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Bayern: Die Vision des Schuldenfrei-Staates

Bayern

Die Vision des Schuldenfrei-Staates

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    Seehofers Vision von der Tilgung der Staatsschuld ist nichts für verzagte Kleingeister.
    Seehofers Vision von der Tilgung der Staatsschuld ist nichts für verzagte Kleingeister. Foto: Schöllhorn

    Wenn sich Horst Seehofer mal wieder von verzagten Kleingeistern und Bedenkenträgern umgeben glaubt, dann sagt er Sätze wie: „Liebe Leute, wir spielen hier Schach, nicht Halma.“ Oder: „Seid doch nicht so kleinteilig. Wir müssen die großen Linien sehen.“

    Seehofer hat es sich ganz alleine ausgedacht

    Nach allem, was bisher aus dem inneren Führungszirkel der CSU zu erfahren war, hat Seehofer es sich ganz alleine ausgedacht, gut eineinhalb Jahre vor der nächsten Wahl ein ganz großes Ziel auszugeben: Bis zum Jahr 2030 soll Bayern seine gesamte Staatsschuld in Höhe von derzeit rund 32 Milliarden Euro zurückzahlen und als erstes Bundesland schuldenfrei werden.

    Dass Bayern schon jetzt – zumindest in Phasen guter Konjunktur – das einzige Land ist, das in kleinen Portionen Schulden tilgen kann, reicht dem ehrgeizigen Ministerpräsidenten nicht aus. Er sagt, er will innerhalb von 18 Jahren eine Schuld begleichen, die fast so hoch ist wie die bayerischen Steuereinnahmen eines ganzen Jahres. Er sagt, er wolle gleichzeitig die Entwicklung Bayerns auf allen wichtigen Feldern weiter vorantreiben: Kinder, Bildung, Arbeitsplätze. Forschung, Energiewende, ländlicher Raum. Und er will – was er allerdings nicht sagt – die nächsten Wahlen gewinnen. Seehofer weiß: Vor allem die Landtagswahl 2013 wird für die Zukunft der CSU und für seinen Platz in der Geschichte entscheidend sein.

    Der Anteil der Personalkosten liegt bei über 40 Prozent

    Einwände, dieses Ziel sei zu hoch gesteckt oder unglaubwürdig oder pure Propaganda, kontert Seehofer mit dem Verweis auf seinen Vorvorgänger Edmund Stoiber. Der habe sich Ende der 90er Jahre ähnlich kleinliche Kritik anhören müssen, als er das Ziel eines Haushalts ohne Neuverschuldung bis zum Jahr 2006 ausgab. Nun habe der Freistaat – das Zehn-Milliarden-Debakel der Landesbank wird an dieser Stelle stets verschwiegen – zum siebten Mal in Folge einen Haushalt ohne Neuverschuldung vorlegen können. Andere Länder eiferten mittlerweile hinterher. Warum also sollte Bayern, so lautet Seehofers eingängiges Credo, sich nicht ein höheres Ziel stecken?

    Die Vision hat viele Facetten. Politisch wirkt sie wie eine Granate. Sie ist darauf ausgelegt, jede Gegenposition zu zerschmettern. Die Oppositionsparteien wissen genau, dass es unmöglich sein wird, Seehofer bis zur Wahl einer Hochstapelei zu überführen. Dazu ist die Staatskasse im Moment zu gut gefüllt. Die FDP, die eine schrittweise Tilgung schon vor Seehofer zum Programm erhoben hat, ist dazu verdonnert, ihm mit Hurra zu folgen. Und die Zweifler in der CSU schweigen. Was sollte auch gegen so ein schönes Ziel ins Feld geführt werden?

    Wer wissen will, welche Chancen das Projekt „Schuldenfreiheit bis 2030“ tatsächlich hat, sollte Seehofers Argument ernst und zunächst einmal sein Vorbild Stoiber unter die Lupe nehmen. Stoiber hatte, wie jeder Regierungschef, ein Problem: Der größte Teil des Staatshaushalts entzieht sich dem Einfluss der Regierung: Allein die Personalausgaben binden über 40 Prozent der Mittel. Hinzu kommt ein ganzes Bündel weiterer Pflichtaufgaben, sodass politisch regelmäßig nur über einen kleinen Bruchteil der Einnahmen frei verfügt werden kann.

    Auch ohne Neuverschuldung lebt der Staat über seine Verhältnisse

    Starke Sprüche von Edmund Stoiber

    «Wenn ich über die steuer- und erbrechtliche Anerkennung von homosexuellen Paaren diskutiere, kann ich gleich über Teufelsanbetung diskutieren.» (Stoiber über die Gleichstellung von Homosexuellen in einem dpa-Gespräch am 8. August 1991)

    «Liberalität heißt doch nicht, für alles offen zu sein und alles zu tolerieren! Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht!» (Aus einer Rede zum Politischen Aschermittwoch in Passau, 8. März 2000)

    «Ich will noch kein Glas Champagner öffnen.» (Am Abend der - knapp verlorenen - Bundestagswahl, 22. September 2002. Erst später wurde die Niederlage Stoibers deutlich.)

    «Ich akzeptiere nicht, dass erneut der Osten bestimmt, wer in Deutschland Kanzler wird. Es darf nicht sein, dass die Frustrierten über das Schicksal Deutschlands bestimmen.» (Bundestagswahlkampf in Argenbühl, 4. August 2005. Der zweite Satz bezog sich laut Stoiber auf die «politischen Versager» Gregor Gysi und Oskar Lafontaine.)

    «Wenn es überall so wäre wie in Bayern, hätten wir überhaupt keine Probleme. Nur, meine Damen und Herren, wir haben leider nicht überall so kluge Bevölkerungsteile wie in Bayern.» (Bei einem Wahlkampftermin in Schwandorf am 10. August 2005)

    «Ich mache nicht nur leere Versprechungen, ich halte mich auch daran.» (Im Bundestagswahlkampf 2005)

    «Die CSU steht wie ein Mann und wie eine Frau hinter Ihnen!» (Zu Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel am 2. September 2005)

    «Es tut mir leid, dass ich mit meiner Entscheidung unsere Partei und Sie alle hier in eine schwierige Lage gebracht habe. [...] Ich leide selbst außerordentlich, ich leide wie ein Hund.» (Zum Verzicht auf ein Berliner Ministeramt am 14. November 2005)

    «... nur noch kaputte Familien. Außer den Simpsons gibt es keine normale Familie mehr im TV.» (Im Mai 2006 beim Empfang von ehrenamtlichen Kirchenmitarbeitern)

    «Edmund, der Dickschädel - das ist für mich eine Ehrenauszeichnung zur Verfolgung der bayerischen Interessen.» (Über die Verhandlungen zur Gesundheitsreform am 14. Oktober 2006)

    «Wir haben einen Unterschied zwischen dem normal sich verhaltenden Bär, dem Schadbär und dem Problembär. Und es ist ganz klar, dass dieser Bär ein Problembär ist.» (Über den Braunbären Bruno, der 2006 die Wälder an der bayerisch- österreichischen Grenze unsicher machte)

    Die Regierung Stoiber verschaffte sich über Jahre hinweg Luft durch eine breit angelegte Privatisierungspolitik. Staatliche Beteiligungen wurden im Umfang von mehr als fünf Milliarden Euro versilbert. Die Erlöse wurden in Technologie-Offensiven gesteckt. Das strukturelle Defizit im Haushalt – also dass der Staat immer noch mehr ausgab als er einnahm – aber wurde dadurch verschleiert. Als dann das Zieldatum 2006 näherrückte, musste die Regierung Stoiber zu einer Doppelstrategie greifen. Sie machte, um sich ein Polster anzulegen, noch einmal kräftig Schulden. Von 2002 bis 2005 erhöhte sich der Schuldenstand um 3,5 auf 25 Milliarden Euro. Und weil das damals hinten und vorne nicht ausreichte, wurde dem Land obendrein ein scharfer Sparkurs verordnet, der Beamte und Eltern, Empfänger von Blindengeld und anderen freiwilligen Leistungen zum Protest trieb. Die Sanierung von Straßen und staatlichen Gebäuden wurde auf die lange Bank geschoben. Städte, Kreise und Gemeinden mussten Projekte vertagen. Die Investitionsquote, einst Markenzeichen der CSU-Haushaltspolitik, brach ein.

    Rein haushaltspolitisch betrachtet ging das Konzept auf. Drei Jahre in Folge (2006 bis 2008) sank der Schuldenstand Bayerns um insgesamt etwas mehr als 1,4 Milliarden Euro. Politisch aber konnte die CSU daraus keinen Nutzen ziehen. Der rigide Sparkurs war – neben anderen Faktoren – eine Ursache für den erzwungenen Rücktritt Stoibers. Empfindliche Einschnitte – Büchergeld, 42-Stunden-Woche für Beamte – wurden wieder zurückgenommen. Und mit dem Debakel der Landesbank, die mit zehn Milliarden Euro gerettet werden musste, kletterte die Staatsschuld auf ein Rekordhoch von derzeit 32,5 Milliarden Euro. Für Seehofer heißt das – vereinfacht gesagt: Zurück auf Los!

    Der Regierungschef hat, will er sein Versprechen einlösen, zwei Aufgaben: den „normalen Haushalt“ (22,5 Milliarden Schulden) und die Landesbank (zehn Milliarden Schulden), die in einem Sonderposten verbucht ist, aber den Stammhaushalt mit rund 350 Millionen Euro Zinsen pro Jahr belastet.

    Sieben Haushaltsjahre in Folge ohne Neuverschuldung ausgekommen

    Bei der Landesbank kann Seehofer davon ausgehen, dass noch vor der Wahl im Herbst 2013 etwa drei Milliarden in den Staatshaushalt zurückfließen. Das Geld soll erlöst werden durch den Verkauf zweier Landesbank-Töchter: die Wohnungsbaugesellschaft GBW und die Landesbausparkasse. Zwar gibt es auch hier noch ein Risiko: Die ungarische Tochter MKB beschert der Landesbank derzeit empfindliche Verluste. Doch wenn sich die Verkäufe von GBW und LBS realisieren lassen, wäre ein erster Schritt getan. Mittelfristig allerdings gilt bei der Landesbank das Prinzip Hoffnung. Dass sich irgendwann ein Käufer findet, der für die BayernLB die fehlenden sieben Milliarden Euro auf den Tisch legt, ist aus heutiger Sicht schlicht utopisch. Etwas aussichtsreicher stellt sich die Situation im normalen Haushalt dar.

    Hier kann die Staatsregierung darauf verweisen, sieben Haushaltsjahre in Folge ohne Neuverschuldung ausgekommen zu sein. Dieses Jahr können dank unerwartet hoher Steuereinnahmen sogar Schulden getilgt werden: Eine Milliarde Euro soll es sein. Nach dem Verlauf der vergangenen Jahre scheint Seehofers Ziel so unrealistisch nicht zu sein. Dennoch hat die Vision, sofern sie sich auf die jüngste Vergangenheit stützt, einen Haken: Es waren keine normalen Jahre. Bayern wurde zweimal kräftig gepuscht. Zunächst durch das Konjunkturprogramm des Bundes, dann durch die unerwartet kräftig anspringende Konjunktur. Mit derart überplanmäßigen Einnahmen wird Seehofer über einen Zeitraum von 18 Jahren nicht rechnen können. Weitgehend verbaut ist ihm obendrein die Möglichkeit, mit Privatisierungserlösen für wirtschaftliche Impulse zu sorgen. Der Grund: Stoiber hat kaum mehr etwas übrig gelassen.

    Immer wieder zusätzliche Stellen

    Schließlich kommen auf der Ausgabenseite vorhersehbare Mehrbelastungen auf den Freistaat zu. Die Pensionslasten für Beamte steigen überproportional, weil in der Vergangenheit immer wieder zusätzliche Stellen geschaffen wurden. Die Energiewende will finanziert, der ländliche Raum gefördert, das Bildungswesen ausgebaut werden. Dass Augsburg noch auf eine Uniklinik und München auf einen Konzertsaal wartet, fällt da kaum noch ins Gewicht.

    Vollends deutlich wird die Dimension von Seehofers Vision, wenn man die „großen Linien“ in den vergangenen 25 Jahren betrachtet. Nur in fünf Jahren war der Finanzierungssaldo im Staatshaushalt positiv: 1990 durch die wirtschaftlichen Effekte der Wiedervereinigung, 1999 und 2000 durch ungewöhnlich gute Konjunktur sowie 2006 und 2007 durch die Sparmaßnahmen Stoibers. Kurz gesagt, Seehofer hat recht: Seine Vision ist nichts für verzagte Kleingeister.

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