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Bayern-Italien: So verrückt ist mein bayerisches Leben im Herzen Italiens

Bayern-Italien

So verrückt ist mein bayerisches Leben im Herzen Italiens

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    Bayerisches Brauchtum mitten in Italien.
    Bayerisches Brauchtum mitten in Italien. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Vor ein paar Tagen habe ich meine italienische Familie richtig glücklich gemacht. Bei 41 Grad im Schatten hingen wir alle einigermaßen leblos bei uns in der Wohnung in Rom herum. Die Großtante war da, die Schwiegermutter ebenfalls, zudem meine Frau, eine Römerin, und unsere beiden Söhne. Es war, wie man es sich vorstellt in einer italienischen Familie. Angesichts der sengenden Hitze war niemand von uns in der Lage, einkaufen zu gehen. Also warf ich einen Blick ins Gefrierfach und entdeckte ein Dutzend tief gefrorene Weißwürste Münchner Herkunft.

    Es war früher Abend, aber immer noch unerträglich heiß. Die Vorstellung, unter diesen Bedingungen Weißwürste zuzubereiten und mit dem stets im römischen Kühlschrank vorhandenen Händlmaier-Senf zu garnieren, widerstrebte mir. Obwohl alle Welt weiß, dass die Weißwurst das Mittagsläuten seit Jahrzehnten überlebt, gibt es immer noch eine kulturelle Schranke in mir. Die hindert mich daran, diese bayerische Spezialität zu später Stunde zu verzehren. Aber die fleischfressenden Italiener um mich herum, meine Familie also, war auf einmal ganz aufgeregt. „Wiustel“, „Wiustel“, riefen sie begeistert.

    Mir war es wichtig, klarzustellen, dass wir die Weißwürste nicht grillen und auch nicht in der Pfanne braten würden. Die Reaktion der Anwesenden war etwa die eines italienischen Fußballstadion-Publikums gegenüber einem Schiedsrichter. Ich versuchte die Gemüter zu beruhigen, aber nicht etwa, weil la famiglia der Weißwurst südländische Gewalt hätte antun wollen, im Gegenteil. Seit bald 15 Jahren unterschätze ich meine römische Verwandtschaft und meine, sie jedes Mal von Neuem über das Geheimnis der Weißwurst aufklären zu müssen. Dabei wissen alle längst besser Bescheid als ich.

    Noch ehe ich das Gefrierfach wieder schloss, war bereits der Wassertopf aufgesetzt und der Tisch gedeckt worden. Wenig später waren meine römische Schwiegermutter und die römische Großtante in eine Diskussion über Zuzeln und Aufschneiden verwickelt. Mit einer Mischung aus Stolz und Aversion und vor allem mit Schweißperlen auf der Stirn beobachtete ich meine glückliche Familie wenig später beim Weißwurstverzehr. Ich selbst aß Bruschetta.

    Zum Glück gibt es die Freunde aus der Heimat

    Die verwunderliche Tatsache, dass bei uns im August Münchner Weißwürste im Gefrierfach lagern, hat mit der Fürsorge meiner bayerischen Freunde zu tun. Meine Cousine brachte mir liebenswürdigerweise neulich einen ganzen Kasten Tegernseer Hell mit. Zu meinem Geburtstag beschenkten mich meine Münchner Freunde mit einem formidablen Business-Koffer, dessen Hauptattraktion sich allerdings in seinem Inneren befand. Das Gepäckstück quoll vor Weißwürsten und aufzubackendem Leberkäse förmlich über. Ich war selten glücklicher als damals.

    Der Leberkas war wenige Stunden später verzehrt, ein Teil der Weißwürste hielt sich bis vor wenigen Tagen. Brezn besorgten wir in der österreichischen Bäckerei im ehemaligen römischen Getto, ein Geheimtipp unter Exil-Bayern in Rom. An der Wand im Inneren der Konditorei hängt ein gerahmter Brief aus dem vatikanischen Staatssekretariat, in dem sich ein hoher Mitarbeiter des inzwischen emeritierten Papstes Benedikt XVI. für den vorzüglichen Apfelstrudel bedankt, den man ihm aus der Konditorei in den Apostolischen Palast hatte zukommen lassen. Man muss als Bayer in Rom eben wissen, wie man sich die Heimat in die Fremde holt.

    Insgesamt schreitet die Bajuwarisierung Italiens durchaus voran. Am norditalienischen Gardasee etwa hilft bayerisches Radio nach. Das Programm ist nicht nur digital am See zu empfangen, sondern auch über Ultrakurzwelle, was manchem Feriengast eine Freude zu sein scheint. Ansonsten ist festzustellen, dass die italienische Wirtshauskultur auffällig stark mit süddeutschen Errungenschaften kokettiert. Im Restaurant „Terrazza Bavarese“ in Jesolo bei Venedig hat der Eigentümer das Etablissement mit alten Nummernschildern aus dem bayerischen Raum gemütlich zu machen versucht. Ausrangierte Blechstücke aus Berchtesgaden, Traunstein, aber auch aus Dachau oder Nürnberg zieren die Wände. In dieser Atmosphäre empfiehlt der Wirt seinen Gästen einen Kompaktteller, der

    Von Nord bis Süd wird bayerische Wirtshauskultur in Italien nachgeahmt, man darf nur nicht allzu viel Authentizität verlangen. In der Turiner „Löwengrube“ beispielsweise schenken die piemontesischen Kellner in der Lederhose aus. Die Speisekarte verspricht exotische Mixturen, etwa einen „Bavernseufser“ aus Grillwurst, Senf, Pommes und Krautsalat oder einen bayerischen „Hot Dog Crauti“. In Bologna hat sich ein nicht unbeliebter Pub den Namen „Ein Prosit“ gegeben. Bayerisches Bier hat bekanntlich insbesondere auf Italiener eine magische Anziehungskraft. Vielleicht liegt es auch daran, dass die in Regensburg ansässige Klosterbrauerei Weltenburger jüngst eine eigene Filiale in der Toskana eröffnet hat. Seit April empfängt ein „Weltenburger Bierstadel“ in Grosseto Gäste.

    Was das Standbein Bayerns in Italien empfindlich geschwächt hat

    Zur Eröffnungsfeier im Frühjahr erschienen nicht nur eine bayerische Bierkutsche samt amtierender Oberpfälzer Bierprinzessin, sondern auch ein leibhaftiger Kardinal mit bayerischer Vergangenheit, auf dessen Spuren man im Bierstadel heute gewissermaßen trinkt. Der ehemalige Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller nahm zusammen mit einer Abordnung der Schweizergarde den Weg von Rom auf sich und griff während der Feier sogar zum Taktstock. Damals schien die bayerische Welt in Italien noch halbwegs in Ordnung. Inzwischen wurde der Präfekt der Glaubenskongregation, den eine toskanische Lokalzeitung vor der Pub-Eröffnung im März noch als „Pilaster der Weltkirche“ feierte, von Papst Franziskus geschasst. Man muss feststellen, dass die (Selbst-)Entfernung bayerischer Prälaten aus dem Vatikan das Standbein Bayerns in Italien doch empfindlich geschwächt hat.

    Die gemütliche Zirbelstube, die sich Benedikt XVI. im Obergeschoss des Apostolischen Palastes vorsorglich gegen Heimweh hatte zimmern lassen, liegt heute unter einer dicken Staubschicht und ist ganz in Vergessenheit geraten. Jahrelang existierte im Vatikan auch eine Schafkopfrunde, die zeitweise im Schatten des Petersdoms zusammenkam, später durch Klöster in der ganzen Stadt zog, sich im Vatikan-Supermarkt „Annona“ mit Naturalien versorgte und inzwischen aus Nachwuchsmangel vor der Auflösung steht.

    Es ist dies womöglich das natürliche Schicksal aller bayerischen Triebe im Süden. Was den Erhalt heimatlichen Brauchtums in Italien angeht, fühle ich mich durchaus zur Traditionspflege bemüßigt. Wir sprechen zu Hause auch Deutsch, ich habe zudem den Begriff „Milli“, also Milch, bei meinen beiden in Rom zur Welt gekommenen und inzwischen fünf- und dreijährigen Söhnen etabliert, streue wie nebenbei auch gerne Wörter wie „Schmarrn“ oder „Servus“ ein, in der Illusion, den römischen Kindern das ferne Bayern wenigstens ein bisschen näherzubringen. Während der Ältere diese etwas zwanghaften Bemühungen längst enttarnt hat, nimmt der Jüngere den väterlichen Wortschatz noch so selbstverständlich hin wie den Wechsel der Jahreszeiten.

    Wie gut, dass die Kinder noch so klein sind

    Ein sensibles Thema bei uns in der Familie ist auch der Fußball. Mit seinen weißblauen Wimpeln, den bayerischen Farben, und einem Gefühl, das dem des Zuhauseseins sehr nahe kommt, ist der bayerische Verein TSV 1860 München trotz allem eine ernstzunehmende Größe in meinem römischen Alltag. Längst habe ich mich an die Erniedrigung gewöhnt, unwissenden Italienern die Existenz meiner fußballerischen Heimat zu erläutern. Ich greife dann oft auf die Parallele in Turin zurück, wo es einen großen, sehr erfolgreichen Verein gibt und einen kleineren, weniger erfolgreichen, aber authentischeren. Die meisten nicken mitleidig. Dass 1860 vom Erfolg des FC

    Ich profitiere in dieser Hinsicht auch noch vom zarten Alter unserer Kinder. Der Fünfjährige hat gerade staunend den Begriff „Vierte Liga“ gelernt und ahnt längst, dass es ein Fußballleben jenseits des TSV 1860 gibt und es nicht zuletzt zum Selbstschutz geschickter ist, seine Sympathien für Vereine wie den AS Rom zu verwenden. Sein 60-T-Shirt verstaubt seit einiger Zeit im Kleiderschrank. Der Jüngere liebt Tiere, insbesondere Löwen. Wenn er mit seiner Kleinkinderstimme „Sechzig!“ ruft und darauf beharrt, das weißblaue Hemd überzustreifen, habe ich kurz das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben.

    Das sind Momente, in denen auch die bayerische Heimat auf einmal ganz nahe ist. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass diese Illusion bald zerplatzen wird. Aber ich genieße sie, solange es noch geht.

    Serie Tausende Bayern machen gerade Urlaub in Italien. Für die Daheimgebliebenen holen wir Italien hierher. In unserer großen Sommerserie erkunden wir die vielen italienischen Seiten unserer Region. Heute, zur Halbzeit der Serie, drehen wir ausnahmsweise den Spieß um. Es geht um das Bayerische in Italien.

    Was Bayern mit Italien verbindet

    Handel: Italien belegt unter den wichtigsten Ländern, die bayerische Produkte kaufen, Platz sechs (Rang eins: USA). 2016 gingen Waren im Wert von 11,8 Milliarden Euro dorthin – fast neun Prozent mehr als 2015. Das Plus von 962 Millionen Euro ist das größte Wachstum aller bayerischen Handelspartner. Umgekehrt werden auch italienische Produkte für Kunden im Freistaat immer interessanter. So wurden Waren im Wert von 11,1 Milliarden Euro nach Bayern eingeführt – 5,9 Prozent mehr als 2015. In dieser Statistik liegt Italien auf Platz fünf. Das meiste Geld geben bayerische Firmen für österreichische Produkte aus.

    Milchwirtschaft: Italienische Verbraucher stehen ganz besonders auf Käse aus dem Freistaat. 31 Prozent der Waren, die 2016 von hier ins Ausland gingen, kauften Italiener. Platz zwei belegte mit weitem Abstand und einem Anteil von zehn Prozent Österreich.

    Tourismus: Bayern ist laut ADAC das einzige deutsche Bundesland, für das Italien das liebste aller Reiseländer ist. Die Sympathie beruht auf Gegenseitigkeit. Unter den ausländischen Urlaubern im Freistaat stellten die Italiener 2016 die fünftwichtigste Nation. Zusammengerechnet übernachteten sie hierzulande 1,15 Millionen Mal. Vor zehn Jahren waren es noch 1,06 Millionen. Die größte Urlauber-Nation in Bayern stellen derzeit die USA. anf

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