Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Das "Bayerische Kochbuch": Wie sich die bayerische Küche verändert hat

Das "Bayerische Kochbuch"

Wie sich die bayerische Küche verändert hat

    • |
    Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Regina Friisch präsentiert am Mittwoch 24.08.16 in ihrem Garten in Thüngersheim verschiedene Ausgaben des Bayerischen Kochbuchs. Frisch untersucht, wie die zahllosen Ausgaben das Bayerische Kochbuchs die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in Bayern dokumentieren.
    Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Regina Friisch präsentiert am Mittwoch 24.08.16 in ihrem Garten in Thüngersheim verschiedene Ausgaben des Bayerischen Kochbuchs. Frisch untersucht, wie die zahllosen Ausgaben das Bayerische Kochbuchs die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts in Bayern dokumentieren. Foto: Daniel Peter

    Jahrelang war es einfach nur nützlich. Regina Frisch hat Fleisch und Soßen nach seinen Rezepten zubereitet, nach Anleitung Kuchenteig gerührt, hat gebraten, gegart und gebacken. Raus aus dem Regal, rein ins Regal, wieder raus, das Kochbuch wanderte zwischen Küchentisch, Herd und Backofen hin und her. Irgendwann ging es, weil so oft benutzt, aus dem Leim.

    Also kaufte Regina Frisch für 25 Euro eine neue Ausgabe des Standardwerks. Und stutzte, als sie sah, dass ihr neues „Bayerisches Kochbuch“ ein anderes Titelfoto hatte. Es prangte nicht mehr die glänzende Schweinshaxe mit Sauerkraut und Bierkrug vorne drauf. Sondern ein leichter, gemüsegefüllter Krustenbraten. Sieh an. Da stand die promovierte Sprachforscherin mit einem Faible für präzise Formulierungen nun mit der 56. Auflage in ihrer Küche in Theilheim im Landkreis Würzburg und fragte sich: Wie sah das Bayerische Kochbuch wohl früher, ganz früher aus?

    Sie erwarb, im Online-Antiquariat fündig geworden, ein weiteres Exemplar: die 18. Auflage, ohne Jahr, mit einem Vorwort von 1938 und Buchsatz in Fraktur. Beim Blättern im blassgelben, leinengebundenen Band mit der gewohnten Titelschrift in Blau fand Regina Frisch viele bekannte Rezepte und eine Gliederung fast wie in dem Band, nach dem sie selbst jahrelang gekocht und gebacken hatte. „Das war das vertraute Bayerische Kochbuch, nur eben eine deutlich ältere Ausgabe“, sagt Frisch. Eines war freilich anders als gewohnt: das Vorwort. Das war, stramm im Ton der Zeit, durchweg vom Nationalsozialismus geprägt: „Die Frau steht am Herd an der Front!“

    Das "Bayerische Kochbuch" ist Lehrbuch, Nachschlagewerk und Enzyklopädie

    Drei Bayerische Kochbücher gab es jetzt im Haushalt der freiberuflichen Informationsdesignerin – der Beginn einer umfangreichen, fast vollständigen Sammlung. Die kochende Wissenschaftlerin war elektrisiert. Das vertraute Kochbuch mit den klaren Arbeitsplänen wurde für sie zum Geschichtsbuch, zum Forschungsobjekt: „Ich wollte wissen, wie es weiterging, was vorher war, was nachher kam.“

    Da waren Kalbshaxe, saure Leber, Kartoffelsuppe, Käsekuchen, Diplomaten-Salat mit Champignons und Ananas aus der Dose, Schokoladenpudding, Haferschleim, Birne Helene und Schaschlik auf Reis mit Salat. Und alles andere, was den Menschen zwischen Aschaffenburg und Oberstdorf schmeckt. Keine heimische Speise, sagen wir: fast keine, die es im Bayerischen Kochbuch nicht gibt. Von Rouladen, Milzwurst, Holunderkaltschale, Christstollen, Leberknödelsuppe, Toast Hawaii bis zu Forelle blau.

    Das Bayerische Kochbuch ist mehr als eine Rezeptsammlung von Hausmannskost. Viel mehr. Es ist ein Lehrbuch, ein Nachschlagewerk, eine Enzyklopädie. 1749 knapp gehaltene, präzise formulierte Rezepte auf 945 Seiten samt ausführlicher Küchenkunde, Hinweise für die moderne Ernährungslehre und Kalorientabellen, ein Kapitel über die „Kunst des rechten Würzens“, Vorschläge fürs große Festmenü, Rezepte bei gereiztem Magen und Nierenleiden sowie Diäten für den übergewichtigen Zivilisationskranken.

    Bis heute wurden 1,6 Millionen Exemplare verkauft

    Ein Klassiker seit Generationen, eine Institution – in 56 Auflagen mit insgesamt 1,6 Millionen Stück erschienen und damit eines der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten aus dem Freistaat. 20000 Exemplare werden jedes Jahr verkauft, an Weihnachten vor allem und im Mai, wenn die Leute heiraten. Obwohl nie Werbung dafür gemacht wird. Man kennt es einfach, weil auch die Mama es kennt.

    Welches andere Buch, die Bibel mal ausgenommen, ist in so vielen Haushalten zu finden wie dieses Werk mit dem eigenwilligen, markanten Schriftzug, den Grafiker und Künstler Emil Preetorius in den 1930ern entwarf?

    Die Suche nach den Anfängen des Bestsellers, den die Sparkasse in den 80er Jahren Frischvermählten zur Hochzeit schenkte und der in manchem Tante-Emma-Laden noch immer als einziges Buch zum Verkauf ausliegt, führte Regina Frisch nach Oberbayern, nach Miesbach. Dort hatte es, vor dem Ersten Weltkrieg schon, eine Wirtschaftliche Frauenschule gegeben, in der alltagstaugliche Rezepte jenseits von Knödeln und Einbrenne – auch als Mehlschwitze bekannt – erprobt wurden. Für „Wanderkochkurse“, mit denen die jungen Hauswirtschafterinnen auf dem Land unterwegs waren, wurde 1910 das erste Kochbuch geschrieben. Die Wanderlehrerinnen kamen mit ihm und mit Kochgerätschaften des Winters in die Dörfer und lehrten die Mädchen und jungen Landfrauen das Soßenbinden und Biskuitbacken.

    Bei ihrer Recherche stieß Regina Frisch auch auf die Autorin des Kochbuchs, „Oberregierungs-Landwirtschaftsrätin a.D.“ Maria Hofmann. Sie war Hauswirtschaftslehrerin in Miesbach, bearbeitete Anfang der 30er Jahre sorgsam die Rezeptsammlung – und gab ihr ab der 15. Auflage als Bayerisches Kochbuch Titel und Form.

    Kochbuch erzählt die Geschichte von der Kaiserzeit bis heute

    Die Zeiten änderten sich, Moden kamen und gingen. Maria Hofmann verarbeitete sie bis zu ihrem Tod 1998. Aber das Bayerische Kochbuch, herausgegeben im eigens dafür gegründeten winzigen Birken-Verlag in München, das blieb. Hofmanns Erbe hat ihr Neffe Helmut Lydtin übernommen, der heute Herausgeber ist.

    Nachdem ihr alter Küchenwälzer vor sieben Jahren aus dem Leim gegangen war, begab sich Regina Frisch auf Spurensuche. Sie fragte nach alten Ausgaben des Klassikers, bei Verwandten, Freunden und Bekannten, dann in Gemeindebüchereien und Unibibliotheken. Meist gab es dort kein Kochbuch – oder es war geklaut. Selbst die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt und Leipzig hat nicht alle Ausgaben in ihrem Bestand. Die Sammlung der 55-jährigen Philologin wuchs trotzdem. Frisch fand alte Ausgaben, zerlesene und abgegriffene Bände, Bücher mit Eselsohren, Fettflecken, Teigspritzern und handgeschriebenen Notizen zu Zutatenmenge oder Backzeit. Und Einkaufszettel drin oder auch schon mal ein Telegramm: „Vater gestorben, Beerdigung 14 Uhr“.

    Irgendwann fehlte Regina Frisch nur noch die neunte Ausgabe. Für sie ist das Bayerische Kochbuch ein verlässlicher Zeitzeuge, der vom Kaiserreich bis heute Kulturgeschichte, ja Gesellschaftsgeschichte erzählt. Die Sprachwissenschaftlerin erfasste Band für Band, wertete die Register von Apfel im Schlafrock bis Zwiebelsuppe aus. Die Gerichte veränderten sich tatsächlich kaum, die Sprache aber durchaus. Im Ersten Weltkrieg wurde aus dem Kartoffelpüree der Brei, die Sauce wurde zur Soße. Statt Albertbiskuit buk man Albertkeks. Und das Boeuf à la mode, kurz Böfflamott, kam jetzt als „Soßfleisch“ auf den Tisch.

    Im Dritten Reich waren im deutschen Haushalt „nur deutsche Erzeugnisse“ zu verwenden, Eintöpfe wurden propagiert, gewürzt wurde gefälligst mit heimischen Küchenkräutern wie Liebstöckel, Sellerie und Kerbel. Als Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg überstanden waren und das Wirtschaftswunder begann, durften Anfänger und Könner statt „Mailänder Reis“ ein „Risotto Milanese“ kochen. Aus dem „Spaghettifeingericht“ wurde „Pasta Asciutta“. Neue Rezepte kamen dazu – mehr Gemüse, die erste Paprika, Rohkostsalate, Cocktails, endlich Pizza und 1971 der berühmte Schinken-Käse-Ananas-Toast. Kaum ein Rezept fiel heraus. Erdkohlrabi, als Steckrübe berüchtigt und als Arme-Leute-Essen verrufen, wollte Maria Hofmann offenbar niemandem mehr zumuten. Auch die Kutteln schmeckten in den 60er Jahren nicht mehr.

    So aufwendig manche Gerichte sind, so simpel können andere sein

    1953 kamen die ersten Abbildungen ins nüchterne, wissensgespickte Buch, zaghafte Zeichnungen zum richtigen Fleisch-Schnitt. In der Geschenkausgabe von 1958 gab es dann tatsächlich die ersten Farbfotos. Es sind wenige geblieben, bis heute: ein Bild vom Schaumomelette mit Sauerkirschen, eines vom gegrillten Filetsteak mit Champignons garniert und Mohnwickelkuchen.

    „Den ganz großen Relaunch“, die große optische Veränderung, erzählt Regina Frisch, gab es in den 70er Jahren. Da kam der Neffe von Maria Hofmann als Co-Autor und Mitherausgeber dazu: Professor Helmut Lydtin. Bei einem Forschungsaufenthalt in den USA hatte der Internist, frustriert über das lokale Essen, das Kochbuch seiner Tante schätzen gelernt. Der Professor für Innere Medizin steuerte fortan Zeitgemäßes zur Krankenkost bei und schrieb ein umfangreiches Ernährungskapitel. „Es ist ein sehr pragmatisches Kochbuch“, sagt Regina Frisch. Und durchweg alltagstauglich. Kein Schnickschnack, keine Schäumchen.

    So aufwendig manche Gerichte sind, so simpel können andere sein. Wer in Eile ist, nehme Strudelteig aus der Packung, das Fertiggericht ist nach Gebrauchsanweisung zuzubereiten. Kuriosum aus der Auflagengeschichte: Der Vorschlag aus den 50er Jahren, bei Tiefkühlhähnchen das Auftauwasser für die Soße zu verwenden, wurde schnell wieder gestrichen.

    Aus Regina Frischs erster Neugier wurde ein jahrelanges Projekt. Gründlich erforschte sie, was sich am Bayerischen Kochbuch in all den Jahren verändert hat. In Miesbach, dem „Geburtsort“, stellte sie eine Ausstellung über die hundertjährige Erfolgsgeschichte des Küchenlehrbuchs zusammen und gestaltete einen Katalog. Die Sammlung befindet sich seit Februar in der Staatlichen Bibliothek in Regensburg. Und sie schrieb die „Biografie“. Soeben erschienen, erzählt Frisch darin die Auflagen- und Kulturgeschichte des Küchenklassikers.

    Ein Rätsel ist ihr, auch mit der neuesten Auflage, geblieben: Warum es im Rezept für Hollerkücherl heißt, dass man für den Teig ein Viertelliter dunkles Bier oder Weißwein nimmt – „notfalls“ Milch. „Was macht den Teig mit Milch zur Notlösung? Das sonst so didaktische Kochbuch schweigt.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden