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Blaubeuren trägt schwarz: Abschied von einem gebrochenen Mann

Blaubeuren trägt schwarz

Abschied von einem gebrochenen Mann

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    Trauerfeier für den verstorbenen Adolf Merckle.
    Trauerfeier für den verstorbenen Adolf Merckle.

    Von Daniela Hungbaur Blaubeuren. Seit Tagen wird die Heimatstadt von Adolf Merckle belagert. Der spektakuläre Freitod des gescheiterten schwäbischen Großindustriellen lässt Scharen von Medienvertretern nach

    Für den Gedenkgottesdienst in der evangelischen Stadtkirche gestern wurde eigens ein Organisationsplan aufgestellt, der Pressevertretern nur wenige Minuten am Sarg zugestand. Danach wurden sie zusammen mit vielen Ratiopharm-Mitarbeitern in die Stadthalle gebeten, wohin die Feier übertragen wurde.

    Vor allem die Familie des Verstorbenen soll so geschützt werden. Wer es dennoch schafft, ein Plätzchen in der überfüllten Kirche zu ergattern, wird Zeuge eines anrührenden Abschieds. Tränenüberströmt wenden sich die Enkeltöchter vom Sarg ihres Großvaters Adolf Merckle ab. Die Trauer der Kinder ist schwer zu ertragen.

    Gestern vor einer Woche nahm sich ihr Großvater, der Milliardär Adolf Merckle, das Leben. Nur wenige Meter von seinem Haus und seinem Werk in Blaubeuren ließ er sich von einer Regionalbahn überrollen. Der 74-Jährige hatte sich mit seinem Imperium, dessen Herzstück der Ulmer Generika-Hersteller Ratiopharm ist und das über 100 000 Menschen beschäftigt, kräftig verschuldet. Jetzt ist sogar von über 20 Milliarden Euro die Rede.

    Seinem Freitod waren wochenlange zähe Verhandlungen mit über 30 Gläubigerbanken vorausgegangen. Noch am Tag seines Selbstmordes hatte er zusammen mit seiner Frau Ruth die Unterschrift unter einen Notkredit gesetzt, der ihm zwar wieder finanziellen Spielraum bot, ihm gleichzeitig aber jegliche Macht über seine Firmen nahm.

    Diese Ohnmacht, so die Familie, habe den "Vollblutunternehmer" gebrochen. Der Verkauf seiner Ertragsperle Ratiopharm ist sicher. Aus informierten Kreisen heißt es, Verhandlungen mit dem französischen Pharmariesen Sanofi-Aventis seien angelaufen. Ein Kahlschlag, gerade für den Standort Blaubeuren, sei zu befürchten. Doch Ratiopharm ist nur eine Firma, die von der Zerschlagung der Gruppe betroffen ist. Merckle war Herr über eines der weit verzweigtesten Firmenkonglomerate Deutschlands. Dessen Verschachtelungen vergleichen manche schon mit giftigen Zertifikaten, in die geschickt risikoreiche Papiere verpackt wurden.

    Doch das verfehlte Taktieren des Wirtschaftsbosses war gestern nicht das Hauptthema. In seiner Heimatstadt Blaubeuren war Merckle der unangefochtene König. Wer sich gestern bei den Einheimischen umhörte, bekam nur Gutes über den Patriarchen zu hören: Ein großer Mäzen sei er gewesen, immer ansprechbar und in seinem Auftreten stets angenehm und bescheiden. Einem so gläubigen Menschen hätte man diesen grausamen Schritt einfach nicht zugetraut, heißt es. Um so wichtiger scheint vielen, nun von dem geschätzten Menschen respektvoll Abschied zu nehmen: Rund 800 Menschen verfolgen die Trauerfeier in der Stadthalle. Denn die rund 700 Plätze in der Kirche sind schnell besetzt. Zu den vielen Ehrengästen gehört auch Bayerns Justizministerin Beate Merk.

    Ein einfacher Holzsarg steht im Mittelschiff. Daneben ein karges Kreuz: Adolf Merckle 1934-2009. Auch der Blumenschmuck ist mit gelben Ranunkeln und weißen Margeriten auffallend dezent gewählt. Wann Merckle beerdigt wird, bleibt geheim. Die Bestattung soll im engsten Familienkreis stattfinden.

    Der pensionierte Landesbischof Gerhard Maier hält den Trauergottesdienst, Merckles jüngster Sohn Tobias liest aus der Bibel, seine Schwiegertochter Anne das ergreifende Gebet "Im Angesicht des Todes". Maier erinnert daran, dass die biblische Offenbarung es den Menschen "eindeutig verwehrt, dass wir uns das Leben nehmen". Doch bleibe offen, "was einen solchen willensstarken und Gott sich verantwortlich fühlenden Mann dazu brachte, sich selbst das Leben zu nehmen". Der Bischof sieht den Grund in dem "Ausbleiben der Solidarität und verletzenden Kommentaren", dies müsse Merckle im Innersten verwundet haben.

    Diese Meinung vertritt auch Reinhold Weiß, Betriebsratsvorsitzender der Zollern GmbH in Sigmaringen, an der Merckle ebenfalls beteiligt ist. "War das überhaupt ein Selbstmord?", fragt sich Weiß immer wieder. "Könne man nicht auch von Mord sprechen angesichts dieses Kesseltreibens auf diesen Mann?" Weiß ist sicher: "Merckle muss Höllenqualen durchlitten haben", bevor er diesen Weg zu den Bahngleisen ging.

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