Politiker aller Parteien rufen dieser Tage nach mehr Beteiligung der Parlamente in der Corona-Krise. Gleichzeitig bleibt aber schon jetzt wichtige Arbeit liegen. Petitionen, also Beschwerden der Bürger, erreichen die zuständigen Ausschüsse erst Monate später. Lockerungen der Beschränkungen für Fitnessstudios, Sportstätten, Saunas oder Thermen – diese Themen bewegten die meisten Beschwerdeführer im Frühjahr. Die gute Nachricht: Die Ausschüsse im Landtag beschäftigen sich damit. Die schlechte: Bis das geschieht, vergeht aktuell ein knappes halbes Jahr. Die Petitionen sind da längst nicht mehr aktuell.
Politiker setzen sich nur kurz mit Petitionen zur Corona-Krise auseinander
Wie zäh die Bearbeitung vorangeht, zeigt die jüngste Sitzung des Gesundheitsausschusses. Nach drei Stunden werden die Petitionen aufgerufen. Sieben Stück berät der Ausschuss im Eiltempo, bevor pünktlich um 17 Uhr Schluss ist. Angesichts von 100 noch nicht behandelten Petitionen zu wenig. Ein anwesender Petent bemängelt am Rande der Sitzung, man habe sich so kurz mit seinem Anliegen auseinandergesetzt, dass die Politiker es gar nicht richtig verstanden hätten. Der Mann wollte sich im Frühjahr für weitergehende Beschränkungen einsetzen. Im Ausschuss sei dann der Eindruck aufgekommen, er habe sich für Lockerungen starkgemacht. Inwiefern stößt die parlamentarische Demokratie in Bayern gerade an ihre Grenzen?
Normalerweise wird eine Petition in bis zu drei Schritten binnen rund drei Monaten behandelt. Erst geht sie vom Landtag an die Staatsregierung, die dazu Stellung nehmen muss. Zweitens beschäftigt sich ein Fachausschuss, also beispielsweise der Gesundheitsausschuss damit. Ist eine Petition nicht klar zuzuordnen, berät der Petitionsausschuss darüber. Falls mindestens zwei Drittel der Fachpolitiker dies verlangen, erfolgt Schritt drei: eine Behandlung der Petition in der Vollversammlung des Landtags.
Corona-Krise in Bayern: So viele Petitionen wie noch nie
Offensichtlich ist, dass die Gremien mit der Flut an Petitionen zurzeit überlastet sind. Hunderte sind seit Beginn der Corona-Krise eingegangen, die meisten landen im Gesundheitsausschuss, bestätigt dessen Vorsitzender Bernhard Seidenath (CSU) unserer Redaktion auf Anfrage. In den vergangenen Tagen steige die Zahl eingereichter Petitionen wieder an. Seidenath sagt: „Manche Petitionen haben wir drei Mal vertagt, das ist blöd. Aber es sind im Moment auch so viele wie noch nie.“
Die gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktionen sind unzufrieden. Dominik Spitzer von der FDP sagt: „Wir halten das Ganze für sehr problematisch, da Anliegen der Bürger nicht zur Behandlung gelangen.“ Viele Nischenbetriebe und Branchen hätten in der Kürze der Zeit kein Gehör gefunden. Spitzer spricht sich für Sondersitzungen und einen Anspruch auf zeitnahe Beantwortung aus. Die Vertreterin der Grünen, Christina Haubrich, erklärt den Rückstand des Ausschusses mit der Kombination aus mehr Anträgen und mehr Petitionen. Man tage teilweise länger. Haubrich sagt aber auch: „Der Vorsitz des Gesundheitsausschusses wird durch CSU und SPD gestellt. Sollten nicht genug Petitionen behandelt werden und es zu einer Art Stau kommen, liegt die Problematik dort.“
Gesundheitsausschuss: Sondersitzungen wegen Stau bei Corona-Petitionen
Die Kritik ist offenbar durchgedrungen: Um den Stau aufzulösen, befasst sich der Gesundheitsausschuss laut Seidenath am 27. Oktober zuerst mit Petitionen und dann mit Anträgen. Darüber hinaus sei eine Sondersitzung im November geplant. „Mein Ziel ist es, bis Weihnachten alle Petitionen abzuhandeln“, sagt Seidenath.
Seine Stellvertreterin von der SPD, Ruth Waldmann, hält Petitionen nach eigener Aussage für ein sehr wichtiges Instrument, jedoch nicht für den einzigen Weg, auf dem Bürger an die Politik herantreten können: „Wir sind sehr nah am Geschehen dran, sind in sozialen Medien unterwegs und bekommen Zuschriften von Betroffenen. Wir hören die Anliegen der Bürger tagtäglich auf verschiedensten Kanälen.“
Corona-Krise: Petitionsausschuss muss noch 200 Beschwerden beraten
Die Vorsitzende des Petitionsausschusses, Stephanie Schuhknecht von den Grünen, berichtet von zwei Bereichen, um die es derzeit verstärkt in Petitionen geht: Justiz und Ausbildung. „Viele Häftlinge haben die zwischenzeitlichen Einschränkungen beim Besuchsrecht beklagt oder auch den coronabedingt ausgesetzten Freigang“, sagt Schuhknecht. Bei den Petitionen zur Ausbildung handelte es sich oft um die Anliegen junger Männer, die eigentlich ins Heimatland hätten reisen müssen, um dort das für den Beginn der Ausbildung nötige Visum abzuholen. „Vor allem bei Afghanen hat sich das schwierig gestaltet“, sagt Schuhknecht.
Ihr zufolge sind Petitionen, die nichts mit Corona zu tun haben, zum Beispiel zur Bauordnung, zuletzt liegen geblieben. Rund 200 Petitionen seien noch offen, nicht alle werde man bis Weihnachten abarbeiten können. „Es steht zu erwarten, dass nun wieder mehr Petitionen im Zusammenhang mit dem Coronavirus eingehen“, sagt die Ausschuss-Vorsitzende.
Politikwissenschaftler: "Petitionen sind eine Art Feueralarm"
Thomas Saalfeld, Professor für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Bamberg, warnt vor falschen Erwartungen der Bürger: „Petitionen haben in erster Linie informativen Charakter. Ist ein Gesetz gut oder nicht und wo liegen Schwachstellen, die man schnell beheben kann?“ Saalfeld sagt: „Durch Petitionen kann man kaum politische Leitlinien gestalten. Sie sind eher eine Art Feueralarm für die Politik.“
Für Bürger bieten sie laut Saalfeld die Möglichkeit, ihre Anliegen ohne große Kosten vorzubringen – im Gegensatz zu einem Gerichtsverfahren, das oft teuer sei und auch nicht zügiger ablaufe. Zur langen Bearbeitungszeit sagt Saalfeld: „Prozesse im Parlament gehen nie schnell. Ich halte Petitionen dennoch für ein erstklassiges Instrument als ungefiltertes Feedback.“
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