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Bayern: Hinter dem Richterpult ohne Jurastudium

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Hinter dem Richterpult ohne Jurastudium

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    Für die Amtsperiode 2013 werden in Bayern Schöffengesucht. Die Laienrichter dürfen mitentscheiden - und sie können Richter sogar überstimmen. Symbolbild
    Für die Amtsperiode 2013 werden in Bayern Schöffengesucht. Die Laienrichter dürfen mitentscheiden - und sie können Richter sogar überstimmen. Symbolbild

    Der junge Mann soll einen Bekannten erpresst und sich dabei als Polizeibeamter ausgegeben haben. Der Angeklagte verstrickt sich in Widersprüche, der Kläger auch. Vier Stunden dauert an diesem Nachmittag die Verhandlung am Augsburger Amtsgericht. Mit dem Ergebnis: Die *. Sie ist eine von 160 Hauptschöffen am Amtsgericht und kann darüber entscheiden, wie hart der junge Mann bestraft wird. Hubers Amtszeit endet dieses Jahr, dann werden ab 2014 neue Schöffen eingesetzt. Die Suche läuft bereits.

    Schöffen können Richter überstimmen

    „Es gibt Tage, da fällt es mir leichter, mir eine Meinung zu bilden“, sagt die 51-Jährige. „Heute gab es so viele Widersprüche. Ich wusste lange nicht, wem ich glauben sollte.“ Huber macht sich viele Gedanken darüber. Ein Schöffe entscheidet über Freiheit oder Haft. Dass das den wenigsten bewusst ist, weiß auch Hasso Lieber, Vorsitzender des Bundesverbandes ehrenamtlicher Richterinnen und

    Ein Schöffe kann den Richter sogar überstimmen. „Bei der Entscheidung über die Strafe zählt eine Zweidrittelmehrheit“, erklärt Lieber. Dabei muss sich ein Schöffe immer am gesetzlichen Strafrahmen orientieren.

    Die Ehrenamtlichen entscheiden über die Zukunft eines Menschen

    Marieluise Huber ist sich ihrer Verantwortung bewusst: „Man entscheidet über das Schicksal und die Zukunft eines Menschen.“ Im Hinblick auf die Verhandlung vom Nachmittag sagt sie, sie habe selbst Kinder im Alter des Angeklagten. „Ich wollte ihn am liebsten wachrütteln. Mit meinem Urteil versuche ich, ihn auf den rechten Weg zu bringen, ihm zu helfen.“

    Ihr Kollege Walter Müller*, der bei der Verhandlung als zweiter Schöffe dabei ist, sieht das ein wenig anders. „Man muss sich auf die Zähne beißen und die Emotionen unterdrücken. Dann entscheide ich mich für eine Strafe im Einklang mit der des Richters.“

    In vielen Städten und Gemeinden wurde das Amt des Schöffen bereits öffentlich ausgeschrieben. Wer einer werden möchte, muss ein paar Voraussetzungen erfüllen, sagt Hasso Lieber: Er oder sie muss die deutsche Staatsbürgerschaft haben und Deutsch sprechen. Außerdem darf er nicht jünger als 25 und nicht älter als 69 Jahre sein. Wer vorbestraft ist (über sechs Monate Freiheitsstrafe) oder sich in einem Insolvenzverfahren befindet, kann ebenfalls kein Schöffe werden.

    „Ich hätte nie gedacht, dass ich gewählt werde“, sagt Marieluise Huber. Im Gemeinderat, in dem sie tätig ist, ging eine Liste herum. Sie trug sich ein. „Und jetzt bin ich’s.“ Sie mag ihre ehrenamtliche Aufgabe aber, für die sie etwa einmal im Monat ans Gericht kommen muss. Ihr Kollege hat sich freiwillig gemeldet, weil er „gerne Verantwortung trägt und zu seiner Meinung steht“. Er fügt hinzu: „Man muss Selbstvertrauen mitbringen, sollte Interesse an Justiz haben und sozial eingestellt sein.“

    5 Euro pro Stunde für Laienrichter

    Die Staatsanwältin liest die Anklageschrift des jungen Mannes vor. Nahezu ohne Luft zu holen. Sie spricht von Paragrafen und Vorstrafen, sie verwendet Abkürzungen. Juristische Vorkenntnisse müsse man laut der beiden Schöffen aber nicht haben. „Das ist ein Paragrafendschungel“, sagt Marieluise Huber. „Wir fragen einfach nach, wenn wir etwas nicht verstanden haben. Die Richter und Anwälte verlaufen sich manchmal in ihren Paragrafen. Oft sehen sie dabei den Angeklagten nicht als Menschen. Da kommen wir ins Spiel.“

    In jedem bayerischen Gerichtsbezirk werden bis zum 15. Mai Kandidaten gesucht. „Doppelt so viele wie nötig kommen dabei auf eine Vorschlagsliste“, sagt Lieber. Diese Liste wird von den Gemeinden dem Schöffenwahlausschuss übergeben, der aus einem Richter, einem Verwaltungsbeamten und sieben kommunalen Vertrauenspersonen besteht. Dort werden Schöffen ausgewählt.

    Dabei muss man zwischen Haupt- und Hilfsschöffen unterscheiden. „Zunächst einmal werden nur Hauptschöffen für ein Jahr bestimmt“, sagt Lieber. „Sollte ein Schöffe aber an einer Verhandlung nicht teilnehmen können, wird ein Hilfsschöffe eingesetzt.“ Außerdem gibt es Schöffen für Erwachsenen- und Jugendstrafrecht. Geld gibt es dafür wenig. Fünf Euro Aufwandsentschädigung pro Stunde – plus bis zu 20 Euro brutto für den Verdienstausfall. Der Arbeitgeber muss den Schöffen für den Zeitraum einer Verhandlung freistellen. Lieber: „Schöffe sein ist ein Ehrenamt. Das sollte allen bewusst sein.“

    Ein Fall lässt ihr auch nach der Verhandlung oft keine Ruhe

    Ein manchmal anstrengendes Ehrenamt. Während der Verhandlung hören beide Augsburger Schöffen konzentriert den Aussagen aller Beteiligten zu, blicken immer wieder auf ihre Akten, notieren sich etwas. Danach, außerhalb des Gerichtssaals, atmet Marieluise Huber erst einmal durch. Sie wirkt geschafft. Müde. Der Fall lässt ihr unmittelbar nach der Verhandlung keine Ruhe. Zu Hause denke sie noch eine Zeit lang darüber nach.

    Das Urteil über den jungen Mann wird erst bei der zweiten Verhandlung im März fallen. „Ich würde gerne wissen, was nach ein paar Jahren aus den Leuten geworden ist.“

    *Namen von der Redaktion geändert

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