Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Blasmusik: "Herbstwind" - der zweite Frühling für Musik-Oldies

Blasmusik

"Herbstwind" - der zweite Frühling für Musik-Oldies

    • |
    Zu alt gibt´s nicht: Das Bezirks-Oldie-Blasorchester (Bobo) beim Proben in Stetten (Unterallgäu).
    Zu alt gibt´s nicht: Das Bezirks-Oldie-Blasorchester (Bobo) beim Proben in Stetten (Unterallgäu). Foto: Aimée Jajes

    Hellwach sitzen die 47 Blasmusiker an diesem Sonntagmorgen auf ihren Plätzen – die Instrumente im Anschlag, die Augen konzentriert auf Martin Jall gerichtet. Der Dirigent muss gar nicht erst groß um Ruhe bitten, da kann die Probe im Stettener Musikerheim (Unterallgäu) auch schon beginnen. Das Besondere: Mit seinen 55 Jahren zählt Jall zu den Jüngsten im Raum, das Durchschnittsalter liegt bei 65. Denn heute probt das Bezirks-Oldie-Blasorchester – kurz Bobo.

    Nicht alle können oder wollen mit den Jungen mithalten

    „Weit über 2500 Jahre Blasmusikerfahrung“ stehen auf der Bühne, wenn alle 55 Musiker des Bezirks-Oldie-Blasorchesters anwesend sind, schätzt der Dirigent. Vor sieben Jahren hat der 55-Jährige das betagte Orchester im Bezirk Mindelheim des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes (ASM) ins Leben gerufen. Es sollte ein Angebot für ältere Musiker mit jahrelanger Erfahrung sein. Für Musiker, die leidenschaftlich gerne spielen, aber bei den Jungen vielleicht nicht mehr ganz so gut mithalten können – oder wollen. „Bei der ersten Probe waren gleich knapp 40 Musiker da“, erzählt Jall. Fast alle von ihnen sind auch heute noch dabei.

    Der Zuspruch spricht für den Bedarf: Das Durchschnittsalter der aktiven Mitglieder im gesamten ASM-Bereich liegt um die 30 Jahre. Von rund 40 000 Aktiven sind 25 000 jünger als 27. Nachwuchssorgen hat der Verband also nicht. Aber auch die älteren Blasmusiker will der ASM nicht verlieren. Die seien bislang jedoch auf der Strecke geblieben, sagt ASM-Präsident Franz Josef Pschierer. Das soll sich ändern. Daher bietet der Musikbund in diesem Jahr erstmals das Projektorchester „Herbstwind“ an. Zielgruppe sind Blasmusiker ab 55 Jahren. Das erste Probenwochenende findet im Oktober statt – mit regelmäßiger Wiederholung mindestens einmal im Jahr. Gespielt werden ältere Stücke, Polkas, Märsche und Walzer. Den Dirigentenstab übernimmt Hans Orterer, ehemaliger Chef des Luftwaffenkorps 1 in München und einst Domspatz in Regensburg.

    Der Älteste ist 84

    „Fest der Freude“ steht an diesem Sonntag auf dem Programm im Unterallgäuer Stetten. Den Titel des Stücks nehmen sich die Musiker zu Herzen. Kräftig blasen sie in ihre Instrumente. „Es ist schön, dass Sie alle so motiviert sind. Aber diesmal ruhig ein bisschen leiser“, unterbricht Dirigent Jall die 45 Männer und zwei Frauen. Er lacht.

    Der Älteste der Bobo-Musiker sitzt in der zweiten Reihe. Erich Gebauer ist 84 Jahre alt und bereits seit 60 Jahren Blasmusiker. 50 Jahre lang hat er die erste Trompete gespielt, jetzt spielt er die zweite. „Die Höhe fehlt halt mit dem Alter“, sagt Gebauer. „Die meisten wundern sich eh, dass es bei mir noch so geht.“ Dafür gibt der Rentner sein Bestes. „Ich übe daheim jeden Tag mindestens zehn Minuten – sonst lässt der Ansatz nach.“

    Schräg hinter dem Orchester-Ältesten sitzt Pschierer – bei den Posaunen. Wie Gebauer ist auch der ASM-Präsident und bayerische Finanzstaatssekretär von Beginn an beim Oldie-Orchester dabei. „Mit der Musik kann man den Stress und die Terminflut des Alltags schnell hinter sich lassen“, sagt er. 20 Jahre hat der 56-Jährige leidenschaftlich Blasmusik gespielt, bis es berufsbedingt nicht mehr möglich war. Durch Bobo packt der Politiker seine Posaune nun wieder regelmäßig aus: Die Proben finden nur einmal im Monat statt, einen Leistungsdruck gibt es nicht.

    „Es gibt viele ältere Musiker, die den Stress in den Kapellen nicht mehr mitmachen können“

    Und genau das macht ein Senioren-Orchester aus. „Es gibt viele ältere Musiker, die den Stress in den Kapellen nicht mehr mitmachen können“, meint Dieter Böck, Vorsitzender der ASM-Musikkommission: die vielen Proben, Auftritte, Wettbewerbe. Teilweise könnten Seniorenmusiker auch körperlich nicht mehr mithalten. „Aber es gibt dennoch einige, die im Alter wieder spielen wollen – nur ruhiger.“ Bei der Probe des Bezirks-Oldie-Blasorchesters im Unterallgäu übernimmt der künftige „Herbstwind“-Dirigent Hans Orterer schon einmal probeweise die Leitung. Ein Marsch ist an der Reihe. „Es ist sehr, sehr schön zu sehen, mit wie viel Engagement und Herz die Leute dabei sind“, sagt Martin Jall, der den Kollegen und sein Orchester beobachtet. „Das Schönste aber ist, wenn man bei den Auftritten sieht, wie die Leute aufblühen, wie die Gesichter strahlen.“ Alle Wehwehchen seien dann vergessen.

    Nach zweieinhalb Stunden konzentrierter Probe packen die Musiker des Oldie-Blasorchesters ihre Instrumente wieder ein. Ihre Leidenschaft, ihre Erfahrung, ihr Können aber nicht.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden