Unsere Redaktion hat die besten Reportagen aus dem Jahr 2019 zusammengestellt. Unser heutiger Lesetipp ist ursprünglich am 7. November 2019 erschienen. Aktuell läuft der Prozess in Augsburg.
Die Ermittler aus Augsburg vermuteten des Rätsels Lösung ganz in der Nähe der geheimnisvollen Kultstätte Stonehenge. Dort sollte eine Goldhandelsfirma ihren Sitz haben. Aber als sie in England ankamen, waren die Steuerfahnder dann doch überrascht. Sie waren in dem Polo und Country Club „Druids Lodge“ gelandet. Statt einer Firma fanden sie einen Pferdestall vor. Zwar stellte sich heraus, dass über dem Stall tatsächlich ein Büro war. Doch das sah nicht so aus, als ob jemand darin arbeitete. Die Sache schien heiß.
Welch großem Fall die Ermittler auf der Spur waren, war da noch nicht absehbar. Inzwischen ist klar: Sie haben ein Strafverfahren in Gang gebracht, das dem Staat am Ende zig Millionen Euro und vielen Menschen eine Gefängnisstrafe einbringen könnte. Und dem Landgericht Augsburg eine Menge Arbeit.
Kommende Woche beginnt der erste Prozess in diesem Steuerstraf-Komplex, der den Namen „Goldfinger“ verpasst bekommen hat – nach dem dritten James-Bond-Film. Die Ermittler gehen in diesem Fall dem Verdacht nach, dass mehr als hundert Reiche zwischen 2009 und 2016 mittels eines speziellen Konstruktes über eine Milliarde Euro Steuern am Fiskus vorbeigeschleust haben. Den Namen „Goldfinger“ bekam die Masche, weil sich die Spitzenverdiener zur Erzeugung steuerlicher Verluste einer eigens dafür gegründeten Goldhandelsfirma im Ausland bedienten.
Münchner Rechtsanwälte und Berater entwickelten das Steuersparmodell
Wie ein Insider berichtet, sollen in der Hochphase des „Goldfinger“-Modells ganze Lufthansa-Flieger voll mit „Steuersparern“ morgens nach London geflogen sein. Sie nahmen ein Taxi, gingen schön essen und am Abend ging es wieder zurück nach Deutschland. Zweck der Reise: Gegenüber dem Fiskus sollte mittels Flugticket, Taxi-Rechnung und Essens-Quittung der Anschein einer echten Geschäftstätigkeit erweckt werden. Eine Augsburger Staatsanwältin und mehrere Steuerfahnder ermittelten vor Ort in England, um herauszufinden, ob es sich bei den Goldhandelsfirmen um Briefkastengesellschaften handelt.
Erdacht worden ist das nun umstrittene Steuersparmodell von einigen bekannten Rechtsanwälten und Beratern aus München. Sie haben es offensiv ihren vermögenden Mandanten angeboten und sind bis heute der Ansicht, dass es legal ist. Die Augsburger Staatsanwaltschaft ist dagegen überzeugt, dass es sich um ein illegales Konstrukt handelt – vor allem deshalb, weil es gar nicht mit Leben erfüllt war und von Deutschland aus gesteuert wurde.
Am Morgen des 17. Januar 2018 starteten die Ermittler eine gewaltige Razzia im gesamten Bundesgebiet sowie in Österreich und der Schweiz. 30 Staatsanwälte, über 800 Beamte verschiedener Steuerfahndungsstellen und Polizisten waren im Einsatz. Schwerpunkt war Süddeutschland. Sieben Initiatoren und Betreiber des Modells wurden sogar verhaftet. Einer am Münchner Flughafen bei der Rückkehr aus der Karibik. Schon da war klar, dass es kein gewöhnliches Strafverfahren werden wird: Eine Augsburger Oberstaatsanwältin wurde von einem Münchner Anwalt sinngemäß mit den Worten empfangen, dass er mit ihr nicht rede, weil sie nicht sein intellektuelles Niveau habe. Ein anderer Anwalt wurde während einer Besprechung in einer sehr bekannten Münchner Kanzlei verhaftet. Das Verfahren wurde wegen seiner Größe und Bedeutung von der EU-Justizbehörde Eurojust betreut, die grenzüberschreitende Strafverfahren in Europa koordiniert.
Rechtsanwalt: Das Goldfinger-Verfahren ist eine „absolute Frechheit“
Seit einem knappen Jahr sind alle Beschuldigten wieder frei. Doch die Ermittler sehen sich durch ihre Arbeit und die Auswertung von Dokumenten bestätigt. In einem ersten Schritt haben sie 20 Personen angeklagt, die im Zentrum der Affäre stehen. Das sind vor allem die Rechtsanwälte und Berater aus München, die das Modell aufgesetzt und teils an ihre reichen Mandanten vertrieben haben sollen. Eine der betroffenen Kanzleien hat ihren Betrieb inzwischen eingestellt. Auch drei Augsburger Unternehmensgründer sind angeklagt, die das Modell genutzt haben. Sie werden von David Herrmann, Florian Engert und Nicole Lehmbruck verteidigt.
Zu Beginn des Mega-Prozesses stehen nun zwei Anwälte, 46 und 48 Jahre alt, vor Gericht, die die Staatsanwaltschaft für die Initiatoren und Drahtzieher hält. Wie immer, wenn es um derart hohe Summen geht, wird mit harten Bandagen gekämpft. Der Münchner Rechtsanwalt Richard Beyer, ein Steuerrechtsexperte, ist bereits vor Prozessbeginn auf 180, und das liegt nicht nur daran, dass die Betroffenen die Anklage kurz vor Weihnachten 2018 erhalten haben. Eigentlich gibt es eine Art Gentlemen’s Agreement, dass so etwas nicht passieren sollte. Doch von Gentleman James Bond scheint das Verfahren eben nur seinen Namen zu haben.
So funktioniert der "Goldfinger"-Steuertrick
Der "Goldfinger"-Steuertrick kurz erklärt
Vereinfacht ausgedrückt funktioniert „Goldfinger“ so: Die Goldhandelsfirma musste in einem Land gegründet werden, mit dem Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen hat. Auf diese Weise konnten Verluste beim Ankauf von Gold in Deutschland steuerlich geltend gemacht werden.
So wurden Einkünfte aus dem Verkauf des Goldes im Jahr darauf steuerlich kompensiert. Die Steuerlast konnte massiv gedrückt werden.
Im besten Fall konnte im ersten Jahr der Steuersatz auf null Prozent gesenkt werden. Im nächsten Jahr erhöhte sich der Steuersatz nur minimal, weil der Betroffene ohnehin nahe am Spitzensteuersatz lag.
Beim „Goldfinger“-Modell hat der Gesetzgeber über Jahre ein Schlupfloch gelassen. Vor allem bei Einkommensmillionären war dieser Trick beliebt, sie konnten ihre Steuerlast massiv reduzieren. Doch seit 2013 ist die Steuervermeidung über dieses Modell gesetzlich verboten.
Der Bundesfinanzhof in München, das höchste deutsche Finanzgericht, hatte 2017 allerdings zwei spezielle „Goldfinger“-Modelle unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig akzeptiert. Hier stellt sich aber die Gerechtigkeitsfrage. Denn dieses Modell können sich nur Reiche leisten, weil dafür hohe Summen und teure Top-Steuerberater nötig sind. (hogs)
Beyer, seines Zeichens auch Honorarkonsul der Republik Angola, hat sehr grundsätzliche Einwände: „Ich habe noch nie so viel Schwachsinn über internationales Steuerrecht gelesen wie in den Schriftsätzen der Augsburger Staatsanwaltschaft“, poltert der Anwalt, der für seine konfliktreiche Art der Verteidigung bekannt ist, am Telefon. Das Strafverfahren gegen seinen Mandanten hält er für eine „unglaubliche Frechheit“. Die beiden Rechtsanwälte, die die Anklagebehörde für Steuerhinterzieher hält, zählten zu den führenden Steuerrechtlern in Deutschland. Große Konzerne suchten deren Rat. „Und diese Fachleute sollen einen riesigen Steuerbetrug initiiert haben?“, heißt der Subtext zu Anwalt Beyers Äußerungen.
„Warum nicht?“, könnte man entgegnen. Viele Wirtschaftskanzleien und Steuerberater beschäftigen sich intensiv damit, günstige Steuermodelle für reiche Mandanten zu entwickeln. Oft geht es gut, weil die Juristen sauber gearbeitet haben und ihre Ideen rechtlich zulässig sind. Manchmal aber geht es schief – weil die Spezialisten einen Fehler gemacht haben oder in seltenen Fällen absichtlich die Grenzen des Rechts überschreiten.
Wie gerecht ist das deutsche Steuersystem?
Kein Wunder, dass die Finanzbehörden als quasi berufsmäßige Gegner solcher Steuersparmodelle den vielsagenden Namen „Goldfinger“ wählten. Mit dieser Anspielung an den goldsüchtigen Gegner des berühmten Geheimagenten James Bond wollten die Steuerfahnder der Methode offensichtlich eine gangsterhafte Aura verpassen. Der normale Steuerzahler sieht das im Regelfall ähnlich. Denn solche trickreichen Modelle gehören nicht zum Repertoire der Lohnsteuerhilfe.
Und das führt direkt zu einer sehr grundlegenden Frage, über die seit Jahrzehnten in Deutschland gestritten wird: Ist unser Steuersystem gerecht? Norbert Walter-Borjans, der zurzeit wieder sehr präsent ist, weil er im Finale um den SPD-Vorsitz steht, ist Experte in Steuerfragen. Er war sieben Jahre lang Finanzminister in Nordrhein-Westfalen und wurde vor allem dadurch bekannt, dass er die sogenannten „Steuer-CDs“ kaufen ließ und damit hunderten Steuerbetrügern das Handwerk legte. Viele nennen ihn seither den „Robin Hood der Steuerzahler“. Er sagt im Gespräch mit unserer Redaktion über das deutsche Steuersystem, es sei „im Kern gerecht“. Die Grundidee, dass jeder nach seinen finanziellen Möglichkeiten einen Beitrag zum Gemeinwesen leistet, sei gut. Schließlich seien Wohnungsbau, Straßenbau, Bildung, Forschung und dergleichen mehr nicht „für lau“ zu haben.
Doch dann kommt sein großes Aber: „Der Staat kann Steuermittel nur gerecht einsetzen, wenn er sie gerecht eingenommen hat.“ Und damit beginnt die harsche Kritik des linken Sozialdemokraten Norbert Walter-Borjans, 67, am deutschen Steuersystem: „Es wird nicht gerecht ausgelebt. Reiche haben viel mehr Möglichkeiten, ihre Steuerlast zu reduzieren.“ Das geschehe mittels kreativer Sparmodelle wie der Goldfinger-Masche. „Die war zwar bis 2013 legal, aber das war weder vom Gesetzgeber noch vom Bürger so gewollt“, kritisiert Walter-Borjans, der 2018 ein Buch zum Thema geschrieben hat. „Steuern – der große Bluff“ heißt es.
Im Kampf gegen Steuersünder ist Walter-Borjans bis heute unerbittlich. Und den Ankauf der Schweizer „Steuer-CDs“ verteidigt er leidenschaftlich. Es habe jahrzehntelang die Garantie gegeben, dass groß angelegte Steuerhinterziehung nicht aufgedeckt wird. Die Kritik an seiner „neuen“ Vorgehensweise kommentiert Walter-Borjans so: „Es war der Versuch der Ertappten, aus Tätern Opfer zu machen.“ Am Ende lagen die Einnahmen des Staates an Steuer- und Strafzahlungen ein Vielfaches über dem Kaufpreis der CDs. Selbst Bayern in Person des damaligen Finanzministers Markus Söder beteiligte sich finanziell am Kauf der CDs.
Es scheint schon einen allgemeinen, aber nicht näher definierten Konsens in der Gesellschaft darüber zu geben, was Steuergerechtigkeit bedeutet. Die angeklagten Augsburger Unternehmer jedenfalls hatten offenbar ihre Zweifel und hielten es nach Recherchen unserer Redaktion zumindest für nötig, sich den Goldhandel vor Ort einmal anzusehen. Teils bekleidet mit Outdoor-Sandalen und Fleecepulli reisten sie nach London – und trafen dort auf eine schick gekleidete junge Absolventin der London Business School, die als Geschäftsführerin der passenderweise „Midas“ getauften Firma fungierte. Midas soll jener sagenumwobene König gewesen sein, der alles zu Gold machte, was er anfasste.
Goldfinger-Prozess wird wohl bis mindestens 2021 dauern
Die Dame mit nigerianischen Wurzeln verstand nicht so recht, was die drei Herren aus Deutschland eigentlich von ihr wollten. Gold oder Goldhandel bekamen die ehemaligen Geschäftsleute, die das Geld aus dem Verkauf ihrer Firma in das „Goldfinger“-Modell gesteckt haben, jedenfalls nicht zu sehen. Einer von ihnen schrieb nach dem unbefriedigenden Besuch in eine Art Tagebuch etwas von einem „schicken Negerkuss“ und einer „Show fürs Finanzamt“. Dieses Büchlein wurde beschlagnahmt. Die Einträge werden der frühere Firmeninhaber und seine Partner in einem eigenen Prozess erklären müssen. Wenn am 13. November der erste „Goldfinger“-Prozess beginnt, sind die Augsburger zunächst nur als Zeugen vorgesehen. Ohnehin bleibt abzuwarten, ob sie ebenso behandelt werden wie die Goldfinger-„Erfinder“. Die Ermittler unterscheiden sehr wohl zwischen „Initiatoren“ und „Investoren“ des Modells.
Das nun startende Auftakt-Verfahren hat gewaltige Ausmaße, obwohl zunächst nur die zwei mutmaßlichen Hauptdrahtzieher vor Gericht stehen. Die 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg hat jetzt bereits 78 Verhandlungstage bis Januar 2021 angesetzt. Rechtsanwalt Richard Beyer schätzt, dass die Verteidigung insgesamt rund 5000 Beweisanträge einbringen wird.
Und das ist ja nur der Anfang. Weitere 18 Angeklagte gibt es bereits und weitere Anklagen dürften bald folgen. Insgesamt gibt es mehr als hundert Beschuldigte. Die Augsburger Strafverfolger ermitteln nach Informationen unserer Redaktion bereits in einem zweiten Komplex, genannt „Forward“. Es geht darin um gegenläufige Warentermingeschäfte. Es ist sozusagen das Nachfolgemodell zu „Goldfinger“.
Dieses Vorgehen illustriert das Katz-und-Maus-Spiel, das Steueranwälte und Finanzberater mit den Behörden spielen. Wird ein Steuerschlupfloch per Gesetz geschlossen, finden sie das nächste. Ein Kreislauf, der nie zu enden scheint. Und jeder hat seine Rolle in diesem Spiel. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage eines hochrangigen Ermittlers zu sehen, der sagt: „Egal, ob es im Goldfinger-Prozess zu Verurteilungen kommt oder nicht – solche Maschen kann der Staat einfach nicht durchlaufen lassen.“
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