Geheimtreffen sind eine äußerst heikle Angelegenheit. Es liegt in ihrer Natur, dass die Beteiligten wollen, dass nichts von dem, was besprochen wird, nach außen dringt. Allerdings gibt es unterschiedliche Grade der Heimlichkeit, insbesondere wenn es in der Politik um Personalfragen geht.
Der Vorstand der CSU-Landtagsfraktion zum Beispiel nahm es am Dienstag dieser Woche mit der Geheimhaltung nur halb ernst. An der Tür zu Saal 1 im Landtag hing ein Zettel mit der Aufschrift „Geheime Sitzung“. Eine Sitzung, von der bekannt ist, dass sie stattfindet, ist nicht mehr völlig geheim. Man sieht, wer reingeht. Man sieht, wer rauskommt. Meistens kann man auch an den Gesichtern ablesen, wie es drinnen für die eine oder den anderen so gelaufen ist. Und wer besonders neugierig ist, weiß ja auch, wen er zum Inhalt fragen kann.
Das Treffen, das tags zuvor in der Staatskanzlei stattfand, sollte dagegen völlig geheim bleiben. Niemand sollte von der Fünfer-Runde wissen, die dem Mann, der nach der Macht in Bayern greift, schon durch ihre Zusammensetzung signalisiert, dass sich da etwas gegen ihn zusammenbrauen könnte. Es trafen sich nicht dementierten Berichten zufolge: Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer, Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, Innenminister Joachim Herrmann, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und der CSU-Europapolitiker und Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber. Lauter CSU-Hochkaräter also, die Finanzminister Markus Söder mindestens reserviert oder sogar strikt ablehnend gegenüberstehen. Söder will der nächste bayerische Ministerpräsident werden. Mindestens vier der fünf wollen das auf gar keinen Fall zulassen.
Einige in der CSU-Fraktion sind „entsetzt“, andere „stocksauer“
Die Gerüchte, die sich zwei Tage später wie ein Lauffeuer verbreiteten, gingen in genau diese Richtung. Es soll versucht worden sein, Herrmann dazu zu überreden, gegen Söder ins Rennen um die CSU-Spitzenkandidatur zu gehen.
In der CSU-Landtagsfraktion löste die Meldung am Mittwochabend heftige Reaktionen aus. Einige Abgeordnete, berichten Insider, seien „ziemlich entsetzt“, andere „stocksauer“ gewesen. Seehofer habe der Fraktion, wie es heißt, doch erst am Dienstag mitteilen lassen, er werde sich im Falle seines Rückzugs vom Amt des Ministerpräsidenten nicht weiter einmischen und es den Abgeordneten überlassen, wen sie dem CSU-Parteitag als Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2018 vorschlagen. Und dann komme raus, dass tags zuvor schon ein Geheimplan geschmiedet worden sei, um gegen Söder, den erklärten Favoriten der Fraktion, einen veritablen Gegenkandidaten in Stellung zu bringen.
Ob es so war? Wer weiß. Bestätigt ist bisher nichts. Die Aufgeregtheit unter den Söder-Unterstützern aber steht in krassem Gegensatz zu ihrer zur Schau getragenen Gewissheit, dass nicht einmal der allseits respektierte Innenminister, der von 2003 bis 2007 Vorsitzender der Landtagsfraktion war, die Chance habe, Söder zu stoppen. In der Landtagsfraktion sei die Meinungsbildung weitgehend abgeschlossen. Söder könne sich der eindeutigen Mehrheit sicher sein.
Söder bringt Förderbescheide bis ins kleinste Dorf
Tatsache ist, dass Söder seit Jahren intensiv daran arbeitet, seine Machtbasis in der Fraktion auszubauen. Er fährt als Finanzminister übers Land, bringt Förderbescheide höchstpersönlich in die kleinste Gemeinde. Er lässt keine Gelegenheit aus, Stimmkreisabgeordnete öffentlich oder – noch wirkungsvoller – in Gegenwart ihres Landrats zu loben. Und er gibt sich alle Mühe zu demonstrieren, dass er dazugelernt hat. Sein ausgeprägtes Ego und die Ruppigkeiten, durch die er früher für Irritationen gesorgt hat, sind hinter einer freundlich-staatsmännischen Fassade verschwunden. Ein Abgeordneter aus Franken, der ihn seit vielen Jahren aus nächster Nähe erlebt, sagt: „Er hat sich wirklich zum Positiven verändert.“
Entscheidend aber sei für die CSU-Abgeordneten, dass sie sich mit Söder als Spitzenkandidat die größte Chance ausrechnen, vielleicht doch noch die absolute Mehrheit in Bayern zu verteidigen oder zumindest einen Umschwung zu schaffen. In jüngsten Umfragen kommt die CSU nur noch auf 37 Prozent – ein Prozent weniger als das ohnehin schon miserable Ergebnis bei der Bundestagswahl. Egal ob im Bierzelt, in Talk-Shows oder im Parlament – Söder mache seine Sache dort besser als jeder andere in der CSU.
Das ist zugleich das härteste Argument, das gegen Herrmann ins Feld geführt wird. Der Innenminister ist in der Fraktion ausgesprochen beliebt. Er gilt als untadelig und durch und durch zuverlässig. Es gibt keine Kritik an ihm. Auch das schlechte Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl wird, obwohl er Spitzenkandidat war, nicht Herrmann angelastet. Selbst wenn in dem Spitznamen „Balu der Bär“, den sie ihm in der Partei angehängt haben, ein gewisser Spott über seine äußerliche Behäbigkeit mitschwingt, so ist er doch freundlich gemeint. Sympathie allein aber reiche nicht aus. Was zählt, seien einzig und allein die Erfolgsaussichten bei der kommenden Landtagswahl. „Die Kollegen lechzen nach jedem Prozent“, sagt ein altgedienter Abgeordneter.
Über Herrmann sagt einer: „Das nimmt ihm doch keiner ab“
Das sei auch der Hintergrund für den Ärger, den die Meldung über eine mögliche Kampfabstimmung Söder gegen Herrmann ausgelöst habe. Der Finanzminister soll nach Ansicht seiner Unterstützer mit der größtmöglichen Zustimmung ins Rennen geschickt werden. Wenn Herrmann antrete und sich dann möglicherweise noch andere berufen fühlten, ihren Hut in den Ring zu werfen, wäre das schlecht für den neuen Aufbruch, den man sich von Söder erhofft. Außerdem vermuten nicht wenige, dass hinter Herrmanns möglicher Kandidatur ganz andere Interessen stecken. Der Innenminister würde sich damit keinen Gefallen tun. Einer sagt: „Es nimmt ihm doch keiner ab, dass er das will.“
Der oberbayerische Abgeordnete Ernst Weidenbusch, einer der ganz wenigen, die sich in der aufgeheizten Stimmung namentlich zitieren lassen, ärgert sich offenkundig gewaltig. „Nur ein Esel lässt sich vor einen Karren spannen – besonders vor einen fremden Karren“, schimpft er. Der Forchheimer Abgeordnete Michael Hofmann hält eine Kandidatur Herrmanns für ausgesprochen unwahrscheinlich. Er sagt laut Nachrichtenagentur dpa: „Wer so antritt, der kündigt die Einheit der CSU auf.“
Die Frage ist nur: Tritt Herrmann überhaupt an und gibt es die Kräfte im Hintergrund, die ihn dazu drängen? Die Antwort lautet erstens: vielleicht, zweitens: höchstwahrscheinlich. Herrmann selbst hat intern ausdrücklich dementiert, dass es eine Zusage von ihm gebe, sich in der Sondersitzung der Fraktion am Montag um die Spitzenkandidatur zu bewerben. Er hat aber nicht gesagt, dass er es nicht macht. Dass er dazu gedrängt wird, sagen dagegen mehrere Quellen unabhängig voneinander. Sie beziehen sich dabei aber auf Äußerungen Herrmanns lange vor dem Geheimtreffen in der Staatskanzlei. Dort zumindest also könne die Idee nicht geboren worden sein.
Die CSU im Umfragetief
Es sieht ganz so aus, als wären die Wähler den Machtkampf in der CSU langsam leid. Darauf deutet eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für unsere Redaktion hin.
Wäre am Sonntag Landtagswahl, könnten die Christsozialen nur noch mit 36,8 Prozent der Stimmen rechnen. Damit hat die Partei in den vergangenen Monaten dramatisch an Unterstützung verloren. Ende August kam die CSU im „Bayern-Monitor“ unserer Redaktion noch auf 50 Prozent, Anfang Oktober waren es 46 Prozent. Zweitstärkste Partei wäre demnach die SPD mit 16 Prozent vor den Grünen und der AfD mit jeweils rund 12 Prozent.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine am Donnerstag veröffentlichte Umfrage des GMS-Instituts für „SAT.1 Bayern“. Sie sieht die CSU nur bei 37 Prozent.
Vor allem der Führungsstreit in der CSU hinterlässt seine Spuren. So sagten in der SAT.1-Umfrage nur elf Prozent, dass die CSU „eher einig und geschlossen“ wirke. Für „eher zerstritten“ halten die Partei 83 Prozent. Das sagen auch 75 Prozent der CSU-Wähler.
Konsequent ist es, dass nur 17 Prozent eine Alleinregierung der CSU wollen. 21 Prozent lehnen aber auch eine Regierung ganz ohne CSU ab.
Die Bayern sind immer weniger zufrieden mit der Arbeit von Ministerpräsident Horst Seehofer. Im jüngsten „Bayern-Monitor“ unserer Zeitung sagten das nur noch 24,8 Prozent. 59,7 Prozent dagegen bezeichneten sich als unzufrieden. Am 24. September, dem Termin der Bundestagswahl, waren noch 38 Prozent mit Seehofers Arbeit zufrieden und nur 47 Prozent unzufrieden.
Bei unserem „Bayern-Monitor“ zählen allein die Stimmen registrierter Internetnutzer, die Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort angegeben haben. Jeder Nutzer kann nur einmal abstimmen, die Stimmen werden nach einem wissenschaftlichen Verfahren gemäß der Zusammensetzung der Bevölkerung gewichtet. Für die aktuelle Umfrage wurden Antworten von jeweils mehr als 5000 Bayern bis 30. November ausgewertet.
Der Grund des Geheimtreffens soll ein anderer gewesen sein
Dazu passt auch das Gerücht, dass der eigentliche Zweck des Gesprächs in der Fünfer-Runde ein ganz anderer gewesen sei. Ein gewöhnlich gut informierter Abgeordneter sagt: „Es ging ausschließlich um den Parteivorsitz.“ Seehofer sei zwar der Einladende, Initiator aber sei der CSU-Europapolitiker Weber gewesen. „Weber hat auf dem Treffen bestanden, weil er Parteivorsitzender werden will“, behauptet ein anderer. Er habe aber erfahren müssen, dass das im Moment „nicht in die Tüte kommt“. Ausdrücklich dementiert wird diese neue Version der Ereignisse nicht. Auf Anfrage unserer Redaktion sagt ein Sprecher Webers nur, sein Chef wolle das nicht kommentieren.
Die Hoffnungen all derer, die sich um das Ansehen der CSU Sorgen machen, richten sich nun auf die Gespräche am Wochenende. Dazu gehört auch der „Rat der Weisen“, zu dem neben Landtagspräsidentin Barbara Stamm auch die beiden CSU-Ehrenvorsitzenden Edmund Stoiber und Theo Waigel gehören.
Waigel ist frisch aus New York zurückgekehrt. Er hielt dort eine Laudatio auf Martin Richenhagen, den Chef des Traktorenherstellers AGCO/Fendt, der mit dem Global Leadership Award ausgezeichnet wurde. Außerdem nahm er an einem Vortrag über die Eurozone teil und traf sich unter anderem mit dem ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger. Zum „Rat der Weisen“ sagt Waigel, es sei „kein Gremium“. Er ersetze weder persönliche Entscheidungen noch Gremienentscheidungen. Er, Waigel, werde über seine Gespräche „keine öffentlichen Mitteilungen“ machen. Seehofer habe ihn um seinen Rat gebeten, und den werde er ihm nach Abschluss der Gespräche geben.
Auch Stamm und Stoiber halten sich in der Öffentlichkeit zurück. Dasselbe gilt für Seehofer und Söder. Miteinander zu reden, so wird quer durch die CSU-Spitze betont, sei besser als übereinander zu reden. Und auch besser als Geheimtreffen, die dann doch nicht geheim bleiben.
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