr - unser Bild zeigt einen der Betriebe - ist eine ganze Reihe von Tierschutzverstößen öffentlich geworden.
    Nach dem Tierskandal in Bad Grönenbach vor einem Jahr - unser Bild zeigt einen der Betriebe - ist eine ganze Reihe von Tierschutzverstößen öffentlich geworden. Foto: Ralf Lienert (Archiv)

    Ziel ist es, die Veterinäramter zu entlasten: „Bei Auffälligkeiten in Großbetrieben können wir schneller reagieren und aus einem anderen Pool schöpfen“, sagt KBLV-Sprecher Henning Brinkmann. 120 Mitarbeiter sind für die Behörde vorgesehen. Im Unterallgäu werde die KBLV nach jetzigem Stand drei Betriebe übernehmen, sagt Sprecherin Sylvia Rustler vom Landratsamt: „Das ist eine kleine Entlastung, löst aber das Personalproblem nicht.“ Nach ihren Angaben zählt das Unterallgäu knapp 1500 Rinderhalter und insgesamt 130.000 Tiere – eine bayernweite Spitzenposition.

    Das Allgäu also ein Hort industrieller Milchproduktion? Dem widerspricht Kreuzer energisch. Er spricht zwar von „schrecklichen Bildern“ aus den betroffenen Ställen. Die ins Visier geratenen Betriebe aber seien Einzelfälle, die Dimensionen der Tierhaltung „atypisch“ für den Freistaat und speziell für das Allgäu. „Der Durchschnittsbetrieb in Bayern zählt 40 Milchkühe“, im Oberallgäu sind es nur 27. Wer in Bayern als Milchbauer Fördergeld kassieren will, dürfe rechnerisch maximal zwei Tiere pro Hektar Betriebsfläche halten.

    Doch der Bad Grönenbacher Großbauer, der sich zu den Vorwürfen nach wie vor nicht äußert, ist nicht der einzige Allgäuer Landwirt, der ins Visier der Behörden geraten ist. Auch zwei weitere Höfe aus der Marktgemeinde fielen ihnen auf.

    Der Großbauer aus Bad Grönenbach äußert sich nach wie vor nicht zu den Vorwürfen

    Die Ermittlungen richten sich gegen insgesamt 15 Personen. Die Memminger Staatsanwaltschaft hat jetzt die ersten Ermittlungsergebnisse von der Polizei bekommen. Viele fragen sich, warum das so lange dauert. „Für jeden einzelnen Tierschutz-Verstoß, für jede Kuh gibt es ein gesondertes Gutachten“, antwortet ein Sprecher. „Für ein solches Ermittlungsverfahren ist das eine fast normale Dauer.“ Wann ein Gerichtsverfahren stattfindet, kann derzeit noch niemand sagen.

    Neben den Fällen in Bad Grönenbach werden auch mutmaßliche Tierschutz-Verstöße auf drei Höfen in Dietmannsried bekannt. In einem Fall spricht das Landratsamt Oberallgäu sogar ein „Tierhalte- und Betreuungsverbot“ gegen die Hofinhaber aus. Die Landwirte klagen dagegen, schließlich einigt man sich: Die bisherigen Betreiber ziehen sich „altersbedingt“ zurück und verkaufen den Hof, der Sohn darf als angestellter Landwirt arbeiten.

    Insgesamt drei Hofe wurden wegen Verstößen gegen das Tierwohl vergangenes Jahr im Unterallgäu durchsucht.
    Insgesamt drei Hofe wurden wegen Verstößen gegen das Tierwohl vergangenes Jahr im Unterallgäu durchsucht. Foto: Ralf Lienert (Archiv)

    Anton Klotz (CSU), bis Ende April Landrat im Oberallgäu, war mehrmals in dem Betrieb mit damals 480 Milchkühen und etwa 100 Kälbern. „Ich war entsetzt, was ich dort gesehen habe – das war dramatisch“, sagt er. Die Tiere seien teils bis zu den Klauen im Dreck gestanden, 220 von ihnen hätten Schäden oder Erkrankungen aufgewiesen. Im Akkord hätten Tierärzte die Rinder untersuchen müssen, um alle Probleme zu dokumentieren. Etliche Tiere wurden notgeschlachtet.

    Mehrmals hatte das Veterinäramt laut Klotz zuvor wegen diverser Verstöße Anordnungen erlassen und ein Bußgeld gegen die Verantwortlichen verhängt. „Sogar die Flächenprämie für Milchviehhalter wurde um 30 Prozent gekürzt.“ Ohne Wirkung. Doch warum griffen die Behörden nicht früher scharf durch und schlossen den Betrieb? „Die rechtlichen Vorgaben haben kein früheres Eingreifen zugelassen“, verweist Klotz auf das „stumpfe Schwert“ der Veterinärämter. Zwar wurden laut CSU-Vertreter Kreuzer 2019 Buß- und Zwangsgeldsätze erhöht. Eine Betriebsschließung aber komme einem Berufsverbot gleich und dürfe – anders als etwa bei einer Kindeswohlgefährdung durch prügelnde Eltern – nur als letztes Mittel erlassen werden. Klotz verweist noch auf ein anderes Problem: „Wo wollen Sie so einen riesigen Viehbestand auf die Schnelle unterbringen – und zwar so, dass es den Tieren besser geht als vorher?“ Helfen könnte eine gemeinsame Eingreiftruppe von Tiergesundheitsdienst, Betriebshilfe und Maschinenring – flächendeckend eingerichtet und etwa von den Kreisbehörden koordiniert.

    Ist das Allgäu ein Hotspot in Sachen Tierschutz-Verstöße?

    Für den Bad Grönenbacher Großbauern gibt es kein Tierhalte-Verbot, er bekommt aber eine Reihe von Auflagen. „Die Größe des Betriebs wurde um ein Viertel reduziert“, sagt Sylvia Rustler vom Landratsamt. Immer noch verkehrten ein Tierschutz-Beauftragter und ein „Expertenteam aus Tierärzten“ auf dem Hof, um beim „Aufarbeiten der Probleme“ zu begleiten.

    Bad Grönenbach, Dietmannsried – ist das Allgäu ein Hotspot in Sachen Tierschutz-Verstöße? Im oberbayerischen Planegg gibt es jemanden, der diese Frage mit Nein beantwortet. Es ist Friedrich Mülln, Vorsitzender der „Soko Tierschutz“. Die Schwerpunkte sieht er in Nord- und Ostdeutschland. Der 40-Jährige hat offenbar einen recht guten Überblick: „Die Zahl der Hinweise auf Missstände hat sich massiv erhöht“, sagt er. Der Allgäuer Tierskandal habe die Menschen „stark sensibilisiert“. Er habe den Eindruck, dass viele den Behörden nicht mehr vertrauten. Er zitiert einen Anrufer: „An die Ämter habe ich mich schon gewandt, aber das hat doch eh keinen Sinn.“

    Die „Soko Tierschutz“ ist ein Kleinunternehmen mit fünf Angestellten und etwa 15 Ehrenamtlichen. Vor einem Jahr veröffentlicht der Verein mit dem Bad Grönenbacher Philipp Hörmann die Videos, die den Tierskandal aufdecken. Inzwischen hat Hörmann den Zusammenschluss „Metzger gegen Tiermord“ mitinitiiert, eine Gruppe aus Veganern und früheren Metzgern. Bei einer Bürgerversammlung in Bad Grönenbach ist er an einem dramatischen Zwischenfall beteiligt. Als er Rathauschef Bernhard Kerler zur Rede stellt und beispielsweise wissen will, wann dieser von den Tierschutz-Verstößen erfahren hat, erleidet der Bürgermeister einen Schwächeanfall und stürzt zu Boden. „Ich hatte damals eine Bronchitis, aber die Aufregung in dieser Situation hat sicher dazu beigetragen, dass es so gekommen ist“, sagt der 59-jährige Kerler. Die Bürgerversammlung wird abgebrochen.

    „Das war fast schon Sippenhaft“, sagt der Bürgermeister 

    Der Tierskandal sei nach wie vor ein Thema in Bad Grönenbach, „aber es wird mit weniger Leidenschaft diskutiert als vor einem Jahr“, beschreibt Kerler die Stimmung in dem schmucken Kurort. Inakzeptabel sei damals gewesen, dass die gesamte Familie des Milchbauern verurteilt worden sei – in der Schule, in den Vereinen, beim Einkaufen. „Das war fast schon Sippenhaft“, sagt Kerler. In dieser Zeit werden Fenster eingeworfen und Autoreifen rund um das Betriebsgebäude aufgeschlitzt. Sogar ein Mann mit einem Messer wird laut Polizei auf dem Grundstück angetroffen.

    Diese Vorfälle haben auch bei Alfred Enderle Spuren hinterlassen. „Was da abgelaufen ist, geht gar nicht“, ärgert sich der Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) aus dem Oberallgäuer Wertach. Im Internet habe es massive Hetzkampagnen gegeben – Morddrohungen inklusive. Obwohl die Corona-Krise Vieles überdeckt habe, sei die Stimmung unter den Berufskollegen noch immer gedrückt. „Viele haben das Gefühl, unschuldig am Pranger zu stehen. Ihr Eindruck ist, der Bauernstand werde für alles verantwortlich gemacht, was schiefläuft.“ Das kann Bäuerin Simone Vogler aus Oberstdorf nur bestätigen. 40 Milchkühe und 33 Hektar Grünland umfasst der Familienbetrieb inmitten Allgäuer Bergidylle. „Der überwiegende Teil der Bauern behandelt seine Tiere mit großer Wertschätzung und sieht sie nicht nur als Wirtschaftsfaktor“, sagt Vogler. Umso schlimmer sei es für einen Landwirt, dass er sich permanent rechtfertigen müsse. „Wenn mal eine Kuh humpelt, wird man als Tierquäler angefeindet. Das trifft einen ins Mark.“

    Auch Enderle wünscht sich mehr Wertschätzung für die Leistung der Landwirte. Daran ändere nichts, dass Covid-19 derzeit vor allem die jüngere Generation dazu bringe, sich mehr Gedanken über die Produktion von Lebensmitteln und den Wert regionaler Produkte zu machen. Wobei Enderle beim Tierskandal auch Fehler im eigenen Verband einräumt: „Da, wo es eklatant schiefläuft, muss es für Betriebe Konsequenzen geben. Das haben wir in der Vergangenheit nicht klar genug ausgesprochen.“

    Hat sich das Verhalten der Verbraucher geändert?

    Ein Jahr nach den ersten Schlagzeilen aus Bad Grönenbach sieht der schwäbische BBV-Chef noch immer viele offene Fragen. Das beginne bei den Amtstierärzten, die bei Kontrollen kranker Tiere die vorausgegangene Behandlung durch die Bauern nicht gelten ließen, und ende bei den Vorgaben für neue Ställe oder dörfliche Schlachthäuser. „Wenn man die kleinen Betriebe wirklich erhalten will, muss man ihnen Luft zum Leben lassen. Dann muss man die Auflagen senken.“ Bislang aber treibe die Politik die Bauern in permanentes Wachstum, nicht zuletzt durch die bestehenden Förderstrukturen. Das kritisiert auch der Landtagsabgeordnete Thomas Gehring (Grüne): „Noch haben wir im Allgäu viele idyllische Höfe. Aber auch hier verändert sich die Landwirtschaft drastisch.“ Der wirtschaftliche Druck sei oft Auslöser für massive Überforderung. Obergrenzen für die Tierhaltung einzuführen, helfe da wenig, ist Gehring überzeugt. Besser sei es, endlich Richtlinien für die Tierhaltung zu verankern und einen Sachkundenachweis für Hofmitarbeiter zu verlangen.

    Das Verhalten der Verbraucher habe der Tierskandal nicht wirklich verändert, ist Hans-Peter Rauch aus dem Oberallgäuer Waltenhofen, Metzgermeister und Präsident der Handwerkskammer Schwaben, überzeugt. Zwar hätten die Ereignisse anfangs manchen Kunden aufgeschreckt und an der Theke zum Nachfragen veranlasst. Am Ende sei es aber wie so oft gelaufen: „Sobald ein Thema nicht mehr in den Schlagzeilen ist, kehrt die Routine zurück.“ Und auch wenn Qualitätsfleisch aus der Region seit längerem stärker gefragt sei – noch immer sei für viele der Preis entscheidend.

    Und was bleibt vom Tierskandal dort, wo er seinen Anfang nahm? Die Familie des Landwirts Walter Honold hat schwere Zeiten hinter sich: „Nachdem die Verstöße bekannt wurden, haben die Ämter auch kleine Bauern brutal kontrolliert. Manche Landwirte gaben uns die Schuld dafür und schauten uns nicht mehr an. Das war sehr belastend.“ Seit einem Jahr habe er keine Nacht durchgeschlafen. Und doch glaubt er daran, dass der Skandal Positives bewirken kann: „Ich wünsche mir, dass die kleinen bäuerlichen Betriebe wieder mehr Wertschätzung erfahren.“

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nicht nur große Ställe müssen stärker kontrolliert werden

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