Wer meint, Verwaltungsrichter hätten keinen Humor, der täuscht sich – selbst wenn es, wie jetzt in der Corona-Krise, um so ernste und schwierige Fragen wie die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen in Grundrechte geht. Im Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu der Sperrstundenregelung, die vor dem „Lockdown light“ in Bayern galt, findet sich auf Seite 9 eine Pointe, die treffend illustriert, welch grundsätzlichen Mangel das deutsche Infektionsschutzgesetz hat. Die Richter stellen zur Corona-Politik zunächst fest: „Vorliegend geht es um Grundrechtseingriffe, die nach ihrer Reichweite, ihrer Intensität und ihrer zeitlichen Dauer mittlerweile ohne Beispiel sein dürften.“ Dann weisen sie darauf hin, dass der Gesetzgeber mit der Verordnungsermächtigung des Infektionsschutzgesetzes „nur die allgemein verbindliche Regelung einer lokal begrenzten Gefahrenlage ermöglichen“ wollte. Und dann kommt’s: „…bezeichnend ist insofern das in der Gesetzesbegründung allein beispielhaft genannte Badeverbot für ein bestimmtes Gewässer.“
Mehr Beispiele als die Sperrung eines Badeweihers sind dem Gesetzgeber dereinst also nicht eingefallen, um das Gesetz zu begründen, das jetzt als Rechtsgrundlage für landesweite Corona-Regeln dient. Die Richter folgern daraus: „Eine gesetzgeberische Abwägung der zur Bekämpfung einer Pandemie von bundesweiter Bedeutung erforderlichen Maßnahmen und den betroffenen Schutzgütern liegt der Verordnungsermächtigung nicht zugrunde.“ Oder einfacher ausgedrückt: Das Gesetz ist nicht für eine Pandemie gemacht.
Dass der Bundestag nachbessern muss, ist mittlerweile weitgehend Konsens bei den großen Parteien. Bisher werden die Landesregierungen nur in knappen Worten ermächtigt, „durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen“. Gestützt auf diese dürre Generalklausel können auch Grundrechte wie die Freiheit der Person oder die Freizügigkeit eingeschränkt werden, wenn dies zur Eindämmung der Infektionen notwendig ist.
Auch Ministerpräsident Markus Söder will mehr Rechtssicherheit
Das ist zu wenig, sagt auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er fordert eine breitere rechtliche Basis, um mehr Rechtssicherheit zu erreichen und den Regeln eine klarere Legitimation zu geben. An dem System, dass der Bund das Gesetz macht und die Länder die konkreten Verordnungen erlassen, will Söder allerdings nichts ändern. Eine echte Beteiligung des Landtags, die über eine Debatte wie vergangene Woche hinausgeht, will er offenbar nicht.
Darauf aber drängen im Maximilianeum insbesondere SPD, Grüne und FDP. Ihre Initiativen sind zwar dieses Jahr, wie berichtet, allesamt im ersten Anlauf gescheitert. Doch lockerlassen wollen die Oppositionsparteien nicht. „Eine Debatte über eine Regierungserklärung wie am Freitag vergangener Woche ist nicht das, was wir uns unter Parlamentsbeteiligung vorstellen“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann. Das Parlament müsse das letzte Wort haben, selbst wenn die Opposition sich in der Regel der Regierungsmehrheit beugen müsse. Allein eine Debatte sorge schon für Transparenz und Legitimation.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof bekräftigt seine kritische Haltung
Horst Arnold, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, sieht sich durch das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs ausdrücklich bestätigt. Er spricht von einem „klaren Handlungsauftrag an den Gesetzgeber“ – und zwar im Bund wie in Bayern. Seiner Auffassung nach sollte, sobald das Bundesinfektionsschutzgesetz überarbeitet sei, ein einfaches Prinzip gelten: Wenn der Bund eine Verordnung erlässt, müsse hinterher der Bundestag zustimmen; wenn die Staatsregierung eine Verordnung erlässt, der Landtag. Damit wäre eine Beteiligung der Parlamente sichergestellt, ohne die Bekämpfung einer Pandemie zu verzögern, wenn schnelles Handeln erforderlich ist. Rein praktisch sollte es in Bayern so sein, dass eine Verordnung gilt, wenn der Landtag nicht binnen einer Frist von zehn Tagen widerspricht. „Entscheidend ist, dass ein Parlament zustimmen muss“, sagt auch FDP-Fraktionschef Martin Hagen. „Wir müssen endlich raus aus dem Notstandsmodus.“
Nach dem Beschluss zur Sperrstundenregelung vom 29. Oktober hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am Donnerstag seine kritische Auffassung noch einmal bekräftigt. Zwar scheiterte nach einem Wirt auch eine Hotelkette mit einem Eilantrag gegen Corona-Maßnahmen. Das Gericht bekräftigte aber seine Zweifel, dass „erhebliche Grundrechtseingriffe über einen längeren Zeitraum allein durch die Exekutive“ mit dem Parlamentsvorbehalt vereinbar seien.