Herr Oberreuter, nach den Pannen an den Corona-Teststationen musste sich Gesundheitsministerin Melanie Huml nun im Gesundheitsausschuss des Landtags rechtfertigen. Ist sie als Ministerin noch zu halten?
Heinrich Oberreuter: Die Situation ist für sie äußerst problematisch, was vor allem daran liegt, dass Ministerpräsident Söder ihr das Ministeramt auf Bewährung verlängert hat. Vor der Sitzung des Ausschusses hätte ich gesagt: Die Lage ist offen, aber mit der Tendenz zur Beendigung des Amts. Nach der Sitzung sage ich das umso mehr. Mehrfach schon hat Söder Kompetenzen vom Gesundheits- ans Innenministerium übertragen, hat von dort einen neuen Amtschef geholt, jetzt einen neuen Sprecher fürs Krisen-PR. Er weist damit nach, dass er kein Vertrauen in die Führungskraft und die Strukturen der Behörde hat. Ich kann mich an keinen Fall in Deutschland erinnern, wo ein Ministerpräsident ein komplettes Ministerium umkrempelt, aber der Minister oder die Ministerin im Amt bleibt.
Wie konnte es soweit kommen?
Oberreuter: Ausgang für das Ganze ist doch die überwältigende Dynamik Söders, jetzt etwas Sinnvolles zu tun, also Teststationen für Urlaubsrückkehrer einzurichten, und zwar so schnell wie möglich. Er hat aber die Komplexität unterschätzt. Hinzu kommt, dass Söder kein Mensch ist, der gerne auf Widerspruch trifft. Vielleicht war der größte Fehler von Melanie Huml und Andreas Zapf (dem Chef des Landesamtes für Gesundheit, d. Red.), dass sie ihm nicht gleich gesagt haben, dass der Aufbau solcher Teststationen binnen 24 Stunden nicht möglich ist. Bei allem, was es bei dieser Benachrichtigungspanne zu kritisieren gibt, wundere ich mich allerdings, dass nicht mal die Staatskanzlei auf die Idee kommt, der Öffentlichkeit deutlich zu sagen, dass es ja ein Gewinn ist, wenn 900 Virusträger identifiziert werden. Hätte man diese Tests gar nicht gemacht, liefen diese 900 Leute womöglich unerkannt durch die Republik. Es ist doch erheblich besser, die vielen Infizierten mit ein paar Tagen Verzögerung zu identifizieren als gar nicht, wenn es keine Kontrolle gegeben hätte.
Und doch sagen sie, Söder trägt eine Mitschuld an diesem Dilemma?
Oberreuter: Nun, er will was Vernünftiges tun, und zwar schnell, muss sich dann aber auch sagen lassen, ob das möglich ist oder nicht. Das ist vielleicht sein Fehler, dass er zumindest das Image hat, dass man ihm besser nicht widerspricht. Das hat viel mit dem Machtgefühl und dem Kommunikationsgefälle in der Staatsregierung zu tun, auch mit der Eigenverantwortung eines Ministers für sein Ressort. Ich kann mir vorstellen, dass Frau Huml das Gefühl hatte: Da muss ich jetzt durch. Dieses Gefühl haben wahrscheinlich 80 Prozent der Minister in Bayern. Es ist eine Art präventive Gehorsamsbereitschaft.
Hätte Melanie Huml schon an jenem Montag an die Öffentlichkeit gehen müssen, als sie die E-Mail über die zu diesem Zeitpunkt bekannten 338 positiven Tests erhielt, die nicht zugestellt werden konnten?
Oberreuter: Schwer zu beurteilen. Ich kann mir vorstellen, dass man an jenem Montag dachte, die Situation sei beherrschbar, man kann sie binnen 24 Stunden klären. Damit wäre das Problem ja bewältigt gewesen. Ich halte es für menschlich nachvollziehbar, nichts zu skandalisieren, was mir in diesem Moment beherrschbar erscheint. Sie ist dann an die Öffentlichkeit gegangen, zwei Tage später, als die Sache nur noch schwer beherrschbar war. Da merkte man ihr an, wie schwer sie psychisch angeschlagen war.
Welchen Eindruck macht die Gesundheitsministerin generell auf Sie?
Oberreuter: Man hat den Eindruck einer sehr zurückhaltenden Amtsführung und nicht, dass sie in der Öffentlichkeit profiliert mit den Herausforderungen umgeht. Das kann zwei Gründe haben. Erstens: Es ist nicht ihr Talent. Zweitens: Über allem schwebt die Dominanz von Söder. Er sieht sich nie gehindert, Bemerkungen von Frau Huml, sagen wir vorsichtig, zu ergänzen oder gar klarzustellen. Söder hat ihr ja vor ein paar Monaten schon ein Stück Verantwortung weggenommen und dem Innenministerium übertragen. Im Grunde steht Frau Huml schon seit einem halben Jahr zur Disposition. Von daher halte ich es für problematisch, ob das noch lange für sie gutgeht.
Zur Person: Professor Heinrich Oberreuter, 77, aus Passau leitete von 1993 bis 2011 die Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
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