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Corona: Ortsbesuch: Wie der Lockdown die Menschen im Berchtesgadener Land trifft

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Ortsbesuch: Wie der Lockdown die Menschen im Berchtesgadener Land trifft

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    Polizeibeamte streifen am Dienstag durch die Berchtesgadener Innenstadt, um die Einhaltung der drastisch verschärften Corona-Regeln zu kontrollieren.
    Polizeibeamte streifen am Dienstag durch die Berchtesgadener Innenstadt, um die Einhaltung der drastisch verschärften Corona-Regeln zu kontrollieren. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Es könnte ein so wunderbarer Herbsttag in Berchtesgaden sein. So wie man sich einen goldenen Oktobernachmittag eben vorstellt. Wie bei einem Postkartenmotiv leuchten die Blätter der Kastanien, Eichen und Linden in Gelb, Orange und Rot. Obwohl die Spitzen der umliegenden Alpengipfel schon mit Schnee bedeckt sind, wäre es eigentlich noch warm genug, um den ganzen Tag an der frischen Luft zu verbringen. Um das letzte Eis des Jahres zu schlecken, mit Freunden einen Latte macchiato auf der Terrasse des Lieblingscafés zu trinken oder durch die Ortsmitte zu spazieren und in den vielen kleinen Läden zu bummeln. Doch wer an diesem Tag durch die oberbayerische Marktgemeinde geht, stellt sofort fest, dass dieser Dienstag eben kein typischer

    Ausgangsbeschränkung im Berchtesgadener Land: Notbetreuung und Abreise

    Es ist kurz vor halb zwei, die kleinen Gässchen in der Ortsmitte sind wie leer gefegt. Die wenigen Menschen, die unterwegs sind, haben es eilig. Sie besorgen noch eine Kleinigkeit beim Metzger oder im Schreibwarengeschäft, dann eilen sie gleich wieder weiter. Ungefähr eine halbe Stunde bleibt ihnen noch Zeit. Dann müssen sie zu Hause sein. Und dortbleiben. Denn ab 14 Uhr an diesem Dienstag gilt im Berchtesgadener Land eine Ausgangsbeschränkung.

    "Ab hier gilt Maskenpflicht!": Der Eingang zur Fußgängerzone in der Innenstadt.
    "Ab hier gilt Maskenpflicht!": Der Eingang zur Fußgängerzone in der Innenstadt. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Zwei Wochen lang dürfen die Menschen nur noch aus triftigen Gründen vor die Tür gehen, Schulen und Kitas bieten nur eine Notbetreuung an. Hunderte Touristen müssen abreisen, Hotels, Sporthallen, Bars und Freizeiteinrichtungen aller Art schließen.

    Den Landkreis treffen die strengsten Corona-Maßnahmen in Deutschland seit dem nationalen Lockdown im Frühjahr. Denn das Berchtesgadener Land hält in diesen Tagen bundesweit einen Negativ-Rekord. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also der Wert der Neuinfektionen mit dem Coronavirus pro 100.000 Einwohner, liegt an diesem Dienstag bei 236.

    Warum die Infektionszahlen ausgerechnet im Landkreis Berchtesgadener Land so nach oben geschossen sind – die Behörden halten sich mit Aussagen zurück. Landrat Bernhard Kern (CSU) sprach am Dienstag erneut von einem „diffusen Infektionsgeschehen“. Manche spekulierten, dass die lokale Welle von einer Geburtstagsfeier mit hundert Gästen ausging. Dem widersprach Landrat Kern – eine einzelne Feier sei nicht die Ursache gewesen. Andere vermuteten, dass vom Nachbarort Kuchl auf österreichischer Seite etwas eingeschleppt wurde –

    Corona-Beschränkungen in : „Es ist schon irgendwie ungerecht“

    Die hohen Infektionszahlen beschäftigen Politik wie Einheimische. So wie die beiden Frauen, die auf dem Weg zur Parkgarage diskutieren, was jetzt eigentlich noch erlaubt ist und was nicht. Und den Mann, der mit seiner Tochter vor einem Restaurant auf das Mittagessen wartet, dass die beiden zum Mitnehmen bestellt haben. Als er zu erzählen beginnt, tritt er erst mal zwei Schritte zurück, vergrößert den Abstand, und rückt seine hellblaue Maske zurecht. „Ich halte die Maßnahmen für absolut notwendig“, sagt er. „Aber es ist schon irgendwie ungerecht. Die meisten halten sich an die Corona-Regeln, und dann gibt es ein paar Partys, und alle vernünftigen Menschen müssen dafür büßen.“

    Es sei einfach Zufall, dass es das Berchtesgadener Land als Erstes getroffen hätte, vermutet er. „Ich glaube, das wird in nächster Zeit auch in anderen Landkreisen passieren. Aber ich bin optimistisch, dass wir die Zahlen wieder in den Griff kriegen. Es sind ja nur zwei Wochen, das schaffen wir.“

    Mit seiner Zuversicht ist er nicht allein, wenn man andere Passanten anspricht und sie fragt, was sie von dem regional beschränkten Lockdown halten. „Ich habe vollstes Verständnis dafür“, sagt eine ältere Frau, die einem Fernseh-Journalisten ein Interview gibt, von denen an diesem Dienstag so viele mit ihren Kameras, Mikrofonständern und Smartphones durch Berchtesgaden streifen. So sieht es auch das Ehepaar, das um kurz vor zwei Uhr auf dem Weg nach Hause ist. „Wir unterstützen den Lockdown, das Wichtigste ist, dass wir jetzt alle gesund bleiben. Aber wenn man sich umschaut“, sagt die Frau und deutet mit ihrem Arm hinter sich, „dann ist es schon irgendwie ziemlich unheimlich.“

    Aufräumen vor der Ausgangssperre: In Schönau am Königssee räumt eine Frau ihren Stand.
    Aufräumen vor der Ausgangssperre: In Schönau am Königssee räumt eine Frau ihren Stand. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Man versteht, was sie meint. Es beschleicht einen ein mulmiges Gefühl, wenn man sich umsieht. Wie die Polizei durch die Straßen patrouilliert. Wie Ladenbesitzer mit gerunzelter Stirn vor ihren Geschäften stehen, weil keine Kunden mehr kommen. Die Fahrzeugschlangen auf dem Weg zur Autobahn, viele Autos und Wohnwagen mit auswärtigen Kennzeichen. Die Mutter, die mit ihren beiden kleinen Kindern die Straßenseite wechselt, weil der Gehsteig zu eng ist, um den nötigen Abstand einzuhalten. „Dabei ist es bei uns doch so schön“, sagen Vater und Tochter, als sie die Papiertüte mit ihrem Mittagessen entgegennehmen und sich auf den Heimweg machen.

    Fast 200 Kilometer Luftlinie trennen das Berchtesgadener Land von Augsburg. Mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 124,5 und aktuell 446 Infizierten steht die 300.000-Einwohner-Stadt hinter dem Landkreis

    Augsburgs Oberbürgermeisterin Weber: „Aktuell wirklich ernste Lage“

    Die auffälligste Konsequenz: In der gesamten Innenstadt müssen Passanten auch im Freien einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Darüber hinaus herrscht in der Gastronomie um 22 Uhr Zapfenstreich. Es dürfen sich nur noch fünf Personen aus mehr als zwei verschiedenen Haushalten treffen. Im Pflegeheim gelten strengere Besuchsregeln, und der FCA musste vor leeren Rängen antreten.

    Doch genügen diese Maßnahmen, um die Pandemie in Schach zu halten? Augsburgs Oberbürgermeisterin Eva Weber spricht von einer „aktuell wirklich ernsten Lage“. Das Wort „Lockdown“ nimmt die CSU-Kommunalpolitikerin zwar nicht in den Mund, betont aber: „Ob die getroffenen Maßnahmen ausreichen, hängt von der Entwicklung des Infektionsgeschehens in den nächsten Tagen ab.“

    In Berchtesgaden kündigt Landrat Bernhard Kern derweil an, dass am Mittwoch Soldaten der Bundeswehr eintreffen sollen, um das Landratsamt bei der Nachverfolgung der Infektionsketten zu unterstützen. Das Wichtigste sei nun, dass die Bevölkerung die Einschränkungen mittrage. Er hoffe, damit bald wieder einstellige Zahlen bei dem sogenannten Inzidenzwert zu erreichen – und die Schulen nach den Herbstferien am 9. November wieder öffnen zu können.

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