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Bildung: Karliczek: "Wir müssen jedem Jugendlichen etwas anbieten"

Bildung

Karliczek: "Wir müssen jedem Jugendlichen etwas anbieten"

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    Anja Karliczek (CDU) wurde im März überraschend Bundesbildungsministerin. 
    Anja Karliczek (CDU) wurde im März überraschend Bundesbildungsministerin.  Foto: Britta Pedersen, dpa

    Anja Karliczek, 47, ist seit März Bildungs- und Forschungsministerin. Die CDU-Politikerin stammt aus einer Hoteliersfamilie im Tecklenburger Land (nördliches Westfalen). Die Katholikin ist mit einem Piloten verheiratet und hat drei Kinder. Seit 2013 gehört sie für den Wahlkreis Steinfurt III dem Bundestag an.

    Frau Karliczek, Ihre Berufung zur Bildungs- und Forschungsministerin war eine Überraschung – auch für Sie? Was war Ihr erster Gedanke, als Sie den Anruf von Frau Merkel erhielten?

    Anja Karliczek: Sie sagte erst gar nicht, worum es geht, als ich den Anruf erhielt, zu ihr ins Kanzleramt zu kommen. Und so bin ich ins Kanzleramt marschiert. Ich bat dann kurz um Bedenkzeit, um das mit meinem Mann zu besprechen, weil die Aufgabe einer Ministerin und einer direkt gewählten Abgeordneten ein doppeltes Zeitbudget in Anspruch nimmt, ganz abgesehen von den inhaltlichen Herausforderungen. Aber die Familie trägt’s mit.

    Nun sind Sie seit 100 Tagen im Amt, Sie haben die erste Kultusministerkonferenz mit ihren sehr selbstbewussten Länderkollegen hinter sich. Wie fällt ihre Bilanz aus?

    Karliczek: Es hat gut getan, dass wir miteinander gesprochen haben und viele Dinge bereits klären konnten. So groß sind die Differenzen gar nicht. Und wo wir uns noch nicht einig sind, arbeiten wir daran.

    Der Streit zwischen CDU und CSU über die Flüchtlingspolitik bestimmt derzeit die politische Agenda. Ist davon auch in den Sitzungen des Bundeskabinetts etwas zu spüren?

    Karliczek: Natürlich beeinflusst das auch die Sitzungen des Kabinetts und es war auch beim deutsch-französischen Ministerrat in Meseberg ein Thema. Aber die Diskussionen werden sehr sachlich geführt.

    Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen

    Wie erleben Sie Innenminister Horst Seehofer?

    Karliczek: Ich sitze beim Kabinettsfrühstück neben ihm, ich erlebe die Situation als ganz normal, sehr sachlich, kein Unterschied zu früher.

    Dennoch stehen unverändert das Ultimatum von Horst Seehofer und die Drohung Merkels, von der Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen. Steht die Regierung vor dem Ende?

    Karliczek: Es macht mir Sorge, dass sich die Lage derart zugespitzt hat. Wir müssen einen gemeinsamen Weg finden, denn wir haben doch ein gemeinsames Ziel! Es geht doch nicht um ein Entweder-oder. Wir müssen mit unseren europäischen Partnern eine Lösung finden und diese dann auf nationaler Ebene umsetzen, damit die Menschen uns vertrauen. Ich kann nur hoffen, dass jeder seinen Teil dazu beiträgt.

    Das Handwerk sucht dringend Lehrlinge, gleichzeitig haben wir an den Universitäten überfüllte Hörsäle, an vielen gibt es einen internen Numerus clausus. Haben wir zu viele Akademiker und zu wenige Handwerker?

    Karliczek: Da die Akademiker in der Regel einen Arbeitsplatz finden, stellt sich diese Frage nicht. Wir dürfen nur akademische und berufliche Bildung nicht gegeneinander ausspielen. Wichtig ist, dass jeder junge Mensch seinen Weg gehen kann und dass wir jedem etwas anbieten können. Unsere gute wirtschaftliche Situation sorgt im Moment für Engpässe auf dem Arbeitsmarkt in vielen Bereichen. Gleichwohl bin ich entschlossen, die berufliche Bildung als gleichwertigen Strang neben der akademischen Bildung neu aufzustellen, unter anderem durch eine Stärkung der Fortbildung, um auch den Fachkräften aus Handwerk und Industrie, die zu den Leistungsträgern in unserem Land gehören, weitere Aufstiegschancen zu eröffnen.

    Sind die Berufsschulen die Stiefkinder unseres Bildungssystems?

    Karliczek: Stiefkinder nicht, wohl aber sind die Berufsschulen die größte Herausforderung, da die Lehrer im Regelfall sowohl eine berufliche Ausbildung als auch ein Pädagogik-Studium brauchen. Wir suchen gute Lehrer. Zudem müssen die Schulen sehr viel schneller auf sich verändernde Anforderungen des Arbeitsmarktes reagieren als früher. Ich setze mich dafür ein, im Rahmen des Berufsbildungspaktes für eine gute Ausstattung der Berufsschulen zu sorgen.

    Auch an den Grund- und Regelschulen sowie den Gymnasien werden Lehrer dringend gesucht. Haben die Länder das Problem zu lange unterschätzt?

    Karliczek: Der Bund hat dazu keine verlässliche Datengrundlage. Hinzu kommt, dass sich das gesamte Schulsystem in den letzten Jahren stark verändert hat, in praktisch allen Ländern gab es tief greifende Schulreformen. Nun geht es darum, genügend Studienplätze anzubieten, damit es wieder genügend Lehrer gibt.

    Einheitliche Abituraufgaben sind der richtige Weg

    Muss der Lehrerberuf attraktiver werden?

    Karliczek: Der Lehrerberuf steht vor neuen Herausforderungen, weil viele gesellschaftliche Probleme in die Schule hineingetragen werden. Daher muss die Wertschätzung dafür, was die Lehrer leisten, wachsen.

    Haben Sie als Bundesbildungsministerin Verständnis, wenn die Länder sich gegenseitig die Lehrer abwerben und beispielsweise mit höheren Gehältern oder dem Beamtenstatus winken?

    Karliczek: Die Länder sind dabei, dieses Problem anzugehen, damit es nicht zu Abwerbungen im hohen Ausmaß kommt. Aber natürlich sind auch Lehrer frei, ihren Arbeitsplatz zu wechseln, wenn in einem anderen Bundesland bessere Konditionen herrschen.

    Bildung fängt bereits in der Kita an. Ihre Kabinettskollegin, Familienministerin Franziska Giffey von der SPD, fordert, dass Erzieherinnen und Erzieher so viel verdienen sollen wie Lehrer. Was halten Sie davon?

    Karliczek: Wir müssen ohnehin dringend über eine höhere Wertschätzung von Dienstleistungsberufen reden. Das gilt für die Bildung wie für die Pflege. Das ist nicht immer nur eine Frage der Bezahlung. Aber wenn wir fordern, dass Erzieher mehr verdienen, müssen wir auch sagen, woher dieses Geld kommt. Dann muss vielleicht die Diskussion, ob Kitaplätze kostenfrei sein sollen, neu geführt werden.

    Der Bildungsföderalismus ist dabei, sich schleichend aufzulösen, die Länder treten bereitwillig gegen Geld Zug um Zug Kompetenzen an den Bund ab. Ist das der richtige Weg? Brauchen wir mehr Zentralismus in der Bildungspolitik?

    Karliczek: Im Gegenteil, ich plädiere eindringlich dafür, den Bildungsföderalismus zu erhalten. Es ist wichtig, dass die Entscheidungen so nah wie möglich dort getroffen werden, wo sie auch ihre Auswirkungen haben. In Ländern mit einem zentralistischen Bildungssystem sind die Ergebnisse nicht besser. In unserer mobilen Welt müssen wir allerdings dafür sorgen, dass die Verhältnisse zwischen den Bundesländern vergleichbar sind und überall gleichwertige Bedingungen herrschen. Diese Themen sind auf der Tagesordnung. Es ist gut, dass sich die Länder darum kümmern. Dass der Bund das besser kann, glaube ich nicht.

    Die neue bayerische Digitalisierungs-Offensive im Überblick

    Bayern will in den kommenden Jahren drei Milliarden Euro zusätzlich für die Digitalisierung ausgeben und zudem 2000 zusätzliche Stellen schaffen. Der "10-Punkte-Masterplan", der an verschiedene bestehende Förderprogramme anschließt, im Überblick.

    Glasfaser-Initiative: Ganz Bayern soll bis 2025 eine "gigabitfähige Infrastruktur" mit modernen Glasfaserkabeln bekommen. Vor allem Firmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Schulen sollen möglichst rasch von den neuen Höchstgeschwindigkeiten profitieren - derzeit sind bei EU-Förderprogrammen noch 30 Megabit pro Sekunde die Obergrenze. Grundsätzlich sollen alle Gemeinden ans Gigabit-Netz angeschlossen werden - was aber nicht heißt, dass dann jeder Haushalt sofort in den Genuss kommt. Zudem soll es bis 2020 insgesamt 40.000 zusätzliche WLAN-Hotspots geben, davon 20.000 an den Schulen. Und es ist eine Initiative für schnellere Mobilfunknetze (5G) geplant.

    Sicherheit: Bayern will bis 2020 ein Landesamt für Sicherheit in der Informationstechnik mit 200 Mitarbeitern schaffen, Polizei und Behörden besser ausstatten und die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität verstärken. Die IT-Sicherheitsforschung soll verstärkt werden.

    Bildung/Wissenschaft: Lehrer sollen in Informatik fortgebildet werden. Es soll neue Studienangebote in verschiedenen Disziplinen geben, um die Kompetenzen der Studenten in Informatik zu stärken.

    Wirtschaft: Das Förderprogramm "Digitalbonus Bayern" für mittelständische Unternehmen wird aufgestockt, Berufsausbildungen sollen modernisiert und an die digitale Arbeitswelt angepasst werden.

    Technologie/Mobilität/Medizin: Mit einem halben Dutzend "Zukunftsinitiativen" will die Staatsregierung digitale Technologien in verschiedenen Bereichen vorantreiben, etwa in Sachen "Künstliche Intelligenz" oder autonomes Fahren. Das "Zentrum Digitalisierung Bayern" soll weiterentwickelt und erweitert werden. Zudem will die Staatsregierung digitale und Telemedizin voranbringen, also Fernbehandlungen durch Online- oder Telefon-Diagnosen.

    Verwaltung: Bis 2030 soll die Verwaltung durchgängig digital organisiert werden. Um diesen Prozess zu begleiten, wird eine eigene Stabsstelle Digitalisierung in der Staatskanzlei geschaffen.

    Das Bundesverfassungsgericht hat die Vergleichbarkeit des Abiturs gefordert. Kommt das deutsche Einheitsabitur?

    Karliczek: Die Länder haben sich auf einen gemeinsamen Pool an Abituraufgaben geeinigt, aus dem sie sich bedienen können. Und an diesem Instrument feilen sie weiter. Das ist der richtige Weg.

    Der Bund will den Ländern bis 2021 3,5 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Schulen zur Verfügung stellen. Die Länder drücken aufs Tempo – ab wann fließt das Geld?

    Karliczek: Wir sind uns einig: Erst müssen Bundestag und Bundesrat die Änderung des Grundgesetzes beschließen, die diese Zahlungen möglich macht. Dann können wir die Bund-Länder-Vereinbarung abschließen. Und dann kann ab Anfang 2019 das Geld abgerufen werden.

    Haben Sie eine Garantie, dass die Milliarden, die der Bund für die Schulen zur Verfügung stellt, tatsächlich dort ankommen und nicht in den Haushalten der Länder versickern?

    Karliczek: Das ist gerade der Punkt, weshalb wir die Grundgesetzänderung brauchen. Damit hat der Bund erstmals das Recht, das Geld den Ländern und Kommunen flächendeckend für den Bereich der digitalen Bildungsinfrastrukturen zur Verfügung zu stellen.

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