Der bemerkenswerteste Satz steht ganz am Ende. Zuerst geht es in der Pressemitteilung des Landratsamtes Donau-Ries darum, welche Änderungen sich nach dem Erreichen des Warnwerts von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen sieben Tagen ergeben. Um Dinge eben, die derzeit viele Regionen umtreiben. Doch am Schluss des Schreibens geht es dann auch um etwas ganz Grundsätzliches: Darum, wie immer neue Regeln die Arbeit in den Landratsämtern verkomplizieren.
bemängelt in der Mitteilung seiner Behörde, dass durch immer neue staatliche Regelungen selbst für die Ämter die aktuell geltenden Grundlagen immer undurchsichtiger würden und für den Bürger erst recht nicht mehr nachvollziehbar seien. „Einheitliche, klare Vorgaben, auch mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf als Handlungsgrundlage für die Landratsämter und auch für unsere Bürger wären dringend erforderlich“, schreibt der CSU-Politiker.
Viele Landräte finden die Corona-Politik unübersichtlich
Rößle ist nicht der einzige Landrat, der Kritik äußert. Immer öfter wird deutlich: An der Basis rumort es – aus ganz unterschiedlichen Gründen.
Auch Alex Eder, Landrat im Unterallgäu, hadert mit dem aktuellen Kurs der Staatsregierung – und zwar, weil er die örtlichen Gesundheitsämter für am besten geeignet hält, um die jeweilige Situation vor Ort einzuschätzen. „Bei allem Verständnis für den Wunsch nach einheitlichen Lösungen: Uns werden dadurch immer mehr eigene Entscheidungsmöglichkeiten genommen“, sagt der Freie-Wähler-Landrat.
Bis vor Kurzem sei es etwa möglich gewesen, dass das örtliche Gesundheitsamt bestimmt, wann welche konkreten Maßnahmen ergriffen werden. Mittlerweile hänge das alleine von der Sieben-Tage-Inzidenz ab, die aber den tatsächlichen Gesundheitszustand und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems vor Ort nicht mit beurteile, sagt Eder. „Ich befürchte, dass es in Zukunft noch mehr staatlich einheitliche Vorgaben geben wird.“ Denn schließlich werde die Anzahl positiver Testergebnisse weiter steigen. „Es wird versucht, alles zu unternehmen, um die Kurve abzuflachen. Nur werden die Entscheidungen eben fernab der Basis getroffen.“
Ostallgäuer Landrätin Zinnecker wünscht sich zentrale Corona-Regeln aus Berlin
Die Ostallgäuer Landrätin Maria Rita Zinnecker sieht die ganze Sache etwas anders. Über den Sommer – bei vereinzelten regionalen Hotspots – sei es richtig gewesen, die Entscheidungen über Maßnahmen an die Behörden vor Ort abzugeben. Angesichts des massiven Ausbruchsgeschehens in ganz Europa würde sie sich nun aber wieder mehr zentrale Vorgaben aus Berlin, München oder sogar Brüssel wünschen. „Aktuell im Bereich der Schulen erleben wir mit der Diskussion um Präsenz- oder Distanzunterricht beziehungsweise die Maskenpflicht in allen Jahrgangsstufen, wie wichtig einheitliche Vollzugsregelungen wären“, sagt die CSU-Politikerin.
Der Ruf nach Einheitlichkeit würde nun lauter, sagt auch Indra Baier-Müller, Landrätin im Oberallgäu. „Gleichzeitig erwartet die Bevölkerung jedoch individuelle und auf die Region zugeschnittene Lösungen, ohne dass der Überblick verloren geht. In diesem Spannungsfeld zu agieren, ist herausfordernd“, sagt die Freie-Wähler-Landrätin. Viele Bürger seien ohnehin schon verunsichert, „wenn sich Regeln, die sich auch auf den privaten Bereich auswirken, zum Teil täglich geändert werden.“
Längst beschäftigt die Ämter nicht nur die Frage, wie viel denn nun von München oder Berlin vorgegeben werden sollte – sondern auch, wie sie die Arbeit in der Behörde überhaupt schaffen sollen. Denn die Zeit, die Vorgaben umzusetzen, ist knapp. Das gilt vor allem für die Kontaktnachverfolgung nach einem positiven Corona-Testergebnis. Um das zu schaffen, bekommen manche Ämter mittlerweile sogar Unterstützung von der Bundeswehr.
Landratsämter haben wegen Corona eine immense Arbeitsbelastung
Dass das Pensum immens sein, das hört man derzeit aus so gut wie allen Kreis-Behörden. Klaus Metzger etwa, CSU-Landrat im Landkreis Aichach-Friedberg, sagt: „Die Arbeitsbelastung ist für das ganze Amt seit März konstant extrem hoch. Wir haben ja auch noch andere Aufgaben zu erledigen.“ Landrat Leo Schrell aus dem Landkreis Dillingen formuliert es noch ein wenig deutlicher. „Die Arbeitsbelastung ist grenzwertig“, sagt der Freie-Wähler-Mann. Bei den Mitarbeitern, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingesetzt werden, gebe es regelmäßig Überstunden und Einsatzzeiten am Wochenende.
Angesichts des enormen Pensums drängt Schrell auf ein schnelleres Handeln in München: „Für die zeitlich oft ambitionierte Umsetzung von neuen Vorgaben und Rechtsänderungen wäre es hilfreich, wenn die hierfür erforderlichen formalen Rechtsakte unmittelbar im Anschluss an die Pressekonferenzen veröffentlicht würden.“ Denn so, fährt Schrell fort, könnten viele Bürgeranfragen zielgerichteter beantwortet und die Umsetzung von Rechtsänderungen strukturierter und effektiver angegangen werden.
Es gab keine Blaupause für die Politik
Auch der Neu-Ulmer Landrat Thorsten Freudenberger räumt ein, dass die Umsetzung mancher staatlichen Vorgaben schon „sehr sportlich“ sei. Freudenberger hält der Staatsregierung aber auch eines zugute: „Es gab bisher keine Blaupause, nicht für die Politiker in München und auch nicht für die Bundesregierung in Berlin.“ Dass es in dieser Sondersituation immer wieder Maßnahmen gebe, die sehr schnell umgesetzt werden müssten, sei klar. „Das stellt uns als Landratsamt vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Gegängelt fühlen wir uns aber nicht.“
Freudenberger sieht derweil ein anderes Problem: die mitunter schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung. „Dabei ist es jetzt dringend erforderlich, die bekannten Regeln einzuhalten. Also: Sozialkontakte minimieren, Abstand halten, Maske tragen, Hände waschen.“
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