In Bayern bahnt sich ein Steuerskandal an. Nach Recherchen unserer Zeitung und des Nachrichtenmagazins Der Spiegel werden zwei Töchter des Pharma-Milliardärs Curt Engelhorn beschuldigt, mehr als 80 Millionen Euro an Steuern hinterzogen zu haben. Dennoch werden die 44 und 42 Jahre alten Frauen nach dreijährigen Ermittlungen sehr wahrscheinlich mit hohen Geldstrafen davonkommen.
Die Augsburger Staatsanwaltschaft soll den Anwälten der Engelhorn-Töchter zugesagt haben, dass deren Mandantinnen nächste Woche von einem Amtsrichter unterschrieben einen Strafbefehl in Höhe von jeweils 2,1 Millionen Euro erhalten.
Im Gegenzug werden, gemäß einer im Dezember mit den Verteidigern getroffenen „tatsächlichen Verständigung“, noch in dieser Woche vom Engelhorn-Clan 100 Millionen Euro an die Justizkasse überwiesen – als Anzahlung auf den Steuerschaden. Per Blitztransfer. Dann wird der Deal sofort rechtskräftig. Der von den Anwälten akzeptierte Steuerschaden beläuft sich insgesamt auf 135 Millionen Euro. Das ergibt sich aus Unterlagen, die unserer Zeitung vorliegen.
Steuerhinterziehung im zweistelligen Millionenbetrag: Engelhorn-Töchter vor Gericht
Eine Engelhorn-Tochter, die bis zu ihrer Verhaftung unweit von Landsberg am Lech gelebt hat, ist eine bekannte Züchterin von Westernpferden. Sie und ihre jüngere Schwester, eine promovierte Ärztin, haben nach Einschätzung der Ermittler seit Ende der 1990er Jahre von ihrem Vater mehrere 100 Millionen Euro bekommen, ohne die dafür fällige Schenkungs- und Kapitalertragssteuer abzuführen.
Der nun von den Anwälten der Familie akzeptierte Steuerschaden von 135 Millionen wurde vom Landesamt für Steuern in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft in Augsburg ausgehandelt. Zum Vergleich: Uli Hoeneß, der gestanden hat, 28,5 Millionen Euro hinterzogen zu haben, wurde dafür zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ende Februar soll er vorzeitig freikommen.
Im Jahr 1997 hatte Vater Curt das traditionsreiche Pharma-Unternehmen Boehringer in Mannheim für rund 19 Milliarden D-Mark an den Schweizer Konzern Hoffmann-LaRoche verkauft. Es war der damals größte Firmenverkauf in Europa, der noch aus einem anderen Grund Aufsehen erregte.
Der Verkaufserlös blieb wegen einer Gesetzeslücke steuerfrei, die der Bundestag postwendend schloss. „Wir haben die Steuerfalle erfolgreich umgangen“, freute sich damals Engelhorn in einem Interview. „Herr Waigel wird sich ärgern.“ Engelhorn hatte rechtzeitig Wohn- und Firmensitz seiner Holding Corange Ltd. ins Ausland, nach Hamilton auf den Bermudas, verlegt.
2013 Razzien von Steuerfahndern bei den Engelhorns
Bis auf rauschende Feste zu runden Geburtstagen hörte man seither wenig von dem heute 89-Jährigen, der inzwischen mit seiner vierten Ehefrau in Gstaad in der Schweiz lebt. Mit der Ruhe sollte es vorbei sein, als am 8. Oktober 2013 Steuerfahnder und Staatsanwälte aus Augsburg, ausgestattet mit Haftbefehlen wegen Verdachts der Steuerhinterziehung, bundesweit Razzien durchführten. In München, Starnberg, Hamburg, Berlin – und in Reichling bei Landsberg.
Nahe dem Weiler hatte Vater Curt 1998 einer beschuldigten Tochter für knapp elf Millionen Mark ein Gestüt gekauft, damit sie hier ihrer Leidenschaft, der Zucht von Pferden der Rasse Quarter Horse, nachgehen kann. Verhaftet wurden beide Schwestern in München, wo sie gerade auf Shoppingtour waren. Die eine kam ins Gefängnis nach Stadelheim. Die andere, Mutter zweier Kinder, wurde mit Säugling und dreijähriger Tochter nach Aichach gebracht, das über eine Mutter-Kind-Abteilung verfügt.
Unter den Beschuldigten ist Professor Reinhard P., einer der bekanntesten Steuerfachanwälte in Deutschland. Er hielt sich gerade in Hamburg auf, als ihn zwei Augsburger Staatsanwälte verhafteten – wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung. Er soll auch, wie Steuerfahnder und Staatsanwälte jetzt in beschlagnahmten Unterlagen herausfanden, Umsatzsteuer hinterzogen haben. Seine Münchner Kanzlei war an dem Tag ebenfalls durchsucht worden. P. hat sie einem Nachfolger übergeben. Der 45-Jährige gehört ebenfalls zu den Beschuldigten.
Steuerhinterziehung: 50 Umzugkartons Beweismaterial
P., der in mehreren Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen sitzt, kam 2013 schon nach neun Tagen wieder frei. Ebenso beide Engelhorn-Töchter – was die Schwestern, da dies überraschend ohne jede Auflage geschah, nutzten, um in die Schweiz überzusiedeln. Beide sind nach einem Kurs in Staatsbürgerkunde heute Schweizer Staatsbürgerinnen. Sie haben die deutsche Staatsbürgerschaft abgelegt.
Nach Erkenntnissen der Fahnder, die rund 50 Umzugskartons an Beweismaterial auswerteten, ist P. seit über einem Jahrzehnt Hausanwalt der Engelhorns und gleichzeitig Verwalter des Vermögens, das in einem undurchsichtigen Geflecht von Briefkastenfirmen und dutzenden stiftungsähnlicher Unternehmenszusammenschlüssen – sogenannter Trusts – steckt. Nach außen hin hat der Milliardär, der seiner jüngsten Tochter in Starnberg eine denkmalgeschützte Villa samt Park sowie die halbe Karibik-Insel „Five-Star-Island“ geschenkt hat, keinerlei Zugriff mehr auf sein Geld.
Anwalt P. agiert mit Generalvollmacht der Familie und ist in Person Oberaufseher verschiedener Trusts. Er hat, was aus beschlagnahmten Dokumenten hervorgeht, auf den Bermudas ansässige Treuhänder regelmäßig angewiesen, die von den Töchtern benötigten Gelder auf ein „Durchschleusungskonto“ ihrer Mutter bei der Züricher UBS Bank zu überweisen.
Curt Engelhorn war mit dieser Frau vor seiner jetzigen Ehe verheiratet. P. ist ferner Geschäftsführer oder Teilhaber von Firmen, die unter der Münchner Kanzleiadresse gemeldet sind. So ist der Anwalt auch Geschäftsführer der Ranch im oberbayerischen Reichling. Auf dem 35 Hektar großen Besitz, zu dem Wohnhäuser, Stallungen und eine Reithalle gehören, lebten bis Herbst 2013 rund 20 Menschen. Unter ihnen mehrere Personenschützer, die beide Töchter auch auf Auslandsreisen begleiteten. Heute ist das Gestüt bis auf eine Verwalterin verwaist.
Steuerfahnder kamen Engelhorn aufgrund einer CD von Bankdaten auf die Schliche
Die jährlichen Betriebskosten in Höhe von zwei Millionen Euro soll all die Jahre der Vater übernommen haben. Für die deutsche Justiz ist der 89-Jährige allerdings nicht zu fassen, da auch er in der Schweiz lebt. Da deutsche Steuerfahnder erst durch den Ankauf einer CD mit Bankdaten auf die Engelhorns aufmerksam wurden, gewährt die Schweiz in solchen Fällen keine Rechtshilfe. Sollte die Vereinbarung mit der Justiz diese Woche wie vorgesehen über die Bühne gehen, könnten die Töchter wieder nach Deutschland reisen, ohne dass ihnen die Verhaftung droht.
Auf Anfrage wollten Anwälte der Beschuldigten keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen. Der Kölner Strafverteidiger Rudolf Stahl bat darum, die Namen der Töchter nicht zu nennen. Stahl nannte „Sicherheitsbedenken“ als Grund. Die Augsburger Staatsanwaltschaft teilt auf Anfrage mit, dass eine Stellungnahme wegen des geltenden Steuergeheimnisses zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei. Darüber hinaus, sagt deren Sprecher Matthias Nickolai, könnten Entscheidungen in staatsanwaltschaftlichen Verfahren nur dann bekannt gegeben werden, wenn sämtliche Verfahrensbeteiligte vorher darüber informiert worden seien.