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Corona-Pandemie: Bayern hat kaum Informationen über typische Infektionsherde

Corona-Pandemie

Bayern hat kaum Informationen über typische Infektionsherde

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    Menschenansammlungen helfen dem Coronavirus, sich zu verbreiten. Aber allzu viel mehr weiß man über die Infektionsherde oft nicht.
    Menschenansammlungen helfen dem Coronavirus, sich zu verbreiten. Aber allzu viel mehr weiß man über die Infektionsherde oft nicht. Foto: Weronika Peneshko, dpa

    Mancher Corona-Hotspot ist offensichtlich. Das Kreiskrankenhaus Schongau zum Beispiel. Dort wurden zuletzt 38 von 600 Mitarbeitern positiv auf Covid-19 getestet. Auch 17 Patienten haben sich in der Klinik angesteckt. Das Krankenhaus verhängte daher einen Aufnahmestopp.

    Arbeitet ein Infizierter in einer „für den Infektionsschutz relevanten Einrichtung“ wie etwa einem Krankenhaus, muss er das beim Gesundheitsamt angeben. Die Behörde kann dann vorsorglich Schutzmaßnahmen in dieser Einrichtung verhängen. Darüber hinaus aber tun sich die Ämter schwer, sogenannte Corona-Cluster aufzuspüren – Orte oder Veranstaltungen etwa, an denen sich viele Menschen auf einmal mit dem Virus angesteckt haben könnten. Das hat auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Dienstag in seiner Pressekonferenz gesagt.

    Umstände einer Corona-Infektion können oft nicht geklärt werden

    Max Deisenhofer, Abgeordneter der bayerischen Grünen, findet das „fahrlässig“. Deisenhofer und seine Fraktionschefin Katharina Schulze hatten kürzlich im Landtagsplenum nach den wichtigsten Ansteckungsorten in der Pandemie gefragt. Die Antwort aus dem Gesundheitsministerium enttäuschte sie. Zwar werde in eine Meldesoftware eingetragen, wo sich eine Person „wahrscheinlich“ infiziert habe, heißt es unter anderem in dem Schreiben, das unserer Redaktion vorliegt. Gleichzeitig betont das Ministerium: „Eine eindeutige Aufklärung der eigenen Infektionsumstände ist für viele Einzelfälle nicht möglich.“ Demnach würden keine Daten systematisch ausgewertet, ob sich Infizierte etwa in den Bereichen Gastronomie, Arbeitsplatz, Schule, private Feier oder Sport angesteckt hätten.

    Grünen-Politiker Max Deisenhofer kritisiert die fehlenden Informationen über die Ansteckungs-Umstände vieler Corona-Infizierter.
    Grünen-Politiker Max Deisenhofer kritisiert die fehlenden Informationen über die Ansteckungs-Umstände vieler Corona-Infizierter. Foto: Bernhard Weizenegger (Archiv)

    Die Grünen kritisieren das. „Die Staatsregierung weiß auch nach sieben Monaten Pandemie offensichtlich nicht, wo die hauptsächlichen Cluster liegen“, bilanziert Deisenhofer. Dabei ist gerade diese Erkenntnis ihm zufolge entscheidend dafür, den richtigen Weg im Einsatz gegen das Virus zu finden. Denn solange sie nicht wisse, wo die Infektionsschwerpunkte liegen, müsse die Regierung mit ihren Beschränkungen immer alle gesellschaftlichen Bereiche treffen. „Einschränkungen nach dem Gießkannenprinzip müssten nicht sein, wenn die Regierung mehr über die entscheidenden Cluster wüsste und passgenaue Maßnahmen dafür hätte.“

    Sperrstunde wird wegen Corona oft vorverlegt

    Deisenhofer nennt ein Beispiel: Bringt es wirklich etwas, die Sperrstunde ab einem gewissen Inzidenzwert eine Stunde nach vorn zu verlegen? Niemand wisse das – weil es im Freistaat „viel zu wenig wissenschaftliche Begleitung und Transparenz“ bei Entscheidungen über die Corona-Maßnahmen gebe. „Aus unserer Sicht braucht es sofort eine wissenschaftliche Begleitung, um die Infektionsherde besser identifizieren zu können. Und wir fordern, dass die Staatsregierung jetzt endlich das Parlament besser einbinden muss – zum Beispiel durch eine Corona-Kommission, in der solche Themen angesprochen, diskutiert und von der Staatsregierung aufgegriffen werden.“

    Die Sperrstunde wird in Hotspots oft vorverlegt.
    Die Sperrstunde wird in Hotspots oft vorverlegt. Foto: Annette Riedl, dpa

    Das Gesundheitsministerium weißt den Vorwurf von zu wenig wissenschaftlicher Beratung zurück. Man stütze sich stets auf die Expertise des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, betont ein Sprecher von Ministerin Melanie Huml (CSU). Er nennt das LGL in diesem Zusammenhang „das bayerische Robert-Koch-Institut“.

    Mehr als 2000 neue Corona-Fälle pro Tag

    In Bayern gab es zuletzt mehr als 2000 neue Coronafälle pro Tag, die Gesundheitsämter sind rund um die Uhr damit beschäftigt, Kontaktpersonen der Infizierten ausfindig zu machen - oft vergeblich. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und der Berliner Virologe Christian Drosten schlagen deshalb einen Kurswechsel bei der Nachverfolgung von Infektionen vor. „Die Einzelkontakte zu verfolgen macht keinen Sinn mehr“, sagte Lauterbach kürzlich in der Süddeutschen Zeitung. Die Gesundheitsämter sollten stattdessen nach sogenannten Quellclustern suchen. Damit meinte er Menschen, die sich alle am selben Ort angesteckt haben. Nach der Cluster-Theorie könnte man im nächsten Schritt all jene vorsorglich isolieren, die sich dort aufgehalten haben. Das gelingt den Behörden bisher in Einzelfällen: Wenn etwa Infektionen bei großen Familienfeiern bekannt wurden, mussten alle, die dabei waren, zur Sicherheit in Quarantäne.

    Ein solcher Infektionsherd war im September auch in Garmisch-Partenkirchen aufgeflogen. In einem Hotel der amerikanischen Streitkräfte hatten sich damals mehr als 20 Menschen infiziert – darunter eine 26-Jährige, die trotz Corona-Symptomen weiter feiern ging und dann bundesweit als Virenschleuder gebrandmarkt wurde – voreilig, wie sich jetzt herausgestellt hat. Das Landratsamt in Garmisch-Partenkirchen konnte nach Angaben eines Sprechers keine Kontaktpersonen ermitteln, die durch die Frau infiziert wurden.

    Lesen Sie dazu auch: Bayern beschließt Künstler-Hilfen und Impfkonzept

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