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Hintergrund: Befund der Rechnungsprüfer: Staat zahlt für Grundstücke mehr als angemessen

Hintergrund

Befund der Rechnungsprüfer: Staat zahlt für Grundstücke mehr als angemessen

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    Der "Himbeerpalast" in Erlangen.
    Der "Himbeerpalast" in Erlangen. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Wer mag, kann sich das im Herzen Münchens gelegene, fußläufig in wenigen Minuten zu durchquerende Areal zwischen der Staatskanzlei, dem Finanzministerium und dem Obersten Rechnungshof (ORH) als eine Art haushaltspolitisches Bermudadreieck vorstellen. Der Ministerpräsident denkt sich was Schönes aus, der Finanzminister versucht irgendwie Geld lockerzumachen, und wenn die Damen und Herren beim ORH Jahre später nachrechnen, tun sich mysteriöse Abgründe auf: Millionen verschwinden – angebliche Skandale kommen ans Licht – vermeintlich. Und richtig Pfeffer kommt in die Geschichte, wenn die Hauptfigur Markus Söder heißt – ehemals Finanzminister, jetzt Ministerpräsident und bald vielleicht sogar Kanzlerkandidat von CDU/CSU. Da ist es dann auch egal, dass die Geschichte nicht wirklich neu ist. Da reicht dann eine Meinungsäußerung des ORH, um bundesweit Schlagzeilen zu generieren.

    Staatsregierung willigte ein: ehemaliges Bahngelände für 90,8 Millionen Euro

    Die Fakten: Der frühere Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wollte den Technologiestandort Bayern voranbringen und gleichzeitig Nürnberg, der zweitgrößten Stadt im Freistaat, etwas Gutes tun. Im Frühsommer 2017 schlug er vor, dort eine neue technische Universität zu bauen. Die hatte zwar bis dahin niemand vehement gefordert, die Idee aber stieß vor allem in Nürnberg auf helle Begeisterung. Auch Seehofers Finanzminister Söder, der von Amts wegen vielleicht Einwände gegen das teure Milliardenprojekt hätte erheben können, konnte als Nürnberger Stimmkreisabgeordneter schlecht etwas dagegen sagen und stellte sich prompt an die Spitze der Bewegung. Geld war damals auch noch etwas mehr in der Staatskasse als jetzt. Nur ein brauchbares Grundstück in Nürnberg fehlte noch.

    Die Suche gestaltete sich schwierig. Zuletzt blieb nur ein 37,45 Hektar großes ehemaliges Bahngelände als einzige Option, dessen Verkehrswert der Gutachterausschuss der Stadt Nürnberg auf 46,3 Millionen Euro taxierte. Der Eigentümer aber wollte fast das Doppelte. Im Sommer 2018 schließlich willigte die damalige CSU-Staatsregierung ein, 90,8 Millionen Euro für das Areal zu zahlen. Auch der Haushaltsausschuss des Landtags billigte das Geschäft einstimmig. Der Verkäufer, so hatte das Bauministerium den Abgeordneten mitgeteilt, habe mehrfach klargemacht, „dass dieser Kaufpreis nicht verhandelbar ist“.

    Bedenken, ob der Preis angemessen sei, gab es schon damals. Die SPD etwa, so sagte ihr Haushaltsexperte, der schwäbische Abgeordnete Harald Güller, habe am Ende nur wegen der Bedeutung des Projekts zugestimmt. Mehrfach wurde von der Opposition auch darauf hingewiesen, dass es andernorts an Universitäten einen erheblichen Investitions- und Renovierungsstau gebe. Doch die Begeisterung überwog quer durch alle Parteien. Erst jüngst zitierten die Nürnberger Nachrichten den FDP-Landtagsabgeordneten und früheren Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch mit den Worten: „Das Prestigeprojekt von Ministerpräsident Markus Söder ist inhaltlich betrachtet ein Meilenstein, der liberaler nicht sein könnte. Bayern wird von einer derart visionären Universität profitieren.“

    Prüfer untersuchten den Grundstückskauf in Nürnberg

    Auch für das ehemalige Karmelitenkloster in Straubing zahlte der Freistaat deutlich mehr, als das Gebäude Gutachtern zufolge tatsächlich wert ist.
    Auch für das ehemalige Karmelitenkloster in Straubing zahlte der Freistaat deutlich mehr, als das Gebäude Gutachtern zufolge tatsächlich wert ist.

    Parallel zu diesem politischen Vorgang begann der ORH sich der Sache unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und des Haushaltsrechts anzunehmen. Die Prüfer untersuchten den Grundstückskauf in Nürnberg und drei weitere „Überwertankäufe“ aus dem Jahr 2018: ein Grundstück in Straubing, das ehemalige Karmelitenkloster in Straubing und den „Himbeerpalast“, ein Grundstück mit Bürogebäude in Erlangen. Das Ergebnis legten sie an diesem Dienstag vor. „Allen Fällen war gemeinsam, dass der Kaufpreis – zum Teil deutlich – über dem gutachtlich festgestellten Verkehrswert lag und die Verwaltung den haushaltsrechtlich erforderlichen Nachweis nicht erbracht hat, dass diese Überwertankäufe wirtschaftlich waren“, schreibt der Rechnungshof. In drei Fällen hätten die Prüfer zudem festgestellt, „dass wesentliche Verfahrensschritte nicht oder nur unzureichend eingehalten worden sind, die dem Erwerbsprozess nach den einschlägigen Vorschriften vorauszugehen haben“.

    Außerdem stellen sie in den Raum, dass der Staat nicht nur zu viel bezahlt, sondern möglicherweise sogar gegen die Verfassung verstoßen hat. Nach Artikel 81 der bayerischen Verfassung darf der Staat sein sogenanntes Grundstockvermögen nicht ohne ein Gesetzgebungsverfahren verringern. Wenn er aus dem Grundstock Geld nimmt, um Grundstücke zu erwerben, muss er sich das vom Landtagsplenum per Gesetz genehmigen lassen. Eine formlose Zustimmung des Haushaltsausschusses reiche nicht aus.

    Im Finanz- wie im Bauministerium stößt diese Darstellung auf heftigen Widerspruch. Die Grundstücksankäufe seien, so heißt es aus dem Finanzressort, „nach geltendem Recht, unter Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und mit Zustimmung des Landtags erfolgt“. Ein Verstoß gegen die Verfassung liege nicht vor. Soweit die Geschäfte aus dem Grundstock „lediglich vorfinanziert“ wurden, seien diese „wie geplant bereits wieder aus dem Haushalt an den Grundstock erstattet worden“. Das Bauministerium beteuert, dass es sich in jedem einzelnen Fall „um die einzig wirtschaftliche Möglichkeit der Bedarfsdeckung“ gehandelt habe.

    Befund der Rechnungsprüfer zeigt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt

    Bei der Opposition im Landtag werden die zuständigen Staatsminister auf wenig Verständnis stoßen. Die Haushaltspolitiker Claudia Köhler (Grüne) und Helmut Kaltenhauser (FDP) bekommen nach eigenen Angaben schon länger keine befriedigenden Antworten auf ihre Fragen zu den umstrittenen Grundstücksgeschäften mehr. Sie fordern Aufklärung.

    Jenseits dieser rechtlichen Streitfragen, die nun im Landtag auf den Tisch kommen, hat die Debatte auch eine immens politische Dimension. Das betrifft vor allem das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Staatsregierung und ORH in Bayern. Dass die Prüfungsergebnisse jetzt, zum Auftakt eines Wahljahres, bundesweit publik gemacht werden, gilt vielen in der Regierungspartei CSU als unfreundlicher Akt. Der ORH, so heißt es dort, lasse sich für parteipolitische Zwecke einspannen. Die Rechnungsprüfer beharren darauf, nur ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen.

    Das tiefer liegende Problem in der Sache droht dadurch überdeckt zu werden. Der Befund der Rechnungsprüfer zeigt nämlich, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Der Staat zahlt bei Grundstücksgeschäften offenbar nicht nur in Ausnahmefälle drauf: Zwischen 2009 und 2015 gab es insgesamt sechs Überwertankäufe. Allein von Mitte 2018 bis Sommer 2020 waren es schon acht.

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