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Bayern: Tödlicher Jagdunfall: Könnte es jeden von uns erwischen?

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Tödlicher Jagdunfall: Könnte es jeden von uns erwischen?

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    Sogenannte Erntejagden sind hochriskant, sagt sogar der Bayerische Jagdverband.
    Sogenannte Erntejagden sind hochriskant, sagt sogar der Bayerische Jagdverband. Foto: Philipp Schulze, dpa (Symbolbild)

    Stellen Sie sich vor, Sie fahren an einem schönen Sonntagvormittag im August mit einem Freund übers Land. Plötzlich ein lauter Knall. Ihr Beifahrer sackt zusammen. Er stirbt, tödlich getroffen von einer Kugel. Ein absolutes Horrorszenario, unvorstellbar. Doch so wie die Dinge liegen, könnte das jedem passieren.

    Sonntag, 12. August 2018. Ein 46 Jahre alter Mann aus der Oberpfalz hat in Nittenau (Landkreis Schwandorf) eine Drückjagd organisiert. Zehn Jäger sind eingeladen. Ziel ist es, Wildschweine aus einem Maisfeld herauszutreiben und zu erlegen. Viele Landwirte dringen gerade im Sommer darauf, weil sich die Schwarzkittel da im Feld verstecken und große Schäden anrichten. Der Jagdleiter belehrt die Teilnehmer noch über die Regeln und weist besonders auf die nahe Bundesstraße 16 hin. Dann kommen die Hunde und die Jagd beginnt. Und der Jagdleiter selbst feuert den tödlichen Schuss ab.

    Der Jagdleiter selbst soll den tödlichen Schuss abgegeben haben

    Ein knappes Jahr später ist der Mann vor dem Landgericht Amberg wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Er weint. Seine Waffen habe er abgegeben, den Jagdschein nicht verlängern lassen. Der 46 Jahre alte Mann auf der Anklagebank will kein Jäger mehr sein. „Auf keinen Fall“, sagt er. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, nicht ausreichend für Schutz gesorgt zu haben. Der Angeklagte selbst sagt, er habe die Jagd sorgfältig geplant und zwar so, dass von der Straße weg geschossen werden sollte. Zeugen bestätigen, dass er vorschriftsgemäß über Gefahren und Sicherheitsmaßnahmen informiert und einen Verbindungsweg zu dem Feld gesperrt habe. „Keiner schießt auf die Straße, weil keine Wildsau ist es wert, dass ein Menschenleben gefährdet wird“, habe er gesagt, berichtet ein Zeuge. Dennoch ist es passiert. Und die tödliche Kugel kam ausgerechnet aus dem großkalibrigen Benelli-Gewehr des Jagdleiters.

    Der 61-jährige Fahrer des Autos schildert den dramatischen Augenblick so: Als sie das Maisfeld passierten, habe sein Verwandter auf dem Beifahrersitz plötzlich den rechten Unterarm hochgerissen. Dann habe es schon einen lauten Knall getan und die Scheibe sei herausgeflogen. Aus dem Augenwinkel heraus habe er am Unterarm seines Beifahrers Blut gesehen. Der 47-Jährige sei mit dem Kopf nach vorne hängend auf dem Sitz gesessen. Auf Ansprache reagierte er nicht mehr. Der Fahrer steuerte eine Ausfahrt der B16 an. In einer Rechtskurve sei der Beifahrer zu ihm herübergekippt. „Er hat mich mit verdrehten Augen angeschaut.“ Da sei ihm klar gewesen, dass etwas Schlimmes passiert sein muss. Laut Anklageschrift durchschlug die Kugel wahrscheinlich zuerst ein Wildschwein, trat in den rechten Unterarm, den der Mann am Autofenster liegen hatte, und dann in den Brustkorb ein. Sie durchschlug die Lunge, der Mann war sofort tot.

    Bayerischer Jagdverband warnt vor dieser Jagdform

    Wie das passieren konnte, ist nicht nur im Prozess eine der entscheidenden Fragen. Warum hat ein Jagdgewehr solch eine enorme Durchschlagskraft? Waren die Sicherheitsmaßnahmen nicht ausreichend? Warum sind solche sogenannten Erntejagden überhaupt erlaubt? Es war ja nicht der erste Fall dieser Art. Erst wenige Wochen zuvor war ein sechsjähriges Mädchen lebensbedrohlich verletzt worden, als sich bei einer Erntejagd in Thüringen eine Kugel in eine Kleingartenanlage verirrt hatte. Und ein 56-Jähriger war bei einer Erntejagd erschossen worden.

    Der Bayerische Jagdverband rät grundsätzlich von dieser Jagdform ab: „Solche kurzfristig organisierten Erntejagden sind hochriskant“, sagt Pressesprecherin Gertrud Helm. Sie bestätigt, dass viele Bauern die Jäger unter Druck setzen. Das Gefährlichste an dieser Art der Jagd sei, dass die Jäger ein Maisfeld umstellen und häufig – anders als empfohlen – nicht auf Holzgestellen erhöht sitzen, sondern am Boden stehen. Doch die Höhe ist wichtig, damit der Schuss nach unten abgegeben werden kann und sichergestellt ist, dass die Kugel vom Boden abgefangen wird.

    Die Kugel aus einem Jagdgewehr kann über fünf Kilometer töten

    Dieser „Kugelfang“ soll im Fall Nittenau nicht ausreichend vorhanden gewesen sein, sagt die Staatsanwaltschaft. Der 46-Jährige, der nach eigenen Angaben 1995 den Jagdschein gemacht hat, hätte nicht schießen dürfen, obwohl er auf einem speziellen Aufbau auf einem Traktor stand. Das Urteil soll am kommenden Mittwoch fallen.

    Die Art der Waffe ist im Prozess kein großes Thema. Jagdwaffen müssen eine hohe Durchschlagskraft haben, damit die Tiere nicht leiden, erklärt der Hamburger Waffenexperte Lars Winkelsdorf. „Das Geschoss eines Jagdgewehrs kann problemlos fünf Kilometer weit fliegen – und über diese Distanz auch tödlich sein“, erklärt er. Um hohe Präzision über weite Strecken zu erreichen, sei eine hohe Energie erforderlich. Nach Einschätzung des Experten sind in dem Fall in der Oberpfalz „ganz viele unglückliche Faktoren zusammengekommen“. Es hätte also jeden treffen können, der zufällig vorbeifährt? „Die Wahrscheinlichkeit ist zwar äußerst gering, aber wenn Sie so fragen: ja“, sagt Winkelsdorf. (mit dpa)

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