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Corona-Krise: Krisenmanager Söder: Extrem entschlossen, extrem besonnen

Corona-Krise

Krisenmanager Söder: Extrem entschlossen, extrem besonnen

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    Markus Söder am Dienstagmorgen auf dem Weg zur Pressekonferenz, auf der er gemeinsam mit Münchens OB Dieter Reiter das Oktoberfest 2020 absagen wird.
    Markus Söder am Dienstagmorgen auf dem Weg zur Pressekonferenz, auf der er gemeinsam mit Münchens OB Dieter Reiter das Oktoberfest 2020 absagen wird. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Das politische Establishment wie das gemeine Publikum reiben sich verwundert die Augen. „Der Söder“, wie er lange Jahre in München wie in Berlin abschätzig genannt wurde (und von seinen derzeit untergetauchten Intimfeinden in der CSU immer noch genannt wird), ausgerechnet „der Söder“ fährt jetzt in der Krise die ganz große Nummer. Die Mehrheit der Bürger hängt an seinen Lippen. Nur wenige misstrauen ihm. Söder gibt den Ton an, selbst wenn die Bundeskanzlerin in der Pressekonferenz neben ihm sitzt. Angela Merkel ist die Chefin. Sie hat eigentlich schon alles gesagt. Aber Markus Söder sagt es irgendwie schöner.

    „Was schließlich ist große Redekunst anderes als die Destillation von Gefühlen in präzise Worte?“ Diese rhetorische Frage, die ihre Antwort schon beinhaltet, stellte vor mehr als 2000 Jahren schon einer der größten Redner der Geschichte, der römische Staatsmann Cicero. Markus Söder übt genau das seit seiner wilden Zeit in der Jungen Union. Versuch – Irrtum, Versuch – Irrtum. Über Jahrzehnte hinweg. Lange Zeit ist das öfters mal ziemlich in die Hose gegangen. Dann hieß es „Oh je, der Söder“ oder „Ja mei, der Söder“. So heißt es heute nicht mehr. Söder ist treffsicher geworden – so treffsicher, dass sich sogar all jene, die ihn gut und schon lange zu kennen glauben, fragen: Was ist da geschehen?

    Es geht nicht um Interessen, es geht um Gefühle

    Gefühle in Worte fassen. Am Montag im Landtag, als Söder eine Maskenpflicht in Bayerns Geschäften und im Nahverkehr ankündigt, begründet er die strengen Regeln im Freistaat so: „Ich sage Ihnen: Wir müssen das tun, weil es nicht nur um Infektionen, sondern auch um Todesfälle geht – jeden Tag mehr. Corona bleibt tödlich. Wir haben eine hohe Zahl von Todesfällen. Und Ihnen geht es, glaube ich, wie mir: Jeder einzelne schmerzt.“ Wer sollte da widersprechen? Nicht Interessen bestimmen die Politik im Frühling des Corona-Jahres 2020. Es sind Gefühle.

    Der alte Cicero hatte im Umgang mit den Bürgern Roms einen ultimativen Trick in seinem Repertoire. „Je größer eine Menschenmenge ist, desto dümmer ist sie auch. Und im Umgang mit einer riesigen Menschenmenge ist es immer ein nützlicher Kunstgriff, das Übernatürliche anzurufen.“ So weit geht Söder nicht mehr. Cicero hatte es mit einigen hundert, vielleicht mal einigen tausend Zuhörern zu tun. Bei Söder sind es viele Millionen gut informierter Bürger an den Fernsehschirmen. Im aufgeklärten 21. Jahrhundert funktioniert der alte Trick nicht mehr. Einer der letzten Irrtümer Söders war es, zu glauben, er könne bei konservativ-christlichen Bürgern damit punkten, dass er vor laufenden Kameras ein Kruzifix im Foyer der Staatskanzlei aufhängt. Die PR-Aktion war ein Reinfall. Zwei Jahre ist das her. Söder hat beschlossen, so etwas künftig bleiben zu lassen. Er lernt dazu.

    Hier sehen Sie die Regierungserklärung von Söder im Video

    Eine andere Handlungsanleitung des großen Römers aber setzt Söder fast Punkt für Punkt um: „Halte deine Reden kurz, merke dir Namen, erzähle Witze, ziehe eine Schau ab – und vor allem: Mache aus deinem Thema, wie komplex es auch sein mag, eine Geschichte, die jeder versteht.“ Am Montag im Landtag nimmt Söder sich mal so nebenbei selbst auf die Schippe: „Wir wollen die nächsten Etappen besonnen angehen, mit Hoffnung, aber auch mit Sorgsamkeit, Umsicht und Geduld. In der Ruhe liegt die Kraft. Diesen Politikansatz habe ich weder als junger Mann noch als junger Finanzminister zum Kernsatz meiner Philosophie erklärt. Ich kann nur feststellen, dass dieses Motto jetzt hilft. Ruhe und Geduld helfen und bringen uns weiter.“ So ist das: Söder lernt nicht nur dazu, er teilt es auch mit, dass er dazulernt.

    Vom Haudrauf zum Landesvater - das glauben Markus Söder nicht alle

    Hinter der nur scheinbar selbstkritischen Randbemerkung freilich steckt eines der zentralen Probleme, mit denen sich der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident nicht erst seit Corona konfrontiert sieht. Irgendwie wollen ihm viele, Parteifreunde wie politische Gegner, immer noch nicht abkaufen, dass sich der Haudrauf, der er als junger Mann, als CSU-Generalsekretär und darüber hinaus war, zu einem besonnenen und verantwortungsvollen Landesvater gewandelt hat. Manche helfen sich mit einem Wortspiel: Der Söder war immer schon extrem. Nun hat er beschlossen, besonnen zu sein. Also ist er jetzt extrem besonnen.

    Diese fast schon dialektische Analyse hat den Vorteil, dass sie auch dann noch stimmt, wenn sich mal wieder etwas ändert. Ihre Schwäche aber besteht darin, dass sie die konkrete Vorgeschichte außer Acht lässt: Söders Lernprozesse, seine Erfahrungen mit seinen Vorgängern, die Lehren, die er aus ihren Erfolgen und – mehr noch – aus ihrem Niederlagen gezogen hat.

    Beispiel: Theo Waigel und die Münchner Netzwerke. Als es darum ging, wer in Bayern nach der Amigo-Affäre Max Streibl als Ministerpräsident ablösen soll, wäre CSU-Chef und Bundesfinanzminister Waigel eigentlich die erste Wahl gewesen. Dass er es nicht wurde, lag unter anderem daran, dass er aus dem fernen Bonn die Entwicklungen in der Landtagsfraktion in München und die Entschlossenheit seines Widersachers Edmund Stoiber, damals bayerischer Innenminister, unterschätzte.

    Beispiel: Edmund Stoiber und die Kommunikation. Man kann die Regierungszeit des langjährigen Ministerpräsidenten (1993 bis 2007) und CSU-Vorsitzenden (1999 bis 2007) in zwei Phasen einteilen – in die Zeit vor und nach seiner Kanzlerkandidatur im Jahr 2002. Seine Stärke in Phase eins bezog Stoiber unter anderem daraus, dass er sich um alles kümmerte und sogar den hintersten Hinterbänklern in der CSU-Landtagsfraktion das Gefühl gab, ernst genommen zu werden. Sein Abstieg begann, nachdem er als Kanzlerkandidat der Union knapp gescheitert war und in Bayern im Jahr darauf für die CSU eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag geholt hatte. Von da an schwebte Stoiber in anderen Sphären. Er ging auf Distanz zur Basis – und die Basis ging schließlich auf Distanz zu ihm.

    Beispiel: Horst Seehofer und das Spiel mit der Macht. In gewisser Weise war Seehofer das genaue Gegenteil von Stoiber. Er kam als Liebling der CSU-Basis aus eigener Kraft ohne Netzwerke an die Spitze von Partei und Freistaat. Er steckte Niederlagen weg – 2003 im Streit mit Merkel über die Kopfpauschale im Gesundheitssystem, 2007 im Rennen gegen Erwin Huber um den CSU-Vorsitz. 2008, nach dem Desaster der CSU bei der Landtagswahl, war er das letzte Alphatier der CSU, der „last man standing“ der Partei. Seehofer wurde Parteichef und Ministerpräsident. Doch schon bald nach der Rückeroberung der absoluten Mehrheit im Jahr 2013 mutierte Seehofer zum „dead man walking“. Er hatte ohne Not angekündigt, dass er 2018 seine Ämter zurückgeben wolle. Er selbst meint heute, das sei sein größter Fehler gewesen. Wahrscheinlicher ist, dass daraus erst in dem Moment ein Fehler wurde, als er es sich – auch um Söder zu verhindern – wieder anders überlegt hatte.

    Der große Cicero sagt: „In der Politik gehören drei Jahre alte Vorkommnisse zur grauen Vorzeit.“ Das stimmt. In die moderne Zeit gewendet heißt das: Der Wähler vergisst schnell.

    Söder kommuniziert und netzwerkt derzeit von frühmorgens bis spätabends

    Der stetig lernende Markus Söder aber vergisst die strategischen Fehler seiner Vorgänger nicht. Er wird vielleicht andere machen. Aber er wird diese Fehler höchstwahrscheinlich nicht wiederholen. Aktuell kommuniziert und netzwerkt er von frühmorgens bis spätabends. Er ist fast jederzeit zu sprechen – nicht nur im engeren politischen System, in der Koalition mit den Freien Wählern, sondern auch für alle drumherum: Wirtschaft und Wissenschaft, Kirchen und Gewerkschaften, Sportfunktionäre und Verbandsvertreter. Sogar zu Spitzenpolitikern von Oppositionsparteien hält er engen Kontakt. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) oder der Chef der Landtagsfraktion der Grünen, Ludwig Hartmann, haben, wie Spötter im Landtag sagen, quasi schon den Status von Regierungsberatern. Das sei auch der Grund, so behaupten Vertraute des Regierungschefs, warum es in Bayern in der Corona-Krise weniger politischen Streit gibt und vieles klappt, was anderswo nicht funktioniert.

    Als am Dienstagvormittag das Oktoberfest und gleich alle anderen Volksfeste in Bayern mit abgesagt werden, stehen Reiter und Söder Seite an Seite. Ihre Botschaft: Es tut uns weh, aber es geht nicht anders. Auch das ist Regierungskunst und folgt einer Regel Ciceros: „Wenn du etwas Unpopuläres zu erledigen hast, dann erledige es gründlich, denn der Eindruck von Halbherzigkeit kommt deinem Ansehen sicher nicht zugute.“

    Noch kein wirkliches Mittel hat Söder gegen die vielleicht schärfste Waffe gefunden, die seine politischen Gegner gegen ihn einsetzen. Es ist der gebetsmühlenartig vorgetragene Verdacht, dass hinter seinem öffentlichkeitswirksamen Einsatz letztendlich doch der altbekannte Ehrgeiz steckt, nach Höherem zu streben – sprich: nach der Kanzlerschaft. Trotz seinen vielhundertfachen Beteuerungen, dass er seinen Platz in Bayern sieht und auf dem Gipfel angelangt ist, den er erklimmen wollte, findet sich vermutlich kaum jemand, der seine Hand darauf verwetten würde, dass Söder nicht vielleicht doch den Verlockungen nachgeben könnte. Das stärkste Argument, das gegen einen CSU-Kanzlerkandidaten spricht, wird dabei geflissentlich ausgeklammert: Die CDU lässt einen CSUler nur dann ran, wenn sie selber zu schwach ist. Aber wenn die CDU zu schwach ist, kann auch ein starker CSU-Kandidat nicht gewinnen.

    Söder, so berichten Vertraute, benutzt das Bild vom Bergsteiger gerne, um im kleinen Kreis zu untermauern, dass er sich tatsächlich geändert habe. Wer nach oben wolle, der müsse, zumal wenn der innerparteiliche Konkurrent Seehofer heißt, andere Mittel einsetzen als der, der es schließlich auf den Gipfel geschafft hat. Ganz oben zu sein verändere die Perspektive, vor allem aber die Herausforderungen. Cicero sagt, es sei „der übelste Albtraum eines jeden Politikers“, wenn er eine „verbindliche Antwort“ geben müsse. Auch das passt zu Söders mehrfachem öffentlichen Bekenntnis, dass er in der Corona-Krise vor wichtigen Entscheidungen öfter mal schlecht geschlafen habe.

    Vieles spricht dafür, dass Söder sich geändert oder mindestens weiterentwickelt hat. Selbst politische Gegner zollen ihm in dieser Ausnahmesituation Respekt. Doch Politik ist ein Auf und Ab. Es werden auch wieder andere Zeiten kommen. Auch die, die es ganz nach oben geschafft haben, können sich nicht sicher sein. Dazu ein letztes Mal Cicero: „Alle Menschen, die das Ziel ihres Lebens erreicht haben, wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Würde und Eitelkeit, Selbstvertrauen und Verblendung, Ruhm und Selbstzerstörung.“

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