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Coronavirus: Zwischen Isolation und Angst: Wie geht es aktuell in Pflegeheimen zu?

Coronavirus

Zwischen Isolation und Angst: Wie geht es aktuell in Pflegeheimen zu?

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    In das AWO-Seniorenheim in Schwabmünchen kommt man wie in allen Pflegeheimen Bayerns seit Mittwoch nur noch mit einem negativen Corona-Test.
    In das AWO-Seniorenheim in Schwabmünchen kommt man wie in allen Pflegeheimen Bayerns seit Mittwoch nur noch mit einem negativen Corona-Test. Foto: Ulrich Wagner

    Günter Holz hätte allen Grund zur Klage. „Doch was nützt es, wenn ich Ihnen jetzt etwas vorjammere?“ Von der Sorge, die Enkel nie mehr zu sehen. Von der tiefen Trauer über den Tod einer Tochter, den Tod der Ehefrau. Von dem oft schwer zu ertragenden Anblick des menschlichen Verfalls. Und vor allem von der Furcht, an dieser heimtückischen Seuche zu erkranken, daran zu sterben.

    Aber Günter Holz klagt nicht. Dazu hat der 95-Jährige schon viel zu viel erlebt und überlebt. Holz, geschmackvoll in dunkelblaue Jeans, kariertes Hemd und blauen Pullunder gekleidet, sitzt gelassen im weihnachtlich geschmückten Gemeinschaftsraum des Seniorenzentrums der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Schwabmünchen und sagt: „Der Mensch gewöhnt sich an alles.“ Man müsse sich eben den Bedingungen unterwerfen.

    Günter Holz ist 95 Jahre alt. Er hat schon viel erlebt und überlebt.  Er ist überzeugt davon, Jammern bringt nichts. Man müsse sich gedulden.
    Günter Holz ist 95 Jahre alt. Er hat schon viel erlebt und überlebt. Er ist überzeugt davon, Jammern bringt nichts. Man müsse sich gedulden. Foto: Ulrich Wagner

    Dabei hat der rüstige Herr mit dem weißen Haar durchaus Lust auf Unternehmungen. Vor allem auf Besuche bei seiner Familie. Täglich liest er Zeitung, verfolgt kritisch, was um ihn herum passiert. Er weiß genau, wie ernst die Lage ist.

    Schon in der ersten Corona-Welle wurden Altenheime zu tödlichen Fallen. Jetzt wiederholt sich das Drama. Im ganzen Land. Auch in Schwaben. Auch in Augsburg. Susanne Greger gehört zu den Menschen, die Verantwortung tragen. Die Entscheidungen treffen müssen für Pflegebedürftige, Schwerstkranke, Hochbetagte in Heimen.

    Altenheime in der Corona-Pandemie: Kurzfristig wurden neue Regeln verkündet

    Greger ist Leiterin des Eigenbetriebs Altenhilfe der Stadt Augsburg – und verärgert. „Seit Beginn der Pandemie klemmt es bei uns ständig.“ Nun hat Ministerpräsident Markus Söder wieder kurzfristig neue Regeln verkündet. Sie sehen etwa vor, dass als Besucher nur zugelassen wird, wer einen aktuellen negativen Corona-Test nachweisen kann, „insbesondere Schnelltests“.

    Das ist für Greger der Knackpunkt. Nicht, weil sie die verschärften Schutzmaßnahmen nicht für nötig erachtet. Nicht, weil ihr die hohen Infektionszahlen nicht große Sorge bereiten und die Schnelltests ihr nicht als Mittel zur Gegensteuerung wichtig sind. Ganz im Gegenteil. In den fünf Senioreneinrichtungen der Stadt Augsburg mit ihren rund 800 Bewohnern ist die Lage höchst angespannt und sie wechsle täglich. In einem Heim, das sich auf Demenzpatienten spezialisiert hat, grassiert das Coronavirus besonders. Es gab bereits etliche Tote.

    Susanne Greger weiß um die Brisanz der Lage. Für sie unverständlich ist aber die Tatsache, dass wieder einmal den Pflegeheimen noch mehr Arbeit aufgeladen wird. Im Hauruck-Verfahren. Noch dazu Arbeit, die eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehöre. „Ich brauche meine Pflegekräfte für die Bewohner“, ruft Greger regelrecht ins Telefon. „Ich brauche meine Pflegekräfte für die Pflege und nicht zur Durchführung von Schnelltests.“ Gerade in diesen Zeiten. Gerade jetzt, wo in den Heimen Besuche vom Personal koordiniert werden müssen und gleichzeitig viele Bewohner an Covid-19 erkranken, steige der Pflegeaufwand extrem. Vor diesem Hintergrund von den Heimen auch noch zu verlangen, dass sie Aufgaben mit mehrstündigem täglichen Aufwand übernehmen, ärgert die Pflegeexpertin. Sie sagt: „Diese Aufgaben müssen uns abgenommen werden.“

    Bayerns AWO-Chef spricht von problematischer Situation in Altenheimen

    Das sieht auch Bayerns AWO-Vorsitzender Professor Thomas Beyer so. War der Pflegenotstand schon vor Corona belastend, kommen nun auf die Pflegekräfte immer noch mehr Aufgaben dazu, dabei steige doch die Gefahr, dass sie selbst erkranken und ausfallen. Beyer spricht von einer hoch problematischen Situation: „In den Häusern herrscht Angst, mit der Situation allein gelassen zu werden.“

    Die Lage sei äußerst verzwickt: Versuche man auf der einen Seite, die Kontakte so rigoros wie möglich zu begrenzen, um einen größtmöglichen Schutz für die meist hochbetagten und gesundheitlich vorbelasteten Bewohner aufzubauen, führe man sie auf der anderen Seite in eine Isolation, die krank machen könne. „Ich habe große Sorge, dass die Politik mit Blick auf die Infektionszahlen die Heime einfach wieder ganz schließt“, sagt der Jurist. Was er vermisst, ist eine Debatte darüber, welches Risiko die Bewohner selbst – und wenn sie zu dieser Beurteilung nicht mehr in der Lage sind, ihre Betreuer – auf sich nehmen wollen. „Dürfen wir die alten Menschen wirklich ungefragt wegsperren?“, fragt Beyer, der hier auch den bayerischen Ethikrat gefordert sieht.

    Fest steht für Beyer: „Allein die wiederholt markigen Sprüche aus der Bayerischen Staatsregierung bringen Bewohnern und Pflegekräften in den Alten- und Pflegeheimen nichts.“ Zumal man dort teilweise noch auf die Einlösung von Versprechen warte, die das Bundesgesundheitsministerium schon vor Wochen gemacht hat. „Während Markus Söder jetzt fordert, dass nur noch eine Person ins Heim darf, die negativ getestet ist, und die Mitarbeiter mindestens zweimal in der Woche nicht nur mit Schnelltests, sondern mit den zuverlässigeren PCR-Tests getestet werden müssen, fehlen an vielen Stellen noch Tests.“ Bayerns AWO-Chef sieht hier ein politisches Versagen: „Die Politik hat den Sommer verschlafen, wissend, dass eine Verschärfung im Winter kommt.“

    Zumindest für die vielen neuen Tests ist nun aber Unterstützung angedacht. Bayerns Pflegestaatssekretär Klaus Holetschek hat sich mit den Landesgeschäftsführern des Bayerischen Roten Kreuzes, des Arbeiter-Samariter-Bundes, des Malteser Hilfsdienstes und der Johanniter-Unfall-Hilfe über die Einsatzmöglichkeiten beraten und ruft die Einrichtungen auf, sich an die Hilfsorganisationen zu wenden.

    Das Drama im Frühjahr ist unvergessen

    Funktioniert dies, wäre es für Michael Zimmermann ein Lichtblick. Söders neue Verordnungen setzen auch dem Leiter des AWO-Heims in Schwabmünchen und seinem Pflegeteam gewaltig zu. Was sich im Frühjahr abgespielt hat, bezeichnet der 39-Jährige offen als Drama. Vieles sei seitdem weggebrochen. Vieles, was die Bewohner bis heute schmerzlich vermissen: Veranstaltungen, gesellige Runden, der Besuch der Tiertherapeuten. Wie es weitergeht? Zimmermann weiß es nicht. Doch die Sorge wächst.

    Michael Zimmermann leitet das AWO-Seniorenheim in Schwabmünchen.  Der 39-Jährige setzt auf viel Kommunikation - mit den Bewohnern, aber auch mit den Angehörigen.
    Michael Zimmermann leitet das AWO-Seniorenheim in Schwabmünchen. Der 39-Jährige setzt auf viel Kommunikation - mit den Bewohnern, aber auch mit den Angehörigen. Foto: Ulrich Wagner

    Schließlich hat es in unmittelbarer Nähe das Haus Raphael in Schwabmünchen stark erwischt. Viele sind infiziert. Etliche schon gestorben. „Das hat man einfach nicht in der Hand – trotz all der getroffenen Hygienemaßnahmen“, sagt Zimmermann. Gelernt habe er aus dem Frühjahr, wie wichtig die Kommunikation ist. Nicht nur mit den Bewohnern. Auch mit den Angehörigen. Denn nicht alle haben Verständnis für die Sicherheitsmaßnahmen. „Wir sind aber auf die Ehrlichkeit angewiesen“, betont Zimmermann. „Wir haben beispielsweise nichts dagegen, dass jemand an Weihnachten nach Hause geholt wird, aber wir müssen es wissen. Damit wir testen können. Damit wir Vorsicht walten lassen können.“ Ein Infizierter genügt, um alle 80 Bewohner in höchste Lebensgefahr zu bringen. Angst hat er vor allem, wenn Angehörige den Bewohner vor der Tür abholen. „Sie müssen keinen Test vorlegen und ich weiß überhaupt nichts.“

    Wie gefährlich die Lage ist, spürt jeder, der das AWO-Heim betritt. Ohne Anmeldung, ohne FFP2-Maske, ohne Fiebermessen und seit Mittwoch ohne negativen Corona-Test kommt niemand ins Haus. Eine Pflegekraft wurde für alle Einlasskontrollen abgestellt. Besuche auf den Zimmern gibt es nicht mehr. Sie finden in den Gemeinschaftsräumen im Erdgeschoss statt. Immer zwei Menschen. Immer eine Plexiglasscheibe dazwischen.

    Und plötzlich kommen dem Sohn die Tränen

    Jürgen Kraft und Roland Berger verstehen diese Schutzmaßnahmen. Beide besuchen ihre Mütter regelmäßig im Heim. Schlimm sei vor allem das Frühjahr gewesen. Als die Bewohner nur noch am Balkon gesehen wurden oder – wenn sie besser zu Fuß waren – hinterm Zaun im Garten. „Da habe ich richtig Angst um meine Mutter gehabt“, sagt Jürgen Kraft. Der 56-Jährige holte früher seine Mutter ein- bis zweimal in der Woche ab. Ging mit ihr ins Restaurant, ins Café, an ihren früheren Wohnort und vor allem in die City-Galerie nach Augsburg, wo es seiner Mutter immer besonders gut gefallen hat. Dass diese Ausflüge, dieses Rauskommen, schon seit Monaten wegfällt, sei besonders hart.

    Jürgen Kraft besucht regelmäßig seine Mutter im Heim.  Allerdings trennt sie stets eine Plexiglasscheibe.
    Jürgen Kraft besucht regelmäßig seine Mutter im Heim. Allerdings trennt sie stets eine Plexiglasscheibe. Foto: Ulrich Wagner

    Plötzlich füllen sich Jürgen Krafts Augen mit Tränen. Er entschuldigt sich. Dabei gibt es nichts zu entschuldigen. Beim Erzählen kommen nur die Erinnerungen hoch. Nicht nur die an das belastende Frühjahr. Auch die an den Tag des Abschieds. Den Tag, als seine Mutter ihr selbstbestimmtes Leben aufgegeben hat. Ihr Haus. Ihren großen Garten. „Diesen Tag des Auszugs vergesse ich nie“, sagt Kraft mit belegter Stimme und blickt nach draußen in den mit Weihnachtskugeln geschmückten Garten des Heims. „Es war für meine Mutter die Hölle.“ Nicht nur für seine Mutter.

    Trauer, Schuldgefühle, Angst – auch Roland Berger kennt diese Gefühle. Zumal seine Mutter deutliche Worte für ihren aktuellen Zustand findet: „Wie die Viecher sind wir hier eingesperrt“, sage die 83-Jährige oft zu ihrem Sohn. „Wie in einem Gefängnis.“ Worte, die in dem selbstständigen Unternehmer arbeiten. Schließlich wollten er und seine drei Brüder die Mutter nie abschieben, nie allein lassen. Nur gut versorgt sollte sie eben sein – und das ging zu Hause leider nicht mehr.

    Was vor allem fehlt, sind Umarmungen

    Wenn er jetzt oft vor seiner Mutter sitzt, dazwischen die Plexiglasscheibe, wünscht er sich seine Tochter herbei. „Dass nur immer einer als Besuch erlaubt ist, finde ich sehr schwierig“, sagt Berger. „Meine Tochter hatte immer ein besonderes Verhältnis zu meiner Mutter.“ Konnte die Oma aufheitern. Sie auch an dunklen Tagen erreichen. „Mir fehlen dann oft die Worte und es entstehen belastende Pausen“, räumt der Unternehmer ehrlich ein.

    Roland Berger besucht seine Mutter regelmäßig im Seniorenheim in Schwabmünchen. Er kann die Hygienemaßnahmen verstehen. Allerdings wünscht er sich oft, dass ihn auch seine Tochter bei den Besuchen begleiten dürfte.
    Roland Berger besucht seine Mutter regelmäßig im Seniorenheim in Schwabmünchen. Er kann die Hygienemaßnahmen verstehen. Allerdings wünscht er sich oft, dass ihn auch seine Tochter bei den Besuchen begleiten dürfte. Foto: Ulrich Wagner

    Und was ist mit Telefonieren? „Klar, wir telefonieren viel – aber telefonieren ersetzt nicht die persönliche Begegnung.“ Durchs Telefon kann niemand umarmt oder gestreichelt werden. Gerade die körperliche Nähe fehle so sehr. „Für die alten Menschen ist das Ganze schon eine sehr einsame Sache.“

    Fühlen Sie sich einsam? Anna Pauli blickt einen von ihrem Rollstuhl aus direkt an. Sie zuckt mit den Schultern. Senkt dann ihren Blick. Was soll sie jetzt sagen? Wie Günter Holz ist die 87-Jährige kein Mensch, der klagt. Wie Günter Holz ist sie ein Mensch, der schon viel erlebt hat. Sie ist dankbar für die viele Hilfe, die ihr und ihrem schwer kranken Mann, der mit ihr ein Doppelzimmer im Haus teilt, zuteilwird. „Sie tun hier doch alles“, sagt sie. Auch die Kinder geben ihr Bestes. Rufen an. Versorgen sie mit Fotos. Dreimal ist sie heuer schon Uroma geworden. Schmerzen da nicht die Kontaktbeschränkungen besonders? Anna Pauli seufzt und sagt: „Ich hoffe auf bessere Zeiten.“

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