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Corona-Pause: Zwischen Freude und Angst: So lief der Kita-Neustart

Corona-Pause

Zwischen Freude und Angst: So lief der Kita-Neustart

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    Abstand zu halten ist in Kindertagesstätten oft unmöglich.
    Abstand zu halten ist in Kindertagesstätten oft unmöglich. Foto: Jens Büttner, dpa

    Etwas ist anders. Mit vorsichtigen Schritten tippelt der sechsjährige Junge durch die Tür und lässt seinen Blick musternd durch den Eingangsbereich der Augsburger Kita St. Elisabeth wandern. Mit Kapuze über dem Kopf und Maske über dem Mund nähert er sich der Sprühflasche, die auf einem kleinen Abstelltisch platziert ist. „Was ist das blaue Zeug da drin?“, fragt er seine Mutter und atmet durch den blauen Stoff tief ein. „Das stinkt voll.“ Die Mutter legt ihre Hand um das Kind: „Das macht, dass alles sauber ist. Hier sind jetzt ein paar Sachen anders, das weißt du doch.“ Der Sechsjährige schüttelt kurz seinen kleinen Kopf und geht dann in Richtung der Gruppenräume. Acht Wochen Kita-Pause sind für ihn vorbei.

    Seit Montag dürfen bayernweit alle Vorschulkinder und ihre Geschwister wieder in die Kindertagesstätten. So wie dem Sechsjährigen geht es vielen Kindern, die nach den wochenlangen Beschränkungen nun wieder zurückkehren. Viele fremdeln mit dem Geruch von Desinfektionsspray, dem Anblick der vermummten und sonst so vertrauten Erzieherinnen. „Das ist fast wie nach den Sommerferien“, sagt eine von ihnen, Verena Donau. „Der Trennungsschmerz von den Eltern ist nach der langen Zeit bei manchen schon etwas stärker.“ Während sich manches Kind an die elterliche Hand klammert, sieht man anderen Neuankömmlingen pure Freude an. Sie lachen viel, grüßen ihre Spielkameraden, toben herum. „Die Kinder verhalten sich heute noch ein bisschen deutlicher, wie sie sonst auch sind: die einen eher zurückhaltend, die anderen eher offen“, sagt Erzieherin Donau.

    Vor Neustart: Kitas hatten nur wenige Tage zur Vorbereitung

    Auch weil die Eltern ihre Kinder eine Stunde länger als sonst vorbeibringen können, ist der Andrang nach der langen Pause überschaubar. Der Einlass läuft geregelt ab. Dabei waren die Tage im Vorfeld für die Einrichtungen ein enormer Stresstest. Maria Marberger, Leiterin der Kita St. Elisabeth, lacht ungläubig, wenn sie an die vergangenen Wochen zurückdenkt. „Wer darf überhaupt kommen? Sollen die Kinder Mundschutz tragen? Wie halten wir sie auseinander? Wir standen in den vergangenen Wochen vor einem Berg von Fragen“, sagt die erfahrene Pädagogin. „Und damit sind wir uns selbst überlassen worden.“

    Zwar hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder schon am 5. Mai den Fahrplan angekündigt, nach dem die Kitas teilweise wieder geöffnet werden sollten. Doch erst am vergangenen Dienstag, kurz vor Feier- und Brückentag, verschickte das Sozialministerium eine Handreichung mit Informationen, welche Kinder wieder kommen dürfen und wie die Lockerungen vor Ort umgesetzt werden sollen. „Viele hatten nur einen Tag, um sich konkret auf die Öffnung vorzubereiten und die Eltern zu informieren“, sagt Marberger. „Das ist untragbar.“

    Wegen Corona: Kita-Leiter in Bayern geraten an ihre Grenzen

    Das Mobiltelefon der Kita-Leiterin klingelt unentwegt – im Büro, in den Gängen, in den Dienstbesprechungen. Auch wenn der Moment ungünstig ist: Marberger geht ran. Zu dringlich sind die Anliegen der Eltern, zu groß ist die Unsicherheit. „Viele Eltern stehen vor enormen Problemen – organisatorisch, aber auch finanziell. Da müssen wir helfen, wo es geht, auch wenn wir selbst nicht immer alles wissen.“ Die Kita-Leiterin ist eine Schnittstelle zwischen Eltern, Erziehern, Trägern, Kindern und Politikern. Viele Kollegen, so berichtet Marberger, kämen in diesem Interessen-Geflecht momentan an ihre Grenzen. „Manche überlegen ernsthaft, nach dieser Corona-Zeit aufzuhören.“ Ein Beispiel: Beim Dienstplan muss Marberger aktuell 18 verschiedene Arbeitszeitmodelle berücksichtigen – und das bei Gruppen, die sich ständig verändern. „Und das ist nur eines von vielen Problemen.“

    Die Administration ist das eine – die Arbeit am Kind das andere. Wie fühlt es sich an, jetzt täglich wieder mit Kindern zu arbeiten, von denen jedes Einzelne das tödliche Virus einschleppen könnte? „Man wird hellhöriger, wie oft ein Kind hustet“, sagt Erzieherin Claudia Schnitzlein, während sie im Raum der Marienkäfer-Gruppe auf einer kleinen Bank sitzt und auf ein knappes Dutzend Kinder aufpasst. Zwei Kinder stellen sich gegenüber, um herauszufinden, wer größer ist. Der Junge und das Mädchen berühren sich, Nase an Nase. Nach ein paar Sekunden gehen beide auseinander, sie zufrieden, weil größer, er beleidigt. Abstand? In diesem Alter ein Ding der Unmöglichkeit.

    Mit den Kindern kommt auch die Sorge vor Corona in die Kitas

    „Die Sorge vor einer Ansteckung kommt immer mit hierher, aber dann sehe ich die Kinder – und merke, wie viel sie mir geben“, sagt Erzieherin Schnitzlein. Auf die Neuankömmlinge lege man gerade zu Beginn ein besonderes Augenmerk. „Wir schauen genauer hin, ob es einem Kind vielleicht nicht so gut geht.“ Wenn das der Fall sei, müsse man auf das Kind eingehen. Körperkontakt lasse sich dabei aber nicht immer vermeiden. „Da muss man schon realistisch sein. Zu unserem Beruf gehört es, Nähe zu zeigen – wenn das nicht mehr möglich ist, ist das auch nicht mehr mein Beruf.“

    Immerhin: Nach dem Eindruck von Kita-Leiterin Maria Marberger wurde die Erziehungsarbeit selten so wertgeschätzt wie aktuell. „Viele Eltern haben sich bedankt“, sagt sie am Ende des ersten Tages nach der Kita-Öffnung für Vorschulkinder. „Das ist doch was.“

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