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Corona-Impfung: Ohne Perspektive: Drei Senioren über das lange Warten auf die Corona-Impfung

Seit Januar ist der vorerkrankte, 73-Jährige Rolf Jaeger für eine Corona-Impfung angemeldet. Gehört hat er seitdem nichts mehr.
Corona-Impfung

Ohne Perspektive: Drei Senioren über das lange Warten auf die Corona-Impfung

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    Rolf Jaeger sitzt nach vorne gebeugt vor seinem PC. Das helle Licht seiner Schreibtischlampe beleuchtet sein Profil und lässt das große Bücherregal, das die gesamte Wand einnimmt, im Halbschatten. Jaeger hat extra seine Lesebrille aufgesetzt, um die Telefonnummer schneller zu finden, nach der er seit fünf Minuten sucht. Er gibt verschiedene Suchbegriffe ein, schüttelt immer wieder leicht den Kopf. „Muss ich in München oder in Augsburg anrufen?“, fragt er in den Raum hinein. Der 73-jährige Augsburger ist erst vor Kurzem aus Österreich zurückgekommen, wo er rund vier Monate bei seiner Lebensgefährtin verbracht hat. Von dort aus hat er sich am 13. Januar auch für eine Corona-Impfung in Augsburg angemeldet. Bis auf die standardisierte E-Mail, die die Anmeldung bestätigt und darum gebeten hat, auf Nachfragen zu verzichten, hat er seitdem nichts mehr gehört.

    „Es kann doch nicht sein, dass man monatelang überhaupt keine Info mehr bekommt“, sagt er verärgert. Jaeger leidet an einer koronaren Herzkrankheit, also einer Einengung der Herzkranzgefäße. Er hatte vor dreißig Jahren einen Herzinfarkt. Ob diese Krankheit, die er auch bei der Impf-Anmeldung angegeben hat und die ihn als erhöhten Risikopatienten einstuft, überhaupt – und wenn ja wie – berücksichtigt wird, konnte ihm bisher niemand sagen. Allerdings konnte er auch niemanden danach fragen. Zweimal hat er bereits versucht, jemanden in der Impf-Hotline zu erreichen, doch beide Male hing er nur in der Warteschleife.

    Auf E-Mails ans Impfzentrum bekommt man nur standardisierte Antworten

    Per E-Mail wollte er sich ebenfalls mehrmals nach dem Stand der Dinge erkundigen. Die Antwort: ein standardisiertes Schreiben, das noch einmal über die Priorisierung bei der Impfung informiert. Keine Antwort auf seine Fragen. Am Ende der Satz „Bitte berücksichtigen Sie, dass es eine schwere Zeit für alle Augsburgerinnen und Augsburger ist, die wir nur gemeinsam bewältigen können“. Das hinterlässt bei Jaeger einen schalen Beigeschmack. „Dass es eine schwere Zeit ist, weiß ich auch, ohne dass mir die Stadt Augsburg das mitteilt“, sagt er bitter. Seit über einem Jahr hat er seine Kinder und Enkel nur über Videochat gesehen, hatte Angst, sich zu infizieren. Trotzdem versucht er, zumindest teilweise, Verständnis aufzubringen. „Natürlich gibt es Aspekte, die auch hier in Deutschland gut gelungen sind. Aber da sind eben auch so viele Schwachstellen – zum Beispiel die Kommunikation.“

    Warten auf einen Anruf: Franziska Amler aus Euerwang versucht, die Zeit bis zum erlösenden Anruf irgendwie zu überbrücken.
    Warten auf einen Anruf: Franziska Amler aus Euerwang versucht, die Zeit bis zum erlösenden Anruf irgendwie zu überbrücken. Foto: Kathrin Amler

    Diese Erfahrung hat auch Franziska Amler aus Euerwang (Landkreis Roth) gemacht. Die 82-Jährige wurde von ihrer Tochter Annemarie im Januar für die Impfung angemeldet, danach gab es weder Kontaktmöglichkeiten noch Informationen – eine frustrierende Erfahrung. Und auch wenige Wochen später, als im ganzen Landkreis mehrere Impfstationen eröffnet wurden, wurde es nicht besser. „Ich wollte meine Mutter zusätzlich in Greding im Impfzentrum anmelden, als es eröffnet wurde. Da stand dann auf der Anmeldung, dass man sich bitte nur registrieren soll, wenn man nicht schon in Roth für eine Impfung gemeldet ist. Aber welcher Senior war denn zu dem Zeitpunkt noch nicht angemeldet?“, fragt Amlers Tochter Annemarie.

    Dazu komme, dass man bei der Anmeldung in Greding keine Vorerkrankungen habe angeben können. „Das ging da anscheinend wirklich nur nach dem Alter.“ Und Vorerkrankungen hätte Franziska Amler genug, allen voran eine chronische Bronchitis, die sie auch ohne ihr hohes Alter zur Risikopatientin machen würde. Die Tochter meldete Amler trotzdem auch in Greding an – vergeblich. Nur kurze Zeit später gab die Stadt über ihre Webseite bekannt, dass jetzt alle Senioren geimpft worden seien, die bis zum Juli 1937 geboren worden seien – ein Jahr vor Amlers Geburtsjahr. Weitere Impftermine gäbe es vorerst keine. Auf eine E-Mail von Tochter Annemarie an das Landratsamt in Roth bekam sie, wie Rolf Jaeger in Augsburg, nur eine standardisierte Antwort.

    „Ich habe natürlich Angst, mich anzustecken. Ich habe doch jetzt schon so lang ausgehalten“, erzählt Amler am Telefon. Kontakte schränkt sie so weit wie möglich ein, schon lange war sie nicht mehr in der Kirche oder beim Friseur. Ein weiteres Risiko: ihre beiden Urenkel Hannah und Max, die mit ihren Eltern im gleichen Haus im ersten Stock wohnen und seit Kurzem wieder in Schule und Kindergarten gehen – und nicht verstehen, dass ein Besuch gefährlich für ihre Uroma sein könnte. „Wir kommen schon immer mal wieder zusammen, aber ich versuche dann eben, nicht zu nah zu den Kindern hinzugehen“, erzählt Amler. Schön ist das nicht.

    In der Impf-Hotline von Augsburg wird der Senior abgewimmelt

    Auch Rolf Jaeger fühlt sich unsicher. „Man bekommt ja ständig mit, dass Leute in meinem Alter oder auch jünger schlimm erkranken oder sogar sterben.“ In Österreich hat er sich darum schon Mitte Februar die in Deutschland so umstrittenen Selbsttests bestellt – ein Stück Sicherheit für ihn. „Hier werden die ja immer noch gehandelt wie eine Geheimwissenschaft. In Österreich können sich auch Erstklässler nach zweimaliger Anleitung selbst damit testen“, sagt er kopfschüttelnd. Für ihn sei es nur schwer nachvollziehbar, was im vergangenen Jahr überhaupt gemacht worden sei.

    „Wir haben immer noch keine richtige Teststrategie, keine Impfstrategie und wenn sich Bürger informieren wollen, werden sie auf eine Webseite verwiesen. Es reicht doch nicht, eine Internetseite zu produzieren. Wenn ich ein Anliegen habe, muss ich mich an einen Menschen wenden können, der mir weiterhilft, und nicht an einen Algorithmus, der mir eine Standard-Antwort schickt.“ Er verlange keinen Roman, auch die Information, dass noch nicht genügend Impfstoff da und er daher noch nicht an der Reihe sei, sei immerhin eine Antwort. „Aber gar keine Antwort ist ganz schlecht.“

    Darum will Jaeger sich heute per Telefon erkundigen, wann er denn ungefähr mit einem Impftermin rechnen könne. Einfach, um eine Perspektive und ein ungefähres Zeitfenster zu haben. Doch allein das Suchen einer Nummer gestaltet sich schwierig. Welche ist nun die richtige? Die für München oder direkt für Augsburg, die Hotline zur Registrierung oder die, die laut Internetseite ausdrücklich nur bei Problemen genutzt werden soll? Schließlich entscheidet sich Jaeger für die Telefonnummer, die bei der Google-Suche als Erstes erscheint und als „Hotline des Impfzentrums Augsburg“ bezeichnet wird. Eine elektronische Ansage heißt ihn willkommen und informiert darüber, dass in der Hotline keine Impftermine vergeben würden. Das sei nur online möglich – eine Information, die der auf der Internetseite des Augsburger Impfzentrums widerspricht. „Die Registrierung erfolgt online oder telefonisch“, heißt es dort, auch wenn nachgeschoben wird, dass wegen des hohen Andrangs um eine Online-Registrierung gebeten wird.

    Auch eine 95-Jährige aus Neuburg wartet noch auf einen Impf-Termin

    Heute hat der 73-Jährige mehr Glück als bei den letzten Malen. Er ist Anrufer Nummer drei und wartet nur wenige, von elektronischer Musik untermalte Minuten, bevor sich eine Mitarbeiterin meldet. Doch am Ende des kurzen Telefonats ist er so schlau wie vorher. Sie könne ihm nicht sagen, wann er an der Reihe sei, erklärt die Mitarbeiterin, denn sie könne die automatisierte Priorisierungs-Liste nicht einsehen. Nein, auch sonst könne das niemand, er werde auch bei anderen keine Auskunft darüber bekommen. Die Priorisierung werde allein von dem System vorgenommen, die Positionierung der einzelnen Personen sei nicht ersichtlich. Er, Jaeger, müsse sich jetzt einfach gedulden und auf eine E-Mail oder eine SMS warten. „Das ist ein schwaches Bild“, kommentiert Jaeger. „Nach Monaten null Zwischennachricht und nicht einmal die Möglichkeit, die Liste einzusehen – das würde ich mir von keinem Unternehmen gefallen lassen.“

    Ähnlich erging es einer 95-Jährigen aus Neuburg an der Donau, die ihren Namen lieber nicht in diesem Artikel lesen will. Trotz ihres hohen Alters hat sie bis heute keinen Impftermin – für ihre Tochter unvorstellbar. „Ich habe mehrmals im Landratsamt angerufen, aber da wusste niemand irgendwas. Und keiner konnte mir sagen, wie es sein kann, dass meine Mutter mit 95 Jahren noch immer auf die Impfung wartet, während ich mehrere 82-Jährige in München kenne, die ihre Impfung schon bekommen haben“, schimpft sie. Ihr sei von den Mitarbeitern gesagt worden, man müsse auf die Impfstofflieferung warten und bekomme dann eine Personenliste, wer damit geimpft werde. Diese Personen würden dann kontaktiert. Nach welchen Kriterien diese Liste erstellt wird, wussten die Mitarbeiter nicht.

    Dass es aber viele Einwohner in Neuburg an der Donau gibt, die älter als die 95-Jährige und darum vor ihr an der Reihe sind, ist schwer vorstellbar.

    "Niemand kann einem helfen - das ist grotesk"

    Die Seniorin ist geistig fit, allerdings schwer gehbehindert und wird von Pflegekräften betreut. Ein weiterer Risikofaktor. Sie habe ihre Mutter schon über vier Monate nicht gesehen, erzählt die Tochter, die in Bad Tölz wohnt. Ihre beiden Brüder kämen zwar zu Besuch, allerdings immer mit den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen. Ihr Bruder war es auch, der die Mutter im Januar telefonisch zur Impfung anmeldete. „Da kam danach keine Rückmeldung, ob sie jetzt wirklich angemeldet ist, keine Karte, kein Brief“, erzählt die Tochter. Erst auf telefonische Nachfrage habe sie herausgefunden, dass die Anmeldung geklappt habe. Mittlerweile haben die Geschwister die 95-Jährige ein zweites Mal angemeldet – diesmal online. „Es kann doch wirklich nicht sein, dass das so lange dauert. Und dass niemand einem weiterhelfen kann“, sagt die Tochter empört. „Das ist grotesk.“

    Auch Rolf Jaeger hat sich ein zweites Mal für die Impfung angemeldet. Und zwar in Österreich. „Da ist das nicht so wie hier, wo sich nur die Einwohner in einem bestimmten Impfzentrum impfen lassen können, sondern jeder. Und das erwarte ich eigentlich auch von einer Gemeinschaft wie der Europäischen Union.“ Bei der österreichischen Anmeldung hat er außerdem, anders als in Deutschland, eine Registrierungsnummer bekommen, mit der er sich identifizieren kann. Und auch in anderen Ländern scheint das Impfsystem deutlich effizienter zu sein: Jaegers Sohn, der in den USA wohnt, ist bereits zweimal geimpft worden. Als er unterwegs war. Einfach so.

    Das Beamtendeutsch in der Impfverordnung ist nur schwer zu verstehen

    Doch für Rolf Jaeger heißt es jetzt weiter: abwarten. Die Bestätigung seines Hausarztes über seine Vorerkrankung, die er bei seinem Impftermin vorzeigen muss, hat er sich auf jeden Fall schon besorgt. „In wahnsinnig kompliziertem Beamtendeutsch ist nachzulesen, dass man das braucht, sonst wird man nicht geimpft“, erzählt der gelernte Jurist. Er fragt sich, wie andere Leute, die weniger Erfahrung mit den typisch verklausulierten Formulierungen haben, die Aussage „Zur Ausstellung des ärztlichen Zeugnisses über das Vorliegen eines sehr hohen, hohen oder erhöhten Risikos für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-Cov-2 bei Personen nach § 3 Abs. 1 Nr. 2j sowie nach § 4 Abs. 1 Nr. 2i CoronaImpfV sind ausschließlich die Einrichtungen berechtigt, die von der obersten Landesgesundheitsbehörde oder den von ihnen bestimmten Stellen mit der Wahrnehmung dieser Aufgabe beauftragt wurden (§ 6 Abs. 6 CoronaImpfV)“ verstehen sollen. Denn so stand es unter anderem in der automatisierten Antwort des Augsburger Impfzentrums.

    Die einzige Informationsquelle, die Rolf Jaeger nutzen kann: das Internet.
    Die einzige Informationsquelle, die Rolf Jaeger nutzen kann: das Internet. Foto: Susanne Klöpfer

    Doch Ärgern bringt nicht viel – das weiß auch Rolf Jaeger. Darum kontrolliert er weiterhin täglich seine E-Mails sowie die Internetseite zusammengegencorona.de, bleibt so gut es geht in seiner Wohnung und hofft auf einen baldigen Impftermin. Er ist bereit.

    Und einen kleinen Lichtblick gibt es immerhin: Franziska Amler hat wenige Tage nach dem Gespräch mit unserer Redaktion endlich einen Termin bekommen und die erste Impfung gut überstanden.

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