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Corona-Pandemie: Augsburger Professor rechnet aus: So weit sind die Schüler zurückgefallen

Corona-Pandemie

Augsburger Professor rechnet aus: So weit sind die Schüler zurückgefallen

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    Einsames Lernen: Viele Kinder haben in den vergangenen Monaten darunter gelitten.
    Einsames Lernen: Viele Kinder haben in den vergangenen Monaten darunter gelitten. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Es ist die wichtigste Frage für den Unterricht nach der Corona-Krise. Eine Frage, die darüber entscheidet, wie schnell Schüler nach der Pandemie wieder ohne Probleme lernen können. Die Frage lautet: Wie viel Wissen haben Kinder und Jugendliche in den Monaten des Lockdowns verloren? Bisher konnte darüber nur spekuliert werden. Klaus Zierer, Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, präsentiert jetzt eine erste Antwort: Grundschüler hätten allein im ersten Lockdown zwischen Mitte März und Mitte Mai 2020 durchschnittlich ein halbes Schuljahr verloren.

    Weil an Bayerns Schulen bis heute nicht geprüft wurde, auf welchem Lernstand die Schüler sind, haben der Professor und sein Team Erkenntnisse aus anderen Ländern zum Vergleich herangezogen. In der Wissenschaft spricht man von einer Meta-Analyse.

    Experten sind sich sicher: Alle Schüler sind im Lockdown schlechter geworden

    Die Bildungsforscher verglichen dafür Lernstandsanalysen von Grundschülern aus der Schweiz, den Niederlanden und den USA. Insgesamt umfasst der Datensatz die schulischen Leistungen von mehr als 600.000 Grundschülern. In allen Ländern schlossen die Schulen – wie hier – erstmals am 16. März 2020. Zierer ist überzeugt davon, dass sich die Erkenntnisse aus den drei Nationen auch auf bayerische Schüler anwenden lassen.

    Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer von der Uni Augsburg.
    Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer von der Uni Augsburg. Foto: Zierer, Uni Augsburg

    In allen getesteten Bereichen – Mathematik, Lesen, Grammatik, Rechtschreibung – waren die Schüler im Vergleich zu Jahren ohne Corona auf einem niedrigeren Leistungsstand. Der Rückgang treffe alle, unabhängig von Alter, Geschlecht und ihrem bisherigen Niveau. „Selbst die Besten gehen geschwächt aus so einem Lockdown heraus“, erklärt Zierer. Allerdings – und das findet der Pädagoge besonders bedenklich – seien die negativen Effekte bei Kindern aus Familien mit dem niedrigsten und einem eher niedrigen Bildungsniveau besonders dramatisch. „Bei Kindern aus bildungsfernen Milieus können Sie davon ausgehen, dass fast ein ganzes Schuljahr weg ist, bei bildungsnahen Milieus ist es in etwa ein Viertelschuljahr.“

    Für ältere Schüler gibt es weit weniger Daten. „Die meisten Erhebungen enden bei der 5. und 6. Jahrgangsstufe. Manche berichten negative Ergebnisse, schwächer als in der Grundschule. Manche kommen zu dem Schluss, dass kein Nachteil entstanden ist, aber auch kein Vorteil.“ Bei den älteren macht Zierer vor allem die entwicklungspsychologische Komponente Sorgen, die Identitätsfindung, die im Alter von zwölf bis 16 Jahren zentral sei. „Sie kann nur gelingen im sozialen Austausch, mit den Peers, in der Gruppe.“ Mit den Freunden, die die Schüler so lange nicht sehen konnten und wegen der hohen Inzidenzzahlen jetzt wieder kaum treffen.

    Schüler haben durch den Lockdown im schlimmsten Fall ein Jahr verloren

    Die Schweiz und die Niederlande haben ihre Grundschüler nach dem ersten Lockdown im Frühling 2020 getestet, kurz nachdem die Schulen wieder aufgemacht hatten. Auch in Bayern durften die ersten Grundschüler damals nach acht Wochen zurück in ihre heiß geliebten Klassenzimmer.

    Die Monate zogen ins Land, ohne dass Schüler über einen wirklich langen Zeitraum hinweg verlässlich in die Schule konnten – und Mitte Dezember erneut in den Distanzunterricht gingen. Der Augsburger Lehrstuhlinhaber folgert daraus: „Wenn man hochrechnet, dass der Lockdown sich mittlerweile auf 20 Wochen summiert hat und Wechselunterricht ja auch Unterbrechungen beim Lernen mit sich bringt – dann ist unter Umständen am Ende ein Jahr Schule dahin.“

    Die Schweiz hat nach den Tests vom Frühjahr einen Schlussstrich gezogen. Danach blieben die Schulen offen, pädagogischer Nutzen siegte über die Gefahr von Ansteckungen. Die Erfahrungen im Frühjahr hätten das Risiko gezeigt, lernschwächere Schüler und solche aus bildungsfernen Familien im Fernunterricht zu verlieren, heißt es etwa aus der Schulbehörde des Kantons Schaffhausen, gelegen an der Grenze zu Deutschland unweit des Bodensees.

    In Bayern ist das Kultusministerium noch damit beschäftigt, Schulen mit Schutzausrüstung und Tests auszustatten. Das Förderkonzept für mobile Luftfilter hat Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) am Donnerstag verlängert. Schulen können für alle Räume die Unterstützung beantragen. Lehrern werden 2,6 Millionen FFP2-Masken zur Verfügung gestellt.

    Aber wie verhindert man pädagogische Langzeitschäden? Söder und Piazolo haben in der zweiten Märzwoche ein 40 Millionen Euro schweres Förderprogramm für Schüler angekündigt, die Unterstützung brauchen. Rund 3000 Personen, darunter Studenten und Pensionisten, sollten mithelfen und begleitend etwa „eine Art Nachhilfe“ anbieten, wie Söder es nannte.

    Wann das alles greift, sagte er nicht. Zudem werde ein Ferienprogramm entwickelt, bei dem es darum gehe, Lernen „mit Spaß und Sport“ zu verbinden.

    Damit all das einen Nutzen hat, braucht es laut dem Pädagogik-Experten Klaus Zierer vorher noch etwas ganz anderes: „Der entscheidende Punkt aus Forschungssicht ist die Diagnostik: Wie können wir Lerndefizite sicher feststellen und wie können wir sicherstellen, dass die richtigen Aufgaben mit den Lernenden bearbeitet werden?“

    Wegen Corona: Sommerschule im Bistum Augsburg

    Dafür braucht es Lerntests, die die hiesige Bildungspolitik bislang vermeidet. Zierer hält es für ein „bildungspolitisches Versagen, wenn man nicht versucht, systematisch Erkenntnisse über den Lernstand der Schüler zu bekommen und festzustellen, wie sie durch die Pandemie gekommen sind.“ Das war schließlich der Grund, warum die Universität Augsburg auf die Erkenntnisse anderer Länder zurückgreifen musste.

    Die privaten Schulen in Bayern versuchen unabhängig vom Staat, die Lernlücken so schnell wie möglich zu beheben – besonders intensiv im Schulwerk des Bistums Augsburg. Zusammen mit den Experten dort arbeitet Zierer an einer Sommerschule für die großen Ferien. In der ersten und der letzten Ferienwoche bleiben die Kinder an den Schulen. Erst wird gezielt getestet, wo sie Nachholbedarf haben. In kleinen Gruppen von fünf Schülern sollen sie mit passgenauen Aufgaben und der Hilfe von Augsburger Lehramtsstudenten ihre Lücken füllen.

    Hundert Studierende sind schon dabei. Sie werden sich in einem Intensivkurs im kommenden Sommersemester auf ihre große Aufgabe vorbereiten.

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