Gehen die neuen Corona-Öffnungen in Bayern schon zu weit oder nicht weit genug? Nicht nur in der Bevölkerung, auch im Landtag gehen die Meinungen dazu weit auseinander. Eine Zukunftsperspektive sollten die neuen Corona-Lockerungen für Bayern schaffen – und die Akzeptanz für die weiter gültigen Einschränkungen erhöhen. So hatte es Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehofft. Doch bei einer hitzigen Debatte der neuen Regeln am Freitagnachmittag im Plenum hagelt es Kritik von allen Seiten: Manchen dort gehen die Lockerungen schon zu weit, anderen nicht weit genug. Und auch an Söders Krisenmanagement lässt die Opposition kein gutes Haar.
Schulze: Corona-Lockerungen in Bayern sind "eine Kapitulation vor dem Virus"
Der nun für Bayern gültige Stufenplan sei „eine Kapitulation vor dem Virus und dem Druck einflussreicher Interessen“, kritisiert etwa die Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Die Söder-Regierung habe Bayern zudem schlecht auf Lockerungen vorbereitet: So würden in gut einer Woche in vielen Landesteilen die Grundschulen in den Präsenzunterricht wechseln, Tests gebe es aber nur für Schüler über 15 Jahren. „Wo sind denn die Tests für die Kleinsten? Sie hatten genug Zeit“, schimpft Schulze.
Viele Unternehmer warteten zudem auch in Bayern weiter auf die bereits vor Monaten zugesagten Wirtschaftshilfen. Menschen, die um ihre Existenz fürchteten, fragten deshalb auch die Söder-Regierung zu Recht: „Was haben Sie die letzten Monate gemacht?“ In Berlin mit den Muskeln zu spielen, aber mit der eigenen Regierung in Bayern viele Fragen offen zu lassen, untergrabe aber das Vertrauen der Bürger. Auch deshalb sinke die Zustimmung zum Corona-Kurs der Söder-Regierung, sagt Schulze: „Es scheitert nicht an Innovation, Geld oder Technik. Es scheitert an Ihrem Krisenmanagement, Herr Söder.“
Horst Arnold: Mit den Corona-Lockerungen in Bayern hat Söder "Vertrauen verspielt"
So sieht dies auch SPD-Fraktionschef Horst Arnold: „Man verstolpert Erfolge nicht allein, wenn man zu schnell öffnet, sondern auch wenn man Öffnungen schlecht vorbereitet“, mahnt er. Durch „Konzeptlosigkeit und Chaos in der Umsetzung“ habe Söder bereits viel Vertrauen verspielt, findet Arnold.
Während die SPD trotzdem die meisten Öffnungsschritte begrüßt, mahnen die Grünen zu mehr Vorsicht und weniger Lockerungen. Die FDP hingegen fordert mehr Mut zu Öffnungen und „pragmatisch zu handeln und den Menschen eine echte Perspektive zu bieten“. So dürfe die Öffnung des Einzelhandels nicht daran scheitern, dass eine zunehmende Testung der Bevölkerung zwangsläufig zu höheren Inzidenzen führen wird, warnt der Allgäuer FDP-Politiker Dominik Spitzer. Vielmehr seien angesichts „fortschreitender Durchimpfung der Risikogruppen“ Öffnungen für Gastronomie und Einzelhandel „auch bei höherer Inzidenz angebracht“.
Die AfD sieht in der Corona-Politik gar erneut dunkle Mächte am Werk: Mehr testen solle nur zu höheren Inzidenzen führen, um den Lockdown weiter zu verlängern, mutmaßt AfD-Fraktionschef Ingo Hahn. Die eigentliche Frage sei deshalb, wem diese Politik nutze.
Mehr testen, schneller impfen und sichere Lockerungen nutzten vor allem „den Menschen, die nicht krank werden und nicht an Corona sterben“, entgegnet der Freie Wähler Florian Streibl. Öffnungen unter Verweis auf die Corona-Mutationen grundsätzlich zu blockieren, wäre indes genauso falsch, wie auf eine „Corona-Notbremse“ zu verzichten, sagt Streibl.
Markus Söder zu den Corona-Lockerungen in Bayern: "Wir sollten nicht alles schlecht machen"
Ministerpräsident Söder hatte gleich zu Beginn der Debatte sein eigenes Dilemma in der Corona-Politik ausgebreitet: Er sei zuletzt mit vielen Forderungen konfrontiert worden, möglichst alles zu öffnen. „Doch Öffnen ohne Schutz ist ein Blindflug“, mahnt er. Gleichzeitig seien „viele Menschen am Limit“, gebe es „viele Menschen, die nicht krank geworden sind und trotzdem schwer unter Corona leiden“ – wirtschaftlich, psychisch, sozial.
Nur auf Sicherheit setzen, die Maßnahmen vor dem Hintergrund der Mutationen gar verschärfen, sei deshalb auch keine Lösung: „Denn wir müssen die Menschen motivieren, sie mitnehmen.“ Deshalb baue seine Regierung nun auf ein „Öffnen mit Vernunft, Sicherheitspuffer und Notbremse“.
Auch dieser Weg sei „nicht perfekt“, räumt Söder ein. Auch in Bayern passierten beim Corona-Management Fehler. „Wir sollten aber nicht immer alles zerreden und schlecht machen“, warb der Ministerpräsident um seine Politik. Immerhin gebe der neue Weg eine Perspektive – zwar „ohne Garantie, aber mit Schutz“.
Kritik an den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz und am Stufenplan der Staatsregierung kommt auch von außerhalb des Landtags. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) etwa nennt die beschlossenen Maßnahmen „sehr komplex“ und weist auf die konkreten Probleme der Kommunen hin: „Jetzt gibt es sogar drei Inzidenzstufen, die jeweils andere Regelungen auslösen. Ich hoffe, dass zumindest in der Verordnung des Freistaats Bayern für die Verwaltung vollziehbare und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbare und praxistaugliche Regelungen getroffen werden – beispielsweise wie das Wort ,stabil‘ im Hinblick auf die Inzidenzwerte zu interpretieren ist.“
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