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Drama um Landrat von Regen: Heinz Wölfls Suizid: Ein Freund quält sich mit Fragen

Drama um Landrat von Regen

Heinz Wölfls Suizid: Ein Freund quält sich mit Fragen

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    Heinz Wölfl war erfolgreicher Landrat in Regen. Dann nahm er sich das Leben. Es kam heraus: Er war spielsüchtig und hatte Schulden. Nun quält sich ein Freund mit Fragen.
    Heinz Wölfl war erfolgreicher Landrat in Regen. Dann nahm er sich das Leben. Es kam heraus: Er war spielsüchtig und hatte Schulden. Nun quält sich ein Freund mit Fragen. Foto: Landratsamt Regen

    „Und du hast nichts gewusst?“ Wie oft hat Helmuth Rücker diese Frage gehört. Er hätte doch etwas merken müssen von der Spielsucht seines besten Freundes. Er hat nichts davon gewusst, dass sein Freund Heinz Wölfl, der langjährige Landrat von Regen, dem Spiel verfallen war. Ebenso wenig wie Wölfls Frau Maria, seine drei Kinder und die anderen Freunde etwas Genaueres gewusst haben.

    Nach dem Selbstmord des Landrats haben alle nachgedacht und versucht, mögliche Zeichen zu deuten. Wölfl hat gerne einen scharfen Schafkopf gespielt, er ging hin und wieder in die Spielbank und er klappte schon mal nervös den Laptop zu, wenn jemand überraschend in sein Büro kam. „Aber ist jemand deswegen so spielsüchtig, dass er sich hoch verschuldet und dann keinen Ausweg mehr weiß außer Suizid?“, fragt Helmuth Rücker.

    Der Freund ahnte nichts, als ihn Heinz Wölfl in einem Gespräch Anfang August bat, ihm eines Tages einen großen Freundschaftsdienst zu leisten. Nachfragen waren zwecklos. „Vertrau mir“, hatte er gesagt. Zwei Tage später händigte Wölfl Helmuth Rücker einen Brief aus, den er erst zu einem gegebenen Zeitpunkt öffnen dürfe. Er würde Bescheid erhalten. Zwei Wochen später rief Wölfls Tochter Steffi morgens an und sagte mit tränenerstickter Stimme: „Der Papa ist tot.“ Helmuth Rücker schoss es durch den Kopf: „Oh Gott, der Brief!“

    Geradeaus in den Wald gerast

    In jener Nacht zum 17. August war Wölfl nach einem Termin in den Kleinwagen seines Sohnes gestiegen, war vom Langlaufzentrum Bretterschachten talwärts Richtung Großer Arbersee gefahren und in einer Linkskurve geradeaus in den Wald gerast. Die Böschung ist an dieser Stelle fünf Meter tief. Der Wald ist dicht. Das Auto flog in die Bäume.

    Kreisbrandrat Hermann Keilhofer war einer der Ersten am Unfallort. Er erkannte das verunglückte Auto erst nicht, es war ja das Auto von Wölfls Sohn. Keilhofer kannte Wölfl gut, er wohnt 300 Meter entfernt. „Mein Landrat war mir immer ein korrekter Dienstherr“, sagt Keilhofer. Erst als er dem Toten im Auto den Kopf drehte, erkannte er Wölfl: „Ein grauenhafter Moment war das“, erinnert sich der Feuerwehrmann. In diesem Moment waren alle davon ausgegangen, dass es ein tragischer Unfall war. Wölfl starb an einem Genickbruch. Es gab keine Bremsspuren. Der Unfall war tragisch, aber auf andere Weise, als alle dachten: Heinz Wölfl, 58 Jahre alt, hatte sich das Leben genommen. Warum?

    Heinz Wölfl war ein bayerischer Landrat, wie man sich ihn im besten Fall vorstellt. Ein Macher, ein Antreiber, einer, der sich stark engagierte für seine ostbayerische Heimat und über den Tellerrand hinausschaute. Er war selbstbewusst. Sein BMW trug Zeit seines Lebens das Kennzeichen REG-EN 1. Er war die Nummer 1. Elf Jahre Bürgermeister von Regen, dann von 1994 bis zu seinem Tod Landrat. Er war, wie Weggefährten berichten, nachdenklich und selbstkritisch, aber auch lebensfroh. Manchmal nahm er zu öffentlichen Veranstaltungen seine Gitarre mit und sang Jubilaren ein Ständchen.

    Abgründe eines Doppellebens

    Doch der Freitod eröffnet scheibchenweise Einblicke in die Abgründe eines Doppellebens. Ein Doppelleben, von dem danach alle sagen, sie hätten von nichts gewusst. Hinter der Fassade des tatkräftigen CSU-Landrats lebte ein Mann, der der Spielsucht verfallen war. Er spielte nicht nur Schafkopf, er zockte auch in Spielbanken und spekulierte an der Börse. Man könnte jetzt fragen, weshalb ein Landrat, der mehr als 7000 Euro im Monat verdient, so etwas tut, doch diese Frage führt zu nichts. Selbstverständlich hätte es Wölfl finanziell nicht nötig gehabt. Aber Spielsucht ist eine Krankheit. Mit rationalen Erklärungen kommt man da nicht weit. Dass Süchtige ein Doppelleben führen, ist eher die Regel als die Ausnahme, sagt die Psychotherapeutin Gabriele Heublein vom Berufsverband Deutscher Psychologen. Gerade bei Spielsucht seien die Therapieerfolge wenig zufriedenstellend.

    Irgendwann hatte es der Jurist Wölfl doch nötig, zu zocken. Er hatte sich immer tiefer in den Teufelskreis der Spielsucht ziehen lassen und dabei finanziell so verhoben, dass er sich von verschiedenen Leuten Geld leihen musste. Immer mehr Geld. Von vielen Leuten. Die Rede ist von etwa 60 Gläubigern und rund eineinhalb Millionen Euro Schulden. Es ist der vergiftete Nachlass des Landrats.

    Und Heinz Wölfl wusste das. Der Brief, den er Helmuth Rücker übergeben hatte, beinhaltete neben dem Geständnis der Spielsucht und der Schulden den Auftrag, für die Familie den Nachlass zu regeln. Der Freund sollte den Schlamassel regeln. Das ist viel verlangt für einen Freundschaftsdienst. „Ich habe mich keine Sekunde geärgert oder meinem toten Freund Vorwürfe gemacht. Das war jetzt mein Auftrag“, sagt Helmuth Rücker mit festem Blick. Er ist Redakteur bei der Passauer Neuen Presse. Kein Fachmann für Nachlass-Angelegenheiten. Aber er hatte sein Wort gegeben. Rücker führte Dutzende Gespräche mit Gläubigern, er beschäftigte sich mit Insolvenzrecht. Über Nacht war er selbst in den Schlagzeilen. Er verriet die Namen der Gläubiger weder der Redaktion noch der Justiz.

    Bis zu jenem Tag, als Kripo und Staatsanwaltschaft mit einem Durchsuchungsbefehl bei ihm auftauchten, Aufzeichnungen und seinen Computer sicherstellten. Die Ermittler sagten ihm, sie gingen dem Verdacht der Korruption nach. Ein anonymer Brief hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Der Verdacht: Wölfl hat sich schmieren lassen. Er könnte – möglicherweise in seiner Verzweiflung – von Unternehmern Geld für Gegenleistungen in seiner Funktion als Landrat verlangt haben.

    Ein Firmenchef schilderte daraufhin in einem anonymen Interview, wie Wölfl ihn um 50000 Euro angepumpt habe und von der Zahlung seine Unterstützung für ein Bauprojekt abhängig gemacht haben soll. Ob das stimmt oder ob sich der Unternehmer selbst entlasten will – all dies ist Bestandteil eines Verfahrens der Staatsanwaltschaft Deggendorf. „Wir ermitteln gegen unbekannt wegen des Verdachts der Bestechung und der Vorteilsgewährung“, sagt die Leitende Oberstaatsanwältin Kunigunde Schwaiberger. Die Ermittlungen können noch Monate dauern. Konkrete Beschuldigte gebe es nicht. Im Landratsamt läuft seit Wochen eine Sonderprüfung. Der Kommunale Prüfungsverband ist ebenfalls im Haus, um Unregelmäßigkeiten herauszufinden.

    Die Korruptionsvorwürfe waren der Punkt, an dem Helmuth Rücker sich von seinem Freundschaftsdienst entbunden fühlte: „Ich will jetzt Aufklärung – auch im Sinne von Heinz Wölfl.“ Rücker ist überzeugt, dass der Landrat „im Amt sauber war“, wie er sagt. Ob das der Wunschtraum eines Freundes ist oder Realität, werden die Ermittlungen zeigen.

    Klar ist, dass Heinz Wölfls Schneeballsystem Mitte des Jahres kollabierte. Es gelang immer seltener, die per Darlehensvertrag vereinbarten Rückzahlungen fristgerecht zu leisten – und gleichzeitig neues Geld fürs Spielen zu haben. Wölfl war von Roulette in Casinos auf Poker im Internet umgestiegen. Das verstärkte die Sucht. Als der Kreis guter Bekannter abgegrast war, sprach er zuletzt praktisch jeden möglichen Geldgeber an – darunter Ärzte, Kreisräte, CSU-Mitglieder. Einem davon, der sein Geld zurückwollte, soll er am Bezirksparteitag im Juli 2011 auf dem Klo 5800 Euro übergeben haben.

    Die Schlinge zog sich zu

    Da wurde in manchen Kreisen schon offen darüber gesprochen, dass sich Wölfl „überall Geld leihe, um spielen zu können“. Die Schlinge zog sich zu. Die Hilfe, die der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter – eine Art politischer Ziehsohn von Wölfl – drei Wochen vor dem Suizid anbot, war für Wölfl kein Ausweg. Der Politiker hatte für sich erkannt, dass er in einer Sackgasse steckt. Was sollte er tun? Alles zugeben? Abdanken? Von weit oben ganz tief fallen?

    Wölfl entschied sich anders. „Heinz hat das für sich ganz genau analysiert“, sagt Helmuth Rücker. Er ist überzeugt, sein Freund habe es auch für die Familie getan – so paradox das zunächst klingen mag. Die Ehefrau Maria soll das Haus behalten können. Das riesige weiß-blaue Haus am Hang im Villenviertel Regens mit Blick über die Hügel des Bayerwaldes. Rechtsanwalt Hubert Ampferl kümmert sich darum. Er betreut das Insolvenzverfahren. „Die Forderungen der Gläubiger sollen nur Heinz Wölfls Nachlass betreffen“, erklärt Ampferl.

    Auf der anderen Seite des Wohngebiets liegt der Waldfriedhof von Regen. Dort liegt Heinz Wölfl begraben. Statt eines Grabsteins steht noch ein Holzkreuz mit einem Trauerflor. An das Kreuz ist das Sterbebild geheftet. Unter dem Bild steht „Zur Erinnerung an Herrn Heinz Wölfl aus Regen“. Kein Hinweis darauf, dass er Bürgermeister und Landrat war. Im Tod ist der prägende Kommunalpolitiker dieser Region der letzten Jahrzehnte nur der Mensch Heinz Wölfl.

    Auf dem Weg in Regens Innenstadt hängen bald nach dem Waldfriedhof die Wahlplakate für die möglichen Wölfl-Nachfolger. Nach der Satzung des Landkreises musste innerhalb von drei Monaten nach dem Tod ein neuer Landrat gewählt werden. Am Sonntag ist es so weit. Fünf Kandidaten bewerben sich. Eine Stichwahl in zwei Wochen ist wahrscheinlich. Das Thema Wölfl haben sie im Wahlkampf so gut wie möglich ausgeklammert. Was sollte man auch dazu sagen, wenn man die Wahl gewinnen will? Wahrscheinlich begleitet alle Kandidaten die Sorge, dass die Fußstapfen ihres Vorgängers zu groß sein könnten. Man tritt keinem der Kandidaten zu nahe, wenn man behauptet, dass sie im Vergleich zu Heinz Wölfl politische Leichtgewichte sind.

    Das ist zum Beispiel daran abzulesen, dass der prominenteste Kandidat der erst 26 Jahre alte SPD-Bürgermeister von Bodenmais, Michael Adam, ist. Er hat bei seiner Wahl vor allem damit Schlagzeilen gemacht, dass er jung war und schwul ist. Der CSU-Kandidat Helmut Plenk wirbt mit dem Slogan „Sonne im Herzen, Regen im Kopf“, der vermutlich von einer kleinen örtlichen Werbeagentur stammt und Potenzial für unfreiwillige Komik hat. Die 37-jährige Josefa Schmid, die CSU-Mitglied ist, aber eine eigene Wählergruppe gründete, hat dadurch von sich reden gemacht, dass sie vor Jahren für das Männermagazin Penthouse freizügige Probefotos gemacht hat.

    Wer auch immer Heinz Wölfls Nachfolger wird, eines steht fest: Es erwartet ihn in Regen eine sehr große Herausforderung.

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