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Corona-Maßnahmen: Kinderschutzbund und Sektenbeauftragter warnen vor "Aktion Kinderschuhe"

Corona-Maßnahmen

Kinderschutzbund und Sektenbeauftragter warnen vor "Aktion Kinderschuhe"

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    Gut 200 Kinderschuhe wurden vor dem Schulamt Krumbach abgestellt. Jedes Paar Schuhe stehe für ein Kind, das in der Corona-Pandemie leide, hieß es.
    Gut 200 Kinderschuhe wurden vor dem Schulamt Krumbach abgestellt. Jedes Paar Schuhe stehe für ein Kind, das in der Corona-Pandemie leide, hieß es. Foto: Annegret Döring

    Kinderschuhe an Denkmälern, auf öffentlichen Plätzen und vor Rathäusern. Mal wenige Paare, mal Dutzende. Ordentlich nebeneinander gestellt. Dazu Teddybären, Luftballons sowie zahlreiche bunt bemalte Plakate. Auf denen steht, teils in Kinderschrift, zum Beispiel: „Ich möchte mich nicht gegen Corona testen lassen“ oder „Freiheit für unsere Kinder!“ Oder: „Kinder brauchen Viren und Bakterien, um ihr Immunsystem zu trainieren und um zu leben“. Die „Aktion Kinderschuhe“ gegen Anti-Corona-Maßnahmen, die sich vor allem auf Kinder und Eltern auswirken, sorgt bundesweit für Irritationen, zunehmend auch in Bayern.

    Dort gab es etwa in Vöhringen (Kreis Neu-Ulm), Markt Rettenbach, Bad Wörishofen (Kreis Unterallgäu), Buchloe (Kreis Ostallgäu) oder Krumbach (Kreis Günzburg) derartige Proteste. Nach Ansicht von Experten täuscht deren harmloser Eindruck. Matthias Pöhlmann, der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sagte unserer Redaktion: „Es ist gut belegt, dass die ’Aktion Kinderschuhe’ aus der ’Querdenken’-Bewegung heraus stammt. Sie ist geschmacklos und gefährlich. Gefährlich, weil sie einer Strategie der Verunsicherung folgt; geschmacklos, weil sie unheilvolle Erinnerungen an die Nationalsozialisten weckt, die 1,5 Millionen Kinder umbrachten. In den Konzentrationslagern türmten sich Berge von Kinderschuhen.“

    Eltern stellen, oft gemeinsam mit ihren Kindern, Schuhe vor Rathäuser

    Ihren Ausgangspunkt hatte die „Aktion Kinderschuhe“ vermutlich Mitte März in Ostdeutschland. In den sächsischen Landkreisen Zwickau und im Erzgebirgskreis gab es damals massive Proteste gegen erneute Schulschließungen. Zum Ablegen von Kinderschuhen war über soziale Netzwerke aufgerufen worden, berichtete die Tageszeitung Freie Presse. Auch Kleinkinder hätten Schuhe abgestellt. Auf der Internetseite Corona-blog.net etwa fand sich dann am 23. März ein entsprechender Aufruf: „Wir tragen am 01. April Schuhe vor unsere Rathäuser“. Von einem „nicht mehr vermittelbaren Maßnahmen-Irrsinn“ war die Rede, „der unsere Kinder quält und die Realität aller anderen dauerhaft zerstört“. Gefordert wurde: „Stoppt die Maskenpflicht an Schulen. Stoppt den Lockdown. Stoppt die Isolation“.

    Gebastelte Plakate, Kinderschuhe und Grablichter: So protestierten Eltern in Krumbach unter anderem gegen die Corona-Testpflicht an Schulen.
    Gebastelte Plakate, Kinderschuhe und Grablichter: So protestierten Eltern in Krumbach unter anderem gegen die Corona-Testpflicht an Schulen. Foto: Annegret Döring

    Das „Medienportal“ Corona-blog.net lässt sich als eine Art Überblicksseite beschreiben, auf der Inhalte aus dem „Querdenken“- und neurechten Spektrum veröffentlicht werden oder zu ihnen verlinkt wird, zum Beispiel zu Gruppen wie „Christen im Widerstand“; oder „Freiheitsboten“, die aus einer Initiative von Bodo Schiffmann heraus entstand. Der Arzt aus Baden-Württemberg ist ein Star der von den Verfassungsschutzbehörden in Teilen beobachteten „Querdenken“-Bewegung.

    Zur „Aktion Kinderschuhe“ wird vor allem über Telegram und Facebook aufgerufen, häufig in ähnlichen Formulierungen. Auch der Verein „Eltern stehen auf“ mit Vereinsadresse in Nürnberg verbreitet den Aufruf – mit der Bemerkung, „Schuhe und Holocaust in einen Assoziationszusammenhang zu bringen“, habe „mit unbewältigten Schuldgefühlen zu tun“. In der Bibel stehe der Schuh für Freiheit und Selbstbestimmung. „Warum also im christlichen Abendland nicht Kinderschuhe als Freiheitsmahnmal für die Jüngsten installieren?!“ Hinter diesen Ausführungen stecke das geschichtsrevisionistische Narrativ des „Schuldkults“, das Rechtspopulisten und Rechtsextreme verbreiten, erklärte der Sektenbeauftragte Pöhlmann. Für „Eltern stehen auf“ ist eine Masken- und Testpflicht an Schulen physische und psychische Gewalt.

    Verschwörungsideologie-Experte Pöhlmann: Die "Aktion Kinderschuhe" ist "geschmacklos und gefährlich" - sie erinnere an die Nazis

    Wer sich an der „Aktion Kinderschuhe“, die mancherorts von Kommunalpolitikern geduldet oder unterstützt wurde, beteiligt, muss kein „Querdenker“ oder „Corona-Leugner“ sein. Teilnehmer distanzierten sich bereits öffentlich davon oder gaben an, die Hintergründe der Aktion nicht zu kennen. Matthias Pöhlmann sagte dazu: „Sicher, nicht alle, die sich an der ’Aktion Kinderschuhe’ beteiligen, sind ’Querdenker’. Sie machen sich damit aber zu Unterstützern von Verschwörungsideologien und Holocaustrelativierung.“

    Gebastelte Plakate, Kinderschuhe: Auch vor dem Rathaus in Bad Wörishofen protestierten Eltern.
    Gebastelte Plakate, Kinderschuhe: Auch vor dem Rathaus in Bad Wörishofen protestierten Eltern. Foto: S. Böhm

    Bei der Aktion in Bad Wörishofen Anfang April hatte sich CSU-Bürgermeister Stefan Welzel mit protestierenden Müttern und ihren Kindern vorm Rathaus fotografieren lassen – er trug dabei als einziger Maske. Auf der Facebook-Seite der Stadt ließ er später mitteilen: „Er (Welzel, die Red.) zeigte Verständnis für die für alle Beteiligten nun seit Monaten andauernde, schwierige Situation im Kita- und Schulumfeld.“ Er habe die Mütter, die die Corona-Verordnungen an Schulen und Kitas in der jetzigen Form nicht gutheißen würden, darauf hingewiesen, dass Entscheidungsträger die Bayerische Staatsregierung sei.

    Weiter hieß es in dem Facebook-Beitrag: "Bürgermeister Welzel versprach, sich hier politisch dafür einzusetzen, dass noch mehr Rücksicht auf das Kinderwohl genommen wird. 'Es kann nicht sein, dass man seitens des Kultusministeriums den Schulleitern empfiehlt, die vorgegebenen Tests mit psychologischer Betreuung zu flankieren. Das hieße, sehenden Auges Probleme zu schaffen. Richtiger ist, einen Weg zu finden, bei dem die Kinder möglichst keinen weiteren psychischen Belastungen ausgesetzt werden', so der Bürgermeister."

    Am Dienstag sagte Stefan Welzel auf die Frage, wie er inzwischen mit dem Wissen um die Hintergründe der bundesweiten "Aktion Kinderschuhe" über diese Form des Protests denke: "Meine Aufgabe ist es, den Mitmenschen vor Ort zuzuhören und nach Möglichkeit Lösungen für Probleme und Anliegen zu finden."

    Alexandra Schreiner-Hirsch vom Kinderschutzbund Landesverband Bayern e.V. erklärte zu der "Aktion Kinderschuhe" auf Anfrage: „Wir gehen davon aus, dass die meisten Eltern sich einfach für ihre Kinder einsetzen wollten und ihnen nicht bewusst war, dass sie von den Initiatorinnen und Initiatoren für andere Ziele instrumentalisiert wurden.“ Kinder und Jugendliche dürften natürlich auf der Basis ihrer Rechte auch an Demonstrationen teilnehmen. Es liege aber in der Verantwortung der Eltern hier je nach Alter der Kinder „sehr sorgsam zum Wohle der Kinder auszuwählen“. „Je nachdem, was sie auf solchen Veranstaltungen Verstörendes erleben müssen, können noch mehr Ängste und Unsicherheiten bei den Kindern geschürt werden“, warnte Schreiner-Hirsch.

    Kinderschutzbund: Maßnahmen wie Schnelltests und Masken werden von Kindern unaufgeregt umgesetzt

    Sie betonte zudem: "Wir verstehen und teilen die große Sorge aller Eltern um ihre Kinder in dieser Pandemie und stehen als Verband sowie als Pädagoginnen und Mütter ganz klar auf dem Standpunkt, dass wir das Wohl der Kinder und Jugendlichen in dieser Krise noch viel mehr in den Mittelpunkt rücken müssen." Der Kinderschutzbund begrüße es daher "grundsätzlich und ausdrücklich, wenn Eltern mit ihren Kindern über die Pandemie und die Maßnahmen der Regierung sprechen, sich auch kritisch damit auseinandersetzen und wenn Eltern sich auf unterschiedlichste Arten für und mit Ihren Kindern für die Umsetzung der Rechte einsetzen."

    Allerdings müsse Eltern dabei "immer die große Verantwortung bewusst sein, dass unsere Kinder sich an unserem Vorbild orientieren. Wir müssen uns daher bei all der Sorge um unsere Kinder immer fragen, ob dies unsere Ängste und Sorgen sind oder tatsächlich die unserer Kinder", so Alexandra Schreiner-Hirsch.

    Gegenüber unserer Redaktion sagte sie auch, dass es die Pflicht verantwortungsbewusster Eltern sei, "immer genau zu prüfen, woher wir unsere Informationen rund um die Pandemie beziehen und ob diesen seriösen Berichterstattungen und Informationen zugrunde liegen". Alexandra Schreiner-Hirsch: "Es muss uns klar sein: Wir entscheiden mit unserer Haltung, ob wir unsere Kinder zu kritisch denkenden, mündigen Bürgern und Bürgerinnen in einem demokratischen Staat erziehen oder eben zu Verschwörungserzählern, die niemandem trauen und allen Böses unterstellen."

    Diese Corona-Regeln gelten aktuell in Bayern

    Die Corona-Regeln in Bayern sollen ab 8. März schrittweise gelockert werden. Die Öffnungsschritte erfolgen zeitlich versetzt und unterscheiden sich regional. Ob und wie sehr Beschränkungen wegfallen, hängt von der Sieben-Tage-Inzidenz vor Ort, also im jeweiligen Landkreis oder einer kreisfreien Stadt ab.

    Kontaktbeschränkung

    • unter 35: bis zu drei Haushalte und zehn Personen

    35 bis 100: bis zu zwei Haushalte und fünf Personen

    • über 100: ein Haushalt und eine weitere Person

    Kinder werden jeweils nicht mitgezählt.

    Einzelhandel

    Ab 8. März gilt:

    • unter 50: Öffnung des Einzelhandels

    • über 50: Besuch nur nach Terminvereinbarung

    • über 100: nur Geschäfte des täglichen Bedarfs geöffnet

    Sport

    Ab 8. März gilt:

    • unter 50: kontaktfreier Sport mit max. 10 Personen im Außenbereich

    • über 50: Individualsport mit maximal 5 Personen aus 2 Haushalten und Gruppen von bis zu zwanzig Kindern bis 14 Jahren im Außenbereich

    • über 100: Individualsport nur im Rahmen der Kontaktbeschränkung

    Ab 22. März gilt:

    • unter 50 seit 14 Tagen: kontaktfreier Sport im Innenbereich, Kontaktsport im Außenbereich

    50 bis 100 seit 14 Tagen: kontaktfreier Sport im Innenbereich sowie Kontaktsport im Außenbereich nur mit tagesaktuellen Schnell- oder Selbsttests

    Buchhandlungen, Archive und Bibliotheken

    Ab 8. März gilt:

    • Buchhandlungen, Archive, Bibliotheken und Büchereien dürfen wieder öffnen.

    Museen, Galerien, zoologischen und botanischen Gärten sowie Gedenkstätten

    Ab 8. März gilt:

    • unter 50:Besuch ohne Terminvereinbarung möglich

    50 bis 100: Besuch nur mit vorheriger Terminbuchung und Kontaktnachverfolgung möglich

    • über 100: keine Öffnung

    Schulen

    Ab 15. März gilt:

    • unter 50: Präsenzunterricht in allen Grundschulen und Förderschulen

    • unter 100: Wechselunterricht in allen anderen Schularten

    50 bis 100: Wechselunterricht in Grundschulen

    • über 100: generell Distanzunterricht außer in Abschlussklassen

    Die Festlegung der Unterrichtsform gilt für die gesamte Schulwoche, auch wenn sich die Inzidenz unter der Woche ändert.

    Außengastronomie

    Ab 22. März gilt:

    • unter 50 seit 14 Tagen: Außengastronomie öffnet

    50 bis 100 seit 14 Tagen: Besuch der Außengastronomie nur nach Terminbuchung möglich; Personen aus mehreren Hausständen benötigen tagesaktuellen Schnell- oder Selbsttest, wenn sie am selben Tisch sitzen

    • über 100: keine Öffnung

    Theater, Konzert- und Opernhäuser sowie Kinos

    Ab 22. März gilt:

    • unter 50 seit 14 Tagen: Theater, Konzert- und Opernhäuser öffnen

    50 bis 100 seit 14 Tagen: Besuch nur mit tagesaktuellem Schnell- oder Selbsttest

    • keine Öffnung

    Ausgangssperre

    • unter 100: keine Ausgangssperre

    • über 100: Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr

    Die Expertin des Kinderschutzbundes berichtete über Erfahrungen und Rückmeldungen von Kindern, Jugendlichen sowie pädagogischer Fachkräfte. Diese zeigten, dass Maßnahmen - wie zum Beispiel Schnelltests und Masken - von Kindern und Jugendlichen "unaufgeregt umgesetzt werden, um sich und andere zu schützen. Schwierig wird es dann, wenn Kinder durch das Verhalten von Erwachsenen verunsichert werden".

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: "Aktion Kinderschuhe": Dieser Protest ist nicht harmlos

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