Es ist der 12. März 2020. Kanzlerin Angela Merkel, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher, betreten die Bühne der Pressekonferenz in Berlin. Ernst sind ihre Mienen, ernst sind ihre Worte. Die Politiker von CDU, CSU und SPD wissen: Das, was sie gleich in die Kameras der Hauptstadtpresse sagen werden, wird Deutschland verändern. Mindestens für Wochen, womöglich für Monate. Für wie lange genau? Das vermögen in diesen Stunden nicht einmal die Experten einzuschätzen.
Zu Beginn referiert die Kanzlerin. Sie spiegelt die Erkenntnisse wider, die Virologen, Ärzte und Gesundheitspolitiker zu diesem Zeitpunkt über das neuartige Corona-Virus haben. Vieles ist noch unklar. Klar scheint hingegen: Um die rasende Verbreitung des Virus zu verlangsamen - von einer Eindämmung ist schon nicht mehr die Rede - muss schnell gehandelt werden. Die promovierte Naturwissenschaftlerin Angela Merkel vertraut in dieser Angelegenheit auf die Empfehlungen der Experten. Sie formuliert die Empfehlungen um in einen Appell an ihre Mitbürger: „Verzichten Sie auf soziale Kontakte.“ Social Distancing - dieser neue Begriff wird in diesen Minuten geboren.
Die Corona-Krise bringt massive Einschnitte in die Freiheitsrechte der Bürger mit sich
Recht neu ist auch die Einigkeit, mit der Merkel, Söder und Tschentscher in den folgenden Minuten die gravierenden und für die Allgemeinheit gültigen Beschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger verkünden. Schulen und Kitas: zusperren. Restaurants: nur zur Mitnahme von Speisen öffnen. Veranstaltungen: absagen. Die Lage scheint ernst, Presse und Volk hören gespannt zu.
Daniel Biskup, weltweit renommierter Fotograf, ist bei der Pressekonferenz dabei. Er sagt: „Es war eindeutig, dass hier Historisches passiert.“ Historisches hat Daniel Biskup in seiner langen Karriere vielfach festgehalten. Die Deutsche Wiedervereinigung? Die Freiheitskämpfe in der Ukraine? Der letzte Besuch Helmut Kohls am Brandenburger Tor? Biskup war dabei - seine Bilder zieren regelmäßig die Titelblätter bundesweiter Medien, auch die der Augsburger Allgemeinen, bei der er einst als fester Fotograf arbeitete. Biskup war als 18-Jähriger zum Abitur und Studium in die schwäbische Stadt gezogen und hat sie nie aus den Augen verloren. Erst im Februar eröffnete er seine Ausstellung „Karl Lagerfeld by Daniel Biskup“ im Staatlichen Textil- und Industriemuseum.
Nun also Corona-Krise. Lockdown. Social Distancing. Daniel Biskup beschließt, das in den folgenden Wochen wie eingefrorene, wie runtergefahrene Land zu bereisen und zu porträtieren. Er startet in Berlin, mit der Pressekonferenz von Angela Merkel, Markus Söder und Peter Tschentscher. Er fotografiert anschließend die leeren Straßen der Hauptstadt, setzt die wenigen Touristen ins rechte Licht. Schnell wird ihm aber klar: Das echte Leben spielt (auch) in der Fläche. Auch in Augsburg. Dorthin fährt er noch in der ersten Woche des Lockdowns.
In den folgenden Tagen fotografiert Daniel Biskup den menschenleeren Rathausplatz, abgesperrte Spielplätze, Patienten des Augsburger Klinikums, die vor Eintritt untersucht werden. Er reist an die deutsch-österreichische Grenze, porträtiert mundgeschützte Polizisten, sich vermissende Liebende und dicht an dicht fahrende Lkw. Biskup gewinnt mit Plastikplanen abgeschirmte Supermarktkassiererinnen ebenso für seine Fotoserie wie auch in der Krise akkurat rasierende Barbershop-Inhaber. Er fährt an den Münchner Flughafen und hält eine ebenfalls historische Szenerie fest: Dort, wo sonst Tag für Tag Tausende Passagiere und Angestellte umherwuseln, herrscht in diesen Tagen fast gespenstische Ruhe.
All diese Momente, all diese Szenen sehen Sie in der Bilderreportage „Ein Monat im Lockdown: Chronologie der Entfremdung“. Sie zeigt, wie die Deutschen, wie die Bayern, wie die Schwaben auch mit Fortdauer des Lockdowns und mit Intensivierung der Einschränkungen ihren Humor, ihre Zuversicht und ihre Hoffnung nicht verlieren. Wie sie das Erfreuliche im Unerfreulichen suchen, ihre kleinen Freiheiten in der Unfreiheit finden und wie sie dem Corona-Virus trotzen.
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