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Betreuung: Erinnern? Ein Kinderspiel!

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Erinnern? Ein Kinderspiel!

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    Ein Zeitungsquiz als Therapie: Andrea Borzym aus Tapfheim (Landkreis Donau-Ries) hat aus unserem Bilderrätsel eine Beschäftigung für Demenzkranke, Behinderte und Senioren gemacht. Die geistige Anregung wirkt.
    Ein Zeitungsquiz als Therapie: Andrea Borzym aus Tapfheim (Landkreis Donau-Ries) hat aus unserem Bilderrätsel eine Beschäftigung für Demenzkranke, Behinderte und Senioren gemacht. Die geistige Anregung wirkt. Foto: Fred Schöllhorn

    Tapfheim 52 Mal hat Andrea Borzym in den vergangenen Jahren zur Schere gegriffen und unsere Zeitung zerschnitten. Nicht etwa, weil sich die 35 Jahre alte Altenpflegerin über den Inhalt geärgert hat – nein, sie hat unser Bilderrätsel ausgeschnitten, auf bunten Karton geklebt und laminiert. Wie überdimensionierte Memorykarten sehen die Folgen des Quiz nun aus.

    "In ihrem gewohnten Umfeld bleiben"

    Demenz in Deutschland

    Derzeit gehen Experten davon aus, dass jeder dritte Mann und jede zweite Frau damit rechnen muss, im Lauf des Lebens an Demenz zu erkranken.

    Das besagt der Pflegereport 2010 der Krankenkasse Barmer GEK. Die Zahl von 1,2 Millionen Demenzkranken wird sich demnach bis 2060 auf 2,5 Millionen mehr als verdoppeln.

    Von den Dementen gelten rund zwei Drittel als pflegebedürftig. Pro Monat braucht ein Demenzkranker im Schnitt gut 500 Euro mehr von den Pflege- und 300 Euro mehr von den Krankenkassen als ein durchschnittlicher Versicherter, hat der Autor der Studie, Heinz Rothgang, errechnet.

    Das sind rund 10 000 Euro im Jahr. Rechnet man die steigende Zahl der Dementen hoch, kommt man längerfristig auf einen zweistelligen Milliardenbetrag, der zusätzlich nötig wäre.

    Die Zahl der Pflegebedürftigen könnte laut Experten von derzeit mehr als 2,4 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Millionen steigen. 2050 könnte es laut Statistischem Bundesamt sogar 4,5 Millionen Pflegebedürftige geben. Hauptgrund ist die höhere Lebenserwartung.

    Die Frau aus Tapfheim (Landkreis Donau-Ries) ist nicht nur Altenpflegerin, sie ist gerontopsychiatrische Fachkraft. Sie hat sich auf Jugendpsychiatrie und Alterskrankheiten spezialisiert. Jetzt betreut sie stundenweise Senioren und behinderte Kinder oder schult Kollegen. „Solange es geht“, sagt Andrea Borzym, „sollen Senioren daheim in ihrem gewohnten Umfeld bleiben.“ Doch nicht immer haben die Angehörigen Zeit, sich rund um die Uhr mit den Pflegefällen auseinanderzusetzen. Dafür werden Andrea Borzym und ihre Kollegen engagiert.

    Bilderrätsel aufgearbeitet

    Schon 2011 hat sie angefangen, die Bilderrätsel aufzuarbeiten. Denn irgendwas müsse man sich einfach einfallen lassen für die Leute, um sie anzuregen, sagt sie. Und sie ergänzt: „Selbst gemacht ist besser als gekauft.“ Ihre Mutter hat die Rätsel täglich gesammelt, und die 35-Jährige hat sie ausgeschnitten und in Plastik eingeschweißt. Zuerst auf weißem Hintergrund, dann auf buntem. „Eigentlich soll man bei Demenzpatienten nicht viel mit Farben machen, weil sie das verwirrt, aber wenn ich die Karten auf dem Tisch ausbreite, greifen alle immer zu den farbigen Kärtchen“, sagt sie.

    Mehr als zwei oder drei schaffen Menschen mit schwerer Demenz nicht. Meist muss die Altenpflegerin ihnen helfen und einen Teil des Bildes abdecken, bis die Senioren auf den ersten Begriff gekommen sind. Erst dann wird das Lösungswort kombiniert.

    Viele Senioren kommen ins Reden und erzählen von früher

    Alzheimer - Das schleichende Vergessen

    Alzheimer ist die häufigste Form der Demenz. In Deutschland gelten heute rund 1,2 Millionen Menschen als demenzkrank. Ungefähr 60 Prozent davon, rund 720.000, haben Alzheimer.

    Die Krankheit ist nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer benannt, der sie erstmals im Jahre 1906 wissenschaftlich beschrieben hat. Die Erkrankung des Gehirns führt zum Verlust von geistigen Funktionen wie Denken, Sprache, Urteilsfähigkeit und Orientierung sowie zum Absterben oder einer starken Schädigung von Gehirnzellen vor allem in der Hirnrinde.

    Alzheimer beginnt mit Vergesslichkeit und mangelndem Antrieb. Im weiteren Verlauf werden die gewohnten Handlungen immer schwieriger. Der Patient vergisst häufiger Worte, wird orientierungslos und kann sich nicht mehr erinnern. Einfache Handgriffe wie das Öffnen und Schließen von Knöpfen werden unmöglich.

    Schließlich verliert der Patient seine Selbstständigkeit und erkennt seine Angehörigen nicht mehr. Die Störungen des Denk- und Urteilsvermögens lassen ein normales Alltagslebens immer schwieriger werden. Viele Betroffene werden misstrauisch, aggressiv oder depressiv.

    Auslöser sind fehlgeleitete Stoffwechselvorgänge, die die Nervenzellen schädigen. Die für das Gedächtnis und die Aufmerksamkeit wichtigen Übertragungsstoffe im Gehirn können dann nicht mehr gebildet werden. Das Gehirn von Alzheimer-Kranken weist typische Eiweißablagerungen auf.

    Zwar kann die Krankheit bereits vor dem 50. Lebensjahr auftreten, ihre Häufigkeit nimmt mit dem Alter aber erheblich zu. Eine Heilung ist noch nicht möglich, durch eine rechtzeitige Therapie mit Medikamenten kann der Abbau der geistigen Leistungsfähigkeit aber eine Zeit lang hinausgezögert werden. Auch Verhaltens-, Musik- oder Erinnerungstherapien können die Lebensqualität der Betroffenen verbessern.

    Jährlich erkranken nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft fast 300.000 Menschen neu an Demenz und Alzheimer. Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Demenzkranken Schätzungen zufolge auf etwa 2,6 Millionen mehr als verdoppeln, sofern kein Durchbruch in der Prävention und Therapie gelingt.

    Doch nicht nur das Raten an sich regt ihre Patienten an, oft kommen sie auch ins Reden. „Sie erzählen von früher, manchmal kriegen sie ihre Biografie wieder zusammen“, erklärt sie. Wichtig sei das Erfolgserlebnis: Auf keinen Fall dürfe man es so weit kommen lassen, dass die Leute frustriert seien und sich bewusst werden, dass sie das nicht mehr können. „Man sollte langsam anfangen. Zweimal in der Woche reicht völlig“, sagt Andrea Borzym.

    Doch auch die, die nicht an Alzheimer leiden, und die beiden behinderten Kinder haben Freude an dem Rätsel. „Ich sag immer zu den Senioren, dass sie anrufen sollen und mitmachen. Den Gewinn teilen wir dann. Aber bisher hat noch keiner gewonnen“, sagt die junge Frau und lacht. Was sie ein bisschen ärgert, sind Angehörige, die entweder keine Geduld haben, auf die richtige Lösung zu warten, oder selbst mitraten wollen. Denen wirft sie dann auch mal einen bösen Blick zu.

    Momentan steht das Bilderquiz bei allen hoch im Kurs: bei Patienten und Pflegern. Sie und ihre Kollegen holen es beinahe täglich aus der Spielekiste und nehmen es mit. Doch schon in ein paar Tagen werden viele die Begriffe auswendig kennen. „Dann müssen wir wieder ein bisschen Pause machen und auf neue Kunden warten oder auf das nächste Bilderrätsel“, sagt die Altenpflegerin.

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