Bisweilen heiraten Menschen aus rein logischen Gründen: Weil es sich aus steuerlichen Gründen rechnet, weil ein Kind unterwegs ist, weil es einfach an der Zeit fürs Heiraten ist. Alle diese Gründe kann man im Fall von Khaled Ahmad und Petra Kohnle ausschließen: Er, der syrische Flüchtling, sie die katholische Gemeindereferentin und Pfarrhaushälterin, die sich geschworen hatte, ihr Leben Gott zu widmen. Das klingt nicht nach Vernunftehe.
Die zwei sind ein ebenso normales wie ungewöhnliches Liebespaar. Und wer sagt, es sei nicht möglich, zwei so unterschiedliche Kulturen in einer Familie zu vereinen, der hat diese beiden noch nicht erlebt. Sie sitzen in ihrer gemütlichen Küche in Königsbrunn bei Augsburg. Der Tisch ist mit weißrotem Geschirr eingedeckt, gleich gibt es Kaffee. Über der Tür tickt eine Katzenuhr, an den Wänden hängen Bilder.
Und da ist Paula, sechs Monate alt, das gemeinsame Kind
Auf Petra Kohnles Schoß sitzt Paula, sechs Monate, das gemeinsame Kind der beiden. Das kleine, blonde Mädchen schaut das Gegenüber mit ihren großen blauen Augen an. Da stutzt der Betrachter, schließlich haben die Eltern dunkle Haare und braune Augen. „Die Großmutter hat auch blaue Augen“, klärt die Mama mit einem Lächeln auf. Ihr Freund grinst gelassen. Es stand nie in Zweifel, dass das Baby nicht von ihm sein könnte.
Im Gegenteil: Es scheint gut um die Beziehung zu stehen. Im September will das Paar heiraten.
Um diese Liebesgeschichte zu verstehen, muss man zurückblenden. Und die Geschichte von Ahmad, heute 31, kennen. In fast akzentfreiem Deutsch erzählt er von seiner ersten Heimat, die inzwischen vom Bürgerkrieg zersplittert ist: „Ich komme aus Afrin, einer 50000-Einwohner-Stadt im Nordwesten Syriens.“ Nach Aleppo oder in die Türkei ist es von dort aus nur ein Katzensprung. Ahmad erzählt, dass er in Syriens Hauptstadt Damaskus Politikwissenschaft studiert hat – und dass er danach, bis 2012, bei einem kurdischen Fernsehsender als Reporter arbeitete.
Nach und nach änderten sich die politischen Verhältnisse. Was als „Arabischer Frühling“ begonnen hatte, wandelte sich zur Tragödie. Und Ahmad steckte mittendrin im Schlamassel. Er habe sowohl über Islamisten und Salafisten als auch über den Präsidenten Baschar al-Assad kritisch berichtet, räumt er ein. Wer das tut, für den wird das Leben in Syrien noch gefährlicher, als es ohnehin schon ist.
Er kann mit radikalen Moslems und einem Diktator nichts anfangen
Doch Ahmad bleibt seiner Überzeugung treu. Er kann mit radikalen Moslems genauso wenig anfangen wie mit einem Diktator. Das war damals so, das ist heute so. Von seinem Glauben, erzählt der 31-Jährige, hatte er sich schon zu dieser Zeit innerlich verabschiedet, „obwohl in meinem Pass noch Moslem stand“.
Eines Tages standen Assads Schergen vor Ahmads Elternhaus, beschlagnahmten Bücher und seinen Laptop. Ahmad versteckte sich zunächst bei seiner Schwester. Als die Polizei wiederkam, bat ihn der Vater mit Tränen in den Augen: „Khaled, du musst weggehen.“
Der Sohn floh im März 2012 in die Türkei. Ein Schleuser brachte ihn nach Griechenland, dann versteckte er sich in einem Lastwagen und schaffte es nach Österreich, später über die Grenze nach Passau, wo er von der Polizei aufgegriffen wurde. 6000 Euro hat die Flucht gekostet. „Ich war total kaputt damals“, erinnert er sich. Es waren die Entbehrungen, die Ahmad immer wieder an den Rand der Verzweiflung trieben. Oft hatte er tagelang nichts zu essen, konnte sich nicht waschen. Über allem schwebte die Angst, entdeckt zu werden.
Im Juni 2013 landete er nach einem Zwischenstopp in München in Königsbrunn: „Dort habe ich in einer Wohngemeinschaft mit anderen Flüchtlingen acht Monate auf meine Anerkennung als Asylant gewartet.“ Es war eine Zeit, in der Ahmad für jede Abwechslung dankbar war. So wie am 6. Dezember, als der Nikolaus zu Besuch in der Unterkunft war. Im Kostüm des wohl gar nicht so furchterregenden Knecht Ruprecht steckte die katholische Gemeindereferentin Petra Kohnle.
Beim Kennenlernen steckte sie im Knecht-Ruprecht-Kostüm
Für Ahmad war das der Moment, der alles veränderte. Der Moment, als er sich verliebte. Die Flüchtlinge luden die jungen Katholiken zum Tee ein. Und schon wenige Tage später erkundigte sich der Syrer, ob dieser weibliche Krampus verheiratet oder gar Nonne sei. „Ganz so falsch lag er nicht“, bemerkt seine zukünftige Frau und muss dabei grinsen. Denn sie lebte zu dieser Zeit tatsächlich im örtlichen Pfarrhof, war dort als Haushälterin angestellt und hatte in jüngeren Jahren ernsthaft darüber nachgedacht, ihr Leben in einem Orden Gott zu widmen.
Für die 37-Jährige, die aus Augsburg stammt, war seit jeher klar, dass sie keine Kinder will. „Das war eine Lebensentscheidung“, sagt sie. Auch die erste Begegnung mit Khaled Ahmad änderte daran nichts. „Er war mir zwar aufgefallen. Aber Liebe war das noch nicht.“
Und doch blieben die beiden in Kontakt. Schon, weil die Flüchtlinge einen Wunsch hatten: Sie wollten Fußball spielen. Kohnle und ihre Freunde kümmerten sich um die Räumlichkeiten, regelmäßig trafen sich Katholiken und Muslime zum Kicken. Dann half sie Ahmad bei Behördengängen im Rahmen des Asylverfahrens – und irgendwann wurde aus Vertrautheit auch bei ihr Liebe.
Irgendwann wurde aus Vertrautheit Liebe
Seit Oktober 2015 studiert Ahmad an der Universität Augsburg Sozialwissenschaftliche Konfliktforschung. Zudem macht er ein Praktikum bei der schwäbischen Landtagsabgeordneten Simone Strohmayr, um Einblicke in die Strukturen deutscher Politik zu bekommen.
Ahmad will später als Konfliktforscher arbeiten. Zur Situation der Flüchtlinge in Deutschland hat er eine klare Meinung: „Das Problem ist nicht die Flüchtlingspolitik an sich, also die Entscheidung der Bundesregierung, viele Flüchtlinge aufzunehmen“, sagt er. Die Schwierigkeiten würden durch fehlende Sicherheitsmaßnahmen und ein fehlendes europäisches Sicherheitssystem verursacht. Ahmad ist der Meinung, dass Flüchtlinge, die ihre Identität nicht nachweisen können, in gesonderten Unterkünften untergebracht werden sollten, und gefährliche Islamisten entweder in ihre Heimat zurückgeschickt werden oder im Gefängnis bleiben müssten. „Das heißt nicht, Menschen zu unterdrücken, sondern es bedeutet Sicherheit für alle. Das schadet der Freiheit nicht, sondern stärkt sie“, sagt er. Seine Frau nickt zustimmend, wenn er solche Sätze sagt.
Doch vor allen beruflichen Plänen steht die Hochzeit im September – standesamtlich und kirchlich. Auch wenn Ahmad sich selbst als Atheist bezeichnet, geht er jeden Sonntag mit Petra Kohnle in die Kirche. Er macht das ihr zuliebe. Auch, wenn er vermutet, dass manche hinter seinem Rücken über ihn, den Ex-Moslem und Ungläubigen, tuscheln. Dass manche behaupten, er wolle die Deutsche nur heiraten, um hierbleiben zu können. Doch Ahmad macht sich nichts daraus. Ausgegrenzt worden sei er nie, sagt er. Im Gegenteil: „Ich glaube nach wie vor nicht an Gott, aber ich fühle mich in der christlichen Gemeinde sehr wohl. Sie gibt mir Sicherheit.“ Kohnle sagt: „Er hat großen Respekt vor meinem Glauben.“
Dabei war die Situation für die 37-Jährige nicht immer leicht: Als die Beziehung zu Ahmad bekannt wurde, verlor sie zunächst ihre Stelle als Gemeindereferentin. Denn die Voraussetzung für den pastoralen Dienst wäre ein christlicher Mann. Erst als klar war, dass das Paar auch vor dem Altar heiraten will und dass Paula getauft wird, machte die Kirche eine Ausnahme.
Und dann war da dieses unangenehme Erlebnis neulich am Standesamt: Die Beamtin hätte sie vor rechtlichen Folgen einer Ehe mit einem Syrer gewarnt, erzählt Kohnle. Davor, dass sie ihre Rechte am gemeinsamen Kind verlieren könnte, falls Khaled Ahmad nach Syrien zurückkehren würde. „Ich fand das unmöglich, obwohl es die Frau sicherlich nur gut gemeint hat“, sagt die junge Mutter.
Eine Rückkehr nach Syrien? Kommt nicht mehr infrage.
Eine Rückkehr kommt für Ahmad nach heutigem Ermessen ohnehin nicht infrage: „Anfangs hatte ich schon den Plan, später wieder heimzukehren“, sagt er. Doch der habe sich mit der Gründung der Familie in Luft aufgelöst.
Der Syrer scheint in Deutschland angekommen zu sein – nicht nur wegen der neuen Liebe, nicht nur, weil er gut Deutsch spricht. Auch kulinarisch ist er so gut integriert, dass man es nicht glauben mag. „Sein Lieblingsgericht ist Schweinshaxn mit Knödel“, erzählt Petra Kohnle. Und zum Frühstück schätze ihr Verlobter Weißwürste mit Brezen.
Und doch waren nicht alle begeistert über die Hochzeitspläne der beiden. Vor allem ihre Eltern fielen aus allen Wolken, als sie davon erfuhren. Petra Kohnle sagt: „Meine Eltern sind seit jeher davon ausgegangen, dass ich keine Familie will. Da kam dieser Sinneswandel für sie ziemlich überraschend.“ Inzwischen hätten sie den künftigen Schwiegersohn aber akzeptiert.
Für Khaled Ahmad war die Situation noch heikler. Seine Mutter, zu der er eine sehr enge Beziehung hat, konnte es kaum verkraften, dass er in Deutschland leben will. Auch sein Vater tat sich als gläubiger Moslem schwer mit der Vorstellung, dass sein Sohn eine Christin heiratet. Doch er scheint sich mit der Situation zu arrangieren. Zuletzt jedenfalls sagte er, mehr im Spaß, zu seinem Sohn: „Ich habe dich islamisch erzogen und dir eine gute Ausbildung finanziert. Aber Sohn, ich sage dir eines: Wenn wir einmal Gott begegnen sollten, dann bin ich nicht verantwortlich für dich!“
Da man Gott gewöhnlich aber eher selten trifft, kann auch Khaled Ahmad mit dieser Vereinbarung leben. Der frühere Moslem und die gläubige Katholikin sind jedenfalls guter Dinge, dass sie das Richtige tun. Sie freuen sich auf ihre Hochzeit. Nach der Trauung soll gefeiert werden: „Es soll ein schwäbisch-kurdisches Fest werden“, verrät die Braut. Vielleicht werden zur Vorspeise ja orientalische Falafel-Klößchen und hinterher eine saftige Schweinshaxn mit Knödeln serviert – möglich scheint bei dieser ungewöhnlichen Liebesgeschichte alles.
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