Selbst im Spott über die CSU schwingt immer schon eine gewisse Hochachtung mit – sogar bei ihren schärfsten Kritikern. Der Journalist Herbert Riehl-Heyse hat 1979 ein Buch über die CSU veröffentlicht, das bis heute all jenen als Handreichung dienen kann, die sich über die Kapriolen der Alleinherrscher-Partei in München verwundert die Augen reiben. Riehl-Heyse wählte den doppeldeutigen Titel: „CSU. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat“. Da steckt beides drin: Spott für die schier grenzenlose Großsprecherei sowie Hochachtung für den Erfolg, damit bei den Wählern immer wieder durchzukommen.
Für die SPD in Bayern ist das seit sechs Jahrzehnten ein Graus. Sogar in Phasen, in denen die CSU Schwäche zeigte, war für die Sozis nix zu holen. Wer verstehen will, warum, muss in die bayerische Provinz. Als SPD-Spitzenkandidat Franz Maget im Landtagswahlkampf 2008 in der hintersten Oberpfalz das kleine Bio-Energie-Dorf Schäferei (ein Stadtteil von Waldmünchen) besuchte, traf er auf politisch bestens informierte Gesprächspartner. Sie lobten ausdrücklich die 2005 abgewählte rot-grüne Bundesregierung, ohne die ihr Biogas-Projekt kaum möglich gewesen wäre. Sie ermahnten Maget, im Landtag in München darauf zu achten, dass die CSU den ländlichen Raum nicht vernachlässige, keine kleinen Schulen schließe und mehr für den Ausbau der Infrastruktur tue. Sie organisierten, „weil der Franz ein Roter ist“, sogar eine selbst gebackene Creme-Torte mit knallrotem Kirschkompott als Überzug. Allein – gewählt hat ihn dort keiner. „Hier bei uns sind alle schwarz“, hieß es auf Nachfrage.
Die Bayern kennen die Schwächen der CSU und gehen doch seit Jahrzehnten mehrheitlich darüber hinweg. Skandale und Affären werden der Partei verziehen, ihre politischen Verwirrungen werden hingenommen. Dass Kindertagesstätten im Freistaat noch als „sozialistisches Teufelszeug“ galten, während andernorts längst die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz oben auf der Tagesordnung stand – macht nix! Dass dereinst der CSU-Vorsitzende Theo Waigel in Berlin für die Einführung des Euro kämpfte und der CSU-Ministerpräsident Edmund Stoiber in München dagegen wetterte – egal, es wird schon passen! Dass vor der Doppelspitze Waigel/Stoiber der wuchtige Parteichef Franz Josef Strauß lieber Ananas in Alaska züchten wollte als Bundeskanzler zu werden und dann 1980 doch als Kanzlerkandidat der Union antrat – ja mei, so ist das halt. Die Zeiten ändern sich.
Eine kuriose Sache ist besonders erstaunlich
Und die Zeit heilt im katholisch geprägten Bayern auch immer wieder alte Wunden. Die Grünen, die die CSU dereinst von der Polizei am Bauzaun der atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf mit Schlagstöcken und Wasserwerfern traktieren ließ, wären ihr jetzt sogar als Koalitionspartner in einer Bundesregierung recht gewesen. Vom Lieblingsfeind zum Flirtpartner–was für ein Wandel!
Das Erstaunlichste an der CSU aber ist eine kuriose Konstante: Dass sie die Machtwechsel an ihrer Spitze stets mit einer öffentlichen Inszenierung begleitet, die alle Elemente eines antiken Dramas enthält –und ihr das auf Dauer doch nicht schadet. Es gibt Intrigen und Verrat, Mauscheleien und Schmähungen, Dolche von hinten und Pfeile aus der Hecke.
Was genau sich ereignen wird, wenn Parteichef und Ministerpräsident Horst Seehofer sich am Donnerstagmittag erst mit der Landtagsfraktion und dann am Abend mit dem Parteivorstand trifft, darüber gibt es nur wilde Spekulationen, aber kein echtes Wissen. Wird er „geköpft“ werden, wie er selbst für den Fall einer Wahlschlappe bei der Bundestagswahl vorausgesagt hat? Wird er sich den Aufrührern entgegenstellen und ihnen gehörig die Leviten lesen? Wird er „gehen oder gestürzt werden“, wie die Süddeutsche Zeitung vorhersagt, oder ist er „noch nicht fällig“, wie Der Spiegel meint? Niemand weiß es. Was aber in der CSU möglich ist, mit welchen Methoden die Parteioberen und ihre Unterstützer seit jeher zu Werke gehen und welch amüsante Parallelen es zur aktuellen Führungskrise gibt, zeigt ein Blick in ihre Geschichte.
Als Anfang der 90er Jahre der damalige Ministerpräsident Max Streibl in den Strudel der „Amigo-Affäre“ geriet, die die CSU in eine existenzielle Krise stürzte, meldete sich aus der Bundeshauptstadt, die damals noch Bonn hieß, ein junger Bundesgesundheitsminister namens Horst Seehofer zu Wort. Er warnte davor, Streibl zu sehr unter Druck zu setzen. „So etwas muss ordentlich, in einem fairen Stil geregelt werden“, sagte Seehofer, warf aber nebenbei die giftige Frage auf, ob Streibl denn „psychisch und physisch“ überhaupt noch in der Lage sei, einen harten Wahlkampf durchzuziehen. Fair Play mit Blutgrätsche, in der CSU vielfach praktiziert. Heute ist Seehofer selbst nicht mehr der Jüngste und er hasst es, wenn an seiner Gesundheit oder seiner Fitness gezweifelt wird.
Es hieß, Stoiber polarisiere. Das wird auch gegen Söder vorgebracht
Als sich in der Folgezeit die Auffassung festigte, dass Streibl politisch nicht mehr haltbar sei, entbrannte zwischen Theo Waigel (damals Bundesfinanzminister und CSU-Chef) und Edmund Stoiber (damals bayerischer Innenminister) ein lange Jahre anhaltender Kleinkrieg um die Führungsrolle in der Partei. Der ausgleichende Waigel sah sich hinterhältigen Attacken ausgesetzt, die sein Privatleben betrafen – eine außereheliche Beziehung galt weiland in der CSU noch als Sündenfall. Der vor Ehrgeiz brennende Stoiber musste sich vorhalten lassen, er polarisiere und könne die verschiedenen Lager nicht zusammenführen. Aktuell wird genau dieses Argument gegen den aufstrebenden Finanzminister Markus Söder vorgebracht.
Die Ergebnisse des Waigel-Stoiber-Duells sind bekannt. Stoiber setzte sich zunächst im Rennen um das Amt des Ministerpräsidenten durch und verteidigte 1993 – trotz Amigo-Affäre und trotz der starken SPD-Gegenkandidatin Renate Schmidt – die absolute Mehrheit in Bayern. Als er dann auch noch Parteichef werden wollte, hieß es aus dem Lager seiner Widersacher, dass der CSU-Vorsitzende in Bonn sitzen müsse, um den bundespolitischen Anspruch der CSU mit Nachdruck zu dokumentieren. Im Jahr 1998, nachdem die schwarz-gelbe Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl abgewählt worden war, setzte sich Stoiber auch hier durch und löste Waigel als Parteichef ab.
Der angeblich polarisierende Hitzkopf, genannt „das blonde Fallbeil“, sorgte in der CSU für eine lange Phase der Geschlossenheit und brachte es, als die CDU tief im Parteispendensumpf steckte, von München aus sogar zum Kanzlerkandidaten der CSU – mehr bundespolitischer Anspruch geht wohl nicht. Völlig absurd ist es also nicht, wenn Söder heute die Strategie seines großen Vorbildes kopiert.
Doch selbst der erfolgreichste Stratege ist in der CSU nicht davor gefeit, Opfer eines Gemetzels zu werden. Stoiber leitete seinen politischen Niedergang selbst ein, als er 2005 im letzten Moment davor zurückschreckte, Minister im ersten Kabinett Merkel zu werden. Da hätte die mächtige Landtagsfraktion ihren Parteichef gerne in Berlin gesehen – auch, um ihn in München loszuwerden. So ist das in der CSU bis heute: mal so, mal so. Für Seehofer ist es zur Zeit so.
Seehofer warnt: Streit führt in den Untergang
Kurios sind auch immer wieder die Rollen, die den Kombattanten um die Macht in der Partei und in den Medien zugewiesen werden. Die „Nacht der langen Messer“ im Januar 2007 in Wildbad Kreuth, die Stoibers Ende besiegelte, leitete einen neuen Machtkampf ein. Damals galt Seehofer dem Establishment in der CSU als derjenige, der polarisiert und die Partei zu spalten droht. Exakt zum Auftakt der Klausurtagung wurde sein Berliner Seitensprung publik gemacht. Die Quelle blieb anonym. Fraktion und Partei setzten auf das Duo Günther Beckstein und Erwin Huber. Beckstein sei integer und allseits geschätzt, Huber ein treuer Parteisoldat. Grünen-Landeschef Sepp Daxenberger spottete, in der CSU-Landtagsfraktion gehe es zu „wie in einem Hühnerstall, wenn draußen der Fuchs rumläuft“. Der CSU freundlich gesinnte Kommentatoren stellten fest, die Partei sei mit dem Tandem Beckstein/Huber aus dem Gröbsten raus. Es kam anders. Die absolute Mehrheit ging verloren. Seit Jahren schon warnt Seehofer: Streit führt in den Untergang.
So war es 2008. Doch der Fuchs kehrte zurück. Erneut setzte sich der angebliche „Polarisierer“ durch und holte 2013 die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurück. Die „neue CSU“, die Seehofer propagiert hatte, war wieder ganz die alte. Nicht einmal die Verwandtenaffäre im Landtag, die überwiegend eine CSU-Affäre war, hatte den Wiederaufstieg stoppen können. Jetzt bildet Seehofer selbst das Zentrum des Establishments und kann sich doch keine Sekunde mehr sicher sein, dass er den Sturm politisch überlebt.
Steht der Partei ab Donnerstagmittag also nur ein neuer Akt im alten Drama bevor? In den Wochen seit der Bundestagswahl waren jene „zerstörerischen Abläufe“ (Seehofer) zu beobachten, die die CSU aus ihrer Geschichte nur allzu gut kennt. Es gab Mauscheleien: Die Anhänger Söders lancieren schon seit vergangener Woche, dass es „jetzt schnell gehen muss“ mit dem Wechsel des Führungspersonals. Es gab Schmähungen: Kultusminister Ludwig Spaenle attestierte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner „politisches Leichtmatrosentum“. Der Herausforderer selbst ließ sich sogar zu einem offenen Affront hinreißen: Söder posierte mit seinen Fans von der Jungen Union, die ihn auf vorbereiteten blauen Schildern als Ministerpräsident forderten. Darf die CSU hoffen, nach einer Phase heftigen Streits wieder zu alter Geschlossenheit zurückzufinden?
Eine Garantie, dass sich die Geschichte wiederholt, gibt es nicht. Die Partei, die das schöne Bayern erfunden hat, kann sich nicht sicher sein, dass ihr Kredit bei den Wählern nicht doch eines Tages aufgebraucht ist.
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