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Brauchtum: Perchten: Mein Hobby ist Geisterjäger

Brauchtum

Perchten: Mein Hobby ist Geisterjäger

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    Sie tragen furchterregende Masken, die sie eigens schnitzen lassen. Und Kostüme, die bis zu 30 Kilo schwer sind. Dann tanzen die Amperperchten um ein großes Feuer.
    Sie tragen furchterregende Masken, die sie eigens schnitzen lassen. Und Kostüme, die bis zu 30 Kilo schwer sind. Dann tanzen die Amperperchten um ein großes Feuer. Foto: Robert Hoiss

    Grässliche Fratzen starren an die Decke. Über ihren Augen, die in tiefen Höhlen liegen, erheben sich lange Hörner, umrankt von struppigem Haar. Die Pupillen sind zu dämonischen Schlitzen verengt. Furchen durchziehen die Gesichter, in deren Mitte Hakennasen prangen. Kein Ton entweicht den grauenhaft verzerrten Lippen. Und was macht Klaus Trnka? Sitzt ganz entspannt im Wohnzimmer in seinem geblümten Ohrensessel und lässt den Blick über die Masken schweifen, die ihm zu Füßen liegen. Dann deutet er auf die gruseligen Gesichter und sagt: „Wir sind die Guten, wir Perchten vertreiben die bösen Geister.“ Ausgerechnet mit solchen Masken. Vor ihm steht eine Tasse mit dampfendem Früchtetee.

    Sein Sohn Johannes und Miriam Eppinger sitzen in der anderen Ecke des Wohnzimmers auf dem ebenfalls geblümten Sofa. Sie nicken zustimmend, als der Vereinsgründer der Amperperchten das mit den Guten und den bösen Geistern erzählt. Jetzt ist ihre Zeit. Denn jetzt sind die Raunächte. Die Tage um den Jahreswechsel, an denen sie ihre Kostüme überstreifen, als Perchten bei Veranstaltungen in der näheren Umgebung auftreten und über Christkindlesmärkte stapfen. So vertreiben sie die Geister, umhüllt von Ziegenfellen und mit schaurigen Masken. Die nun leblos auf dem Wohnzimmerboden hier am Rande von Fürstenfeldbruck liegen. Die Nacht vom 5. auf den 6. Januar ist der Höhepunkt und gleichzeitig der Abschluss der Perchtensaison.

    Eine Frage brennt auf der Zunge

    Von der ersten Sekunde der Begegnung an brennt die Frage auf der Zunge: Warum machen die das? Während Kfz-Techniker Johannes Trnka, 35, den Spaß bei den Auftritten genießt, mag die Heilerziehungspflegerin Miriam Eppinger, 32, das Mystische, das den Perchten anhaftet. Klaus Trnka, 59, von Beruf Personalbetreuer, geht es dagegen vor allem um die Rückbesinnung auf den natürlichen Kreislauf der Jahreszeiten. Die drei beleben eine Tradition, die es so fast nur noch in den österreichischen Bergen und im Bayerischen Wald gibt. In Oberbayern und Schwaben sind die Perchtenläufe bislang kaum bekannt – mit einigen wenigen Ausnahmen.

    „Die Raunächte, die Zeit der Perchten, kam vermutlich im Spätmittelalter auf“, erzählt der schwäbische Bezirksheimatpfleger Peter Fassl. Die Leute dachten, der Teufel ist los, und blieben deshalb lieber Zuhause. Die Perchten wiederum waren dafür zuständig, die Hexen, Teufel und Geisterwesen der sogenannten Wilden Jagd zu vertreiben. „Die Menschen verkleideten sich als Dämonen, also Perchten, und glaubten so, die echten Dämonen zu vertreiben“, ergänzt Klaus Trnka.

    Dass die Bräuche aus den Raunächten fast in Vergessenheit geraten sind, liege an den weltlichen und christlichen Obrigkeiten, sagt Fassl. „Seit der Aufklärung passte es nicht mehr in die rationale Weltsicht. Eine Umfrage aus dem Jahr 1908 in Schwaben zeigte, dass die Frau Perchta nur noch in Welden bei Augsburg bekannt war.“ Die Sagengestalt Perchta soll für das Wachstum des Getreides zuständig sein. Sie fährt in den Raunächten, begleitet von den bösen Geistern, durch die Lüfte. Als Raunächte wiederum gelten die letzten sechs Tage im alten und die ersten sechs Tage im neuen Jahr; die sogenannte Zwischenzeit. Bedeutend sind vor allem Heiligabend und Silvester, die Nacht auf den 6. Januar ist der Höhepunkt. Mancherorts wird auch die Wintersonnenwende am 21. Dezember dazu gezählt.

    Früher, bevor die Elektrizität in die Haushalte einzog, war die dunkle Jahreszeit wirklich dunkel. Die Natur zog sich zurück, das Sonnenlicht wurde weniger. „Die Menschen lebten damals auf Höfen, weit draußen auf dem Land, und es gab eben kein elektrisches Licht“, erzählt Klaus Trnka in seinem Ohrensessel. Der Wind heulte bedrohlich. Kein Wunder also, dass sich die Menschen Geschichten von bösen Geistern erzählten, die in den Raunächten ihr Unwesen trieben.

    Auftritte auf Christkindlesmärkten

    Die Amperperchten treten bereits vor den Raunächten in der Adventszeit auf Christkindlesmärkten auf. „Oft werden wir deshalb verwechselt mit dem Krampus oder den Klausen“, sagt Sohn Johannes, der die Gruppe bei ihren Auftritten anführt. Ein Irrtum, dem auch die Amperperchten anfangs aufsaßen. Seit 17 Jahren spielt Vater Klaus den Nikolaus in Fürstenfeldbruck. Sein Schlüsselerlebnis beschreibt er so: „Mitten in einer Vorstellung – gerade, als ich mein Buch hervorholte – standen zwei Burschen auf, gingen in eine Ecke und fingen an, ein Videospiel zu spielen.“ Da sei ihm klar gewesen: „Es muss ein Krampus her, der mir als Nikolaus wieder Respekt verschafft.“

    Welche Rituale und Mythen es in den Raunächten gibt

    Orakeln: Noch heute versuchen wir beim Bleigießen an Silvester in die Zukunft zu blicken. Früher glaubten die Menschen, dass die Ereignisse in den Raunächten Auskunft über die kommenden zwölf Monate geben.

    Tiere: Angeblich sprechen die Stalltiere in manchen Raunächten. Die Legende sagt jedoch: Wer sie hört, stirbt unmittelbar danach.

    Heirat: Ledige Frauen können um Mitternacht an einem Kreuzweg ihren künftigen Bräutigam sehen, hieß es im 19. Jahrhundert. Ihn anzusprechen oder ihm nachzuschauen, bedeutete aber den Tod.

    Unordnung: Einer Legende zufolge stehlen die Reiter der wilden Jagd die Wäsche von der Leine und benutzen sie im Laufe des Jahres als Leichentuch für den Besitzer.

    Böllern: Raketen und Böller gehören zu Silvester. Was kaum noch einer weiß: Damit sollten früher die bösen Geister vertrieben werden.

    Räuchern: Je nach Tradition benutzen die Menschen Weihrauch oder auch Kräuter, um Haus und Hof aus-zuräuchern. Durch die Segnung glaubte man, Geister und Dämonen abwehren zu können und somit vor Unglück bewahrt zu werden. (chi)

    Gesagt, getan. Im Jahr darauf zollten die Kinder dem Nikolaus wieder Respekt. Sohn Johannes war ja mit dabei – als Krampus. Mit einer fürchterlichen Maske und in einen „alten Karnickelmantel“ gezwängt, sorgte er dafür, dass die Kinder ihre volle Aufmerksamkeit auf den Nikolaus richteten. „Wir sehen schon gruselig aus“, sagt Johannes Trnka und lacht. Die Idee, als Perchten aufzutreten, lag da nicht fern. Doch: „Die Leute waren irritiert, wenn wir immer im gleichen Kostüm, einmal als Krampus und einmal als Percht, auftauchten“, sagt er. Der Krampus, oder sein Allgäuer Pendant, die Klausen, sind die Begleiter des Nikolaus. Anders als die Perchten, die die Frau Perchta bei der Wilden Jagd begleiten. „Wir mussten erst selbst lernen und Erfahrungen sammeln“, sagt Trnka. Schließlich seien sie damit nicht aufgewachsen.

    Dass sich Bräuche an die Vorstellungen der jeweiligen Zeit anpassen, ist nicht ungewöhnlich, sagt Bezirksheimatpfleger Fassl: „Es kommt etwas hinzu, manches fällt weg.“ Es wundert ihn nicht, dass sich in der Region immer mehr zum Thema Raunächte und Perchten tut: „Es gibt ein Bedürfnis nach Tradition. Bräuche an festen Tagen strukturieren das Jahr, sie gliedern das Leben in Alltag und in Höhepunkte.“ In Diedorf bei Augsburg beispielsweise traten erst am Freitag Studenten in Perchtenmasken aus dem örtlichen internationalen Maskenmuseum auf, und ein Faschingsverein aus dem nahen Gablingen hat die Perchtenläufe ebenfalls für sich entdeckt.

    Perchten rücken ganz nah an die Zuschauer heran

    Mittlerweile ist Klaus Trnka ein Experte auf diesem Gebiet. Vor den Auftritten stimmt er die Zuschauer ein. Weil es auf Christkindlesmärkten oft zu hell ist, benutzt er einen Trick: „Schließt die Augen und lasst euch auf die Dunkelheit ein“, sagt er dann und zeichnet mit seiner Hand eine schwungvolle Geste. Dann erklärt er, was gleich passieren wird. Mit Fackeln ziehen die Perchten auf den Platz, tanzen und stampfen – das soll die Böden fruchtbar machen. Die Perchten rücken ganz nah an die Zuschauer heran, wuscheln einigen von ihnen durch die Haare. Die Wesen sprechen kein Wort. Dafür klingen die Schellen und Eisenketten an ihren Gürteln umso lauter.

    Dann versammeln sie sich ums Feuer und knien sich davor nieder. „Wir besinnen uns“, sagt Klaus Trnka. Erst danach geht es weiter mit dem wilden Tanz um das Feuer. Normalerweise lasse sich das Publikum mitreißen, sagt er, und sein Sohn fügt hinzu: „Angst muss vor uns keiner haben, wir sind einfach nur Menschen in Masken. Die nehmen wir am Ende der Vorstellung sogar vor dem Publikum ab.“

    Eine Maske kostet bis zu 400 Euro

    Von den ruppigen, mitunter regelrecht brutalen Ritualen in manchen Bergregionen grenzen sich die Amperperchten ab. „Wir schlagen niemanden“, sagt Klaus Trnka. Das sei für alle selbstverständlich. Sein Verein besteht seit vier Jahren und hat mittlerweile 28 Mitglieder. Das jüngste ist sieben Monate alt, das älteste 75 Jahre. Die Gruppe ist aus dem Freundeskreis der Trnkas heraus gewachsen. Die Masken lassen sie in Berchtesgaden schnitzen. Die gruseligen Gesichter sind aus Zirbenholz, die Hörner von Kühen oder Ziegenböcken. Jede für sich ein Unikat, ist eine solche Maske bis zu 400 Euro teuer. Bis zu 30 Kilo wiegt das gesamte Kostüm eines Perchtenläufers, erklärt Johannes Trnka. Zur Maske kommen ja noch der Anzug aus Ziegenfell und die Schellen hinzu, die den Perchten an den Hüften baumeln. Komfortabel ist es darin nicht: „Darunter wird es ganz schön heiß“, sagt Johannes Trnka. Außerdem können die Maskenträger durch die kleinen Schlitze nur wenig sehen.

    Trotzdem macht Miriam Eppinger gerade das Spiel mit dem Publikum Spaß. Sie läuft als Hexe mit. „Sie ist ein Teil von mir“, sagt die junge Frau mit den strahlenden Augen. „Wir bereiten den Perchten den Weg und räumen hinter ihnen auf.“ Außerdem fegt sie mit ihrem Reisigbesen dem Publikum über die Füße, das vertreibt das Pech. Eppinger freut sich besonders auf den letzten Auftritt im Jexhof in Schöngeising, nur wenige Kilometer vom Landkreis Landsberg entfernt: „Dort ist die Stimmung mystisch.“

    Nebel zieht an diesem Tag über den Jexhof. Es dämmert. Eine Straßenlaterne und eine Lampe über der Eingangstür sind die einzigen Lichtquellen. Das Bauernhofmuseum liegt einsam am Waldrand von Schöngeising, es ist nur über einen Feldweg zu erreichen. Obwohl dort seit geraumer Zeit keine Tiere mehr leben, liegt ein leichter Stallgeruch in der Luft. Im Hinterhof steht eine Feuerschale bereit. Hier werden die Perchten am Freitag ihren Tanz aufführen. Vom Waldrand werden sie hervorbrechen. Dann liegt hier wohl Schnee, darauf freut sich die Hexe Miriam Eppinger am meisten: „Es ist toll, wenn wir mit den Besen den Schnee aufwirbeln, das macht beim Publikum richtig Eindruck.“

    "Da wo das Brauchtum lebt, da kommen die Leute wieder zamm"

    Bis heute haben die Raunächte ihre Anziehungskraft nicht verloren. Diesmal hat beispielsweise der Memminger Naturheilverein eine Raunachtwanderung mit dem speziellen Ritual eines Schamanen in den Grönenbacher Wäldern angeboten. Auch Kräuterfachfrau Petra Le Meledo-Heinzelmann aus Durach bei Kempten glaubt fest an die Wirksamkeit des Räucherns. „Die Raunächte eignen sich besonders für Zukunftsdeutungen oder zum Räuchern der Wohnung“, sagt sie. Mit Wacholder, aber auch Myrrhe und Weihrauch sollen die bösen Geister aus den Wohnräumen vertrieben werden. Besonders gut eigne sich dafür eben jene letzte Raunacht zum Dreikönigstag.

    Klaus Trnka weiß als ehemaliger Ministrant und Pfarrgemeinderat zwischen Christen- und Heidentum zu trennen. „Ich habe Respekt vor dem Aberglauben, der steckt immer noch in den Leuten drin, aber ich bin streng gläubiger Katholik“, sagt er mit Blick auf seinen üppig geschmückten Weihnachtsbaum. Raunächte und Perchten verbindet er mit etwas anderem: „Wir haben den Bezug zur Natur verloren. Und die Tradition der Raunächte bringt sie uns zurück, denn sie symbolisiert das Erwachen der Natur.“

    Dass Perchten in Oberbayern eigentlich keine Tradition haben, ist ihm egal. Denn: „Da wo das Brauchtum lebt, da kommen die Leute wieder zamm.“ Ein wenig Aberglaube gehört aber auch bei den Amperperchten dazu. Johannes Trnka sagt: „Wir laufen niemals zu dreizehnt. Denn dann läuft der Leibhaftige mit.“

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