Ein Norddeutscher ist mit seinem Auto im bayerischen Oberland unterwegs. Er kommt durch ein Bauerndorf und erkennt zu spät, dass Hühner auf der Straße sind. Er bremst scharf, aber nicht scharf genug. Alle Hühner können sich retten, bis auf eines. Es liegt neben dem Auto und ist offenbar tot. Der Mann steigt aus, nimmt das arme Hendl leicht angeekelt und mit spitzen Fingern an einem Hax’, geht auf den Hof und klingelt an der Haustür. Der Bauer öffnet die Tür und fragt: „Wos is’?“ Der Autofahrer sagt: „Ich bitte um Entschuldigung. Ihr Huhn ist mir vors Auto gelaufen. Ich vermute, dass es tot ist, das arme Tier. Was meinen Sie?“
Diese Geschichte ist für sich genommen nicht lustig. Sie wird es erst durch einen Vergleich, und zwar, wenn man sich vorstellt, dass statt eines Norddeutschen ein Oberbayer im Auto sitzt. Was würde er zum Bauern sagen? Also noch einmal neu und von vorn: Ein Oberbayer ist mit seinem Auto (…). Der Bauer öffnet die Tür und fragt: „Wos is’?“ Der Autofahrer sagt: „Hi, ha? De bläde Hehn!“
Wer darüber jetzt nicht lachen kann, für den wird dieser Artikel vermutlich eine ziemliche Herausforderung. Es geht hier nicht einfach um Humor, es geht um bayerischen Humor. Und da klafft halt nun mal eine tiefe Kluft zwischen den Eingeborenen und den Zuagroastn, zwischen dem Freistaat und dem Rest der Welt – das glauben zumindest die Bayern.
In der Geschichte vom toten Hendl zeigt sich das schon rein sprachlich. Wer nicht weiß, dass das schöne bayerische Wort „hi“ so viel heißt wie „tot“ oder „kaputt“, der hat von vornherein keine Chance, die Pointe zu erfassen. Noch schwieriger ist es mit der Kurzfrage „Ha?“. Sie hat gleich mehrere Bedeutungen: „Was meinst du?“ oder „Was denkst du?“ oder „Wie bitte?“ oder auch „Willst du mich provozieren?“ – in letzterem Fall häufig als nachgestelltes Suffix (Anhängsel), etwa in der Wendung „mechst rauffa, ha?“.
Die kulturelle Kluft zeigt sich in dem Vergleich zudem auf emotionaler Ebene, konkret im Verhältnis zum Tod. Zwar schwingt unter Umständen auch in dem vordergründig abschätzigen Begriff „bläde Hehn“ ein gewisses Mitgefühl für das tote Tier mit. Für Nicht-Bayern aber ist das nicht ohne Weiteres und bestenfalls am Tonfall erkennbar. So entstehen dann Missverständnisse.
Wenn Bayerns Männer zum Dreschflegel greifen
Der bayerische Humor ist einer gängigen Definition zufolge „nicht geistvoll und witzig, sondern derb, handfest und drastisch“. Historisch gesehen greifen die bayerischen Männer beim Humor zu einem ähnlichen Instrument wie dereinst die Bauern bei der Arbeit: zum Dreschflegel. Ein Beispiel: Die vermutlich weltweit gültige und geschlechterneutrale Heiratsregel „Liebe vergeht, Hektar besteht“ kam im landwirtschaftlich geprägten Bayern einst in einer bedenklichen, höchst frauenfeindlichen Variante daher. Da hieß es: „’s Weibersterb’n bringt koa Verderb’n, aber ’s Rossvarrecka duad an Bauern schrecka.“ Zur Entschuldigung der bayerischen Mannsbilder von anno dazumal lässt sich nur anführen, dass der Spruch aus einer rein männlichen, agrarökonomischen Perspektive heraus womöglich durchaus zutreffend war. Pferde kosteten viel Geld, Frauen nicht.
Witze über den Tod zu reißen aber ist auch den bayerischen Frauen nicht fremd. Sie zeigen sich dabei allerdings sowohl feinfühliger als auch hintersinniger. Als Zeugin sei hier die dem Autor bestens bekannte Tante Fannerl angeführt. Sie zog dereinst nach dem Krieg von einem Ende Niederbayerns ins andere, steuert mittlerweile stramm auf ihren hundertsten Geburtstag zu und lässt sich von der Verwandtschaft bis heute über Ereignisse in ihrer alten Heimat informieren. Todesfälle sind in diesem Zusammenhang breaking news. Der Standarddialog geht etwa so: Neffe: „Griaß di, Tante Fannerl.“ Tante: „Ja, griaß di.“ Neffe: „Hast scho g’hört? Der Huber-Bauer is’ g’storbn.“ Tante: „Ach geh! Der Huber-Bauer is’ g’storbn? Des hod er ja no’ nia g’macht.“
Das unverkrampfte Verhältnis zum Tod ist freilich nur ein traditionelles Element des bayerischen Humors. Man findet es im Theater („Der Brandner Kaspar und das ewig’ Leben), im Film („Wer früher stirbt, ist länger tot“) oder in den wunderbaren bayerischen Fernsehserien wie „Irgendwie und Sowieso“. Da trauerten Otti Fischer als „Sir Quickly“ und alle anderen Freunde um einen jungen Spezl, der nach einer glücklich überstandenen Mutprobe vor Freude wild herumsprang, rücklings in eine Baugrube fiel und sich dabei das Genick brach. In der Trauerrede am Grab sagte der Pfarrer nur so viel, wie gesagt werden muss, und so wenig, wie gesagt werden kann: „War es ein Zufall oder war es Schicksal? In jedem Fall war es ein Unfall.“
Ein ausgeprägter Hang zur Anarchie
Ein weiteres traditionelles Element kann in einem ausgeprägten Hang zur Anarchie gesehen werden, der auch darin wurzelt, dass „die Obrigkeit“ in den vergangenen Jahrhunderten zumeist von außerhalb kam. Die Bayern hatten sich immer wieder stärkeren Mächten zu unterwerfen – den Franzosen, den Österreichern, den Preußen. Offene Rebellion aber war die Ausnahme. Die Bayern lehnten sich nicht wirklich auf. Dafür ging es der Bevölkerung meistens zu gut. Aber sie kultivierten Hohn und Spott über die Herrschenden, ihre Bürokraten und ihre Polizei.
Ihre heimlichen Helden waren vom Typ Wilderer und Strizzi. Dem berühmtesten Wilderer und Frauenhelden Georg Jennerwein, alias „Girgl von Schliers“, wurde noch 1976, also 99 Jahre nach seiner Ermordung, an seinem Todestag eine gewilderte Gams übers Grabkreuz gehängt. Und nicht nur im Jennerwein-Lied wird der Mythos hochgehalten. In einer Strophe eines Wilderer-Lieds, das der niederbayerische Kabarettist Hanns Meilhamer in seinen jungen, wilden Jahren gesungen hat, ist der gesamte Mythos in wenigen Worten zusammengerafft. Der „Wuidbernbua“ singt und spottet und freut sich, dass er den Jäger gleich doppelt an der Nase herumführt: „Und is der Jager draust im Woid auf meiner Spur / bei seiner Frau dahoam do is der Wuidbernbua / und kimmt a grantig hoam und putzt sein dreckigen Rock / bin i im Woid und schiaß sein schönsten Bock.“
Politisch korrekt ist der bayerische Humor bis heute nicht. Ein Plakat des Hofbräuhauses Traunstein erregte erst jüngst höchste Empörung. Es zeigt einen nur mit Lederhose, Wadlstrümpfen und Hut bekleideten dunkelhäutigen Mann, der eine volle Mass Bier vor dem Bauch hat. Daneben der Spruch: „A Preiß kann nie a Bayer werdn, a Neger aber scho…“ Josef Schumacher vom Hofbräuhaus Traunstein musste sich rechtfertigen. Er wies in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk „jegliche Form von Rassismus“ weit von sich und sagte: „Wir san in Bayern und Bayern ist ein Freistaat und Bayern hat einen Alleinstellungsanspruch dadurch. Und den hamma bei unsere Sprüch und bei der Gaudi und beim Humor. Und damit is normalerweise eigentlich scho’ ausg’red.“
Zugeständnisse an ein verändertes gesellschaftliches Empfinden freilich mussten immer wieder gemacht werden – im Kasperltheater zum Beispiel. Der Kasperl oder das Kaschberle ist zwar keine ursprünglich bayerische Figur, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen – ein Zuagroaster, der vermutlich über Österreich oder Italien hierher gekommen ist. Aber er wurde durch den Münchner Zeichner und Schriftsteller Franz Graf von Pocci als „Kasperl Larifari“ im 19. Jahrhundert in Bayern besonders populär. Der Schriftsteller Carl Amery beschrieb die Figur als „tapfer bis zur Brutalität“, die es mit Tod, Teufel und Gendarmerie aufnimmt: „Kasperl lebt nicht nur die Verweigerung, er ist sie. Befehle und Imperative verwandelt und verdreht er zum Spektakel.“ Damit sei er eine eminent bayerische Figur.
Der Kasperl darf nicht mal mehr das Krokodil verprügeln
Wer heute auf ein Volksfest geht, der wird freilich feststellen, dass dem Kasperl fast jede Form von Gewalttätigkeit ausgetrieben wurde. Aus pädagogischen Gründen darf er vor den Kindern nicht einmal mehr das Krokodil verprügeln. Heutzutage enden die Geschichten damit, dass das böse Krokodil in den Tierpark gebracht wird.
Ganz auszutreiben ist dem bayerischen Humor das Rebellische jedoch nicht. Sogar im fernsehtauglichen bayerischen Kabarett wird der kalkulierte Tabubruch mit einigem Erfolg praktiziert. Kabarettisten wie Monika Gruber, Django Asül, Günter Grünwald oder Hannes Ringlstetter sind die Protagonisten. Sie besetzen ein mediales Feld, das früher vom Komödienstadl oder vom Königlich Bayerischen Amtsgericht beackert wurde.
Das ist viel Klamauk und Comedy. Aber gar nicht so selten kommt dabei auch die Selbstironie zum Vorschein, die als weiteres besonderes Merkmal des bayerischen Humors gelten kann.
Ringlstetter kann zum Beispiel wunderbar anhand von Watschn, Schelln und Fotzn die graduellen Unterschiede bei der dörflichen Züchtigung von Kindern und Jugendlichen zu pädagogischen Zwecken herausarbeiten. Monika Gruber wiederum erwirbt sich fortgesetzt Verdienste um den Erhalt der bayerischen Schimpfwörterkultur. Grandios ihr Auftritt in der Warteschlange einer Metzgerei, wo sie eine sich vordrängelnde nicht-bayerische Kundin als „z’sammgrupfte Amsel aus der Zuagroastn-Siedlung“ beschimpft.
Der aktuelle Gipfel des bayerischen Humors aber ist wohl bei anderen, kantigeren Kabarettisten zu suchen: Sigi Zimmerschied demonstriert seit Jahrzehnten auf den Kleinkunstbühnen des Freistaats, wie abgrundtief schwarz und verzweifelt es in der Seele des kleinen Mannes in Bayern aussehen kann. Gerhard Polt baut seit Jahrzehnten urkomische Dramen über unausrottbare Dummheit, alltäglichen Egoismus und haltlose Protzerei. Sie stehen für das Kritische und Selbstkritische, das dem bayerischen Humor auch innewohnt.
In der bayerischen Geschichte gibt es für diese Form des Humors ein alle überragendes Vorbild: Karl Valentin, der geniale Wortzerklauberer, grantige Clown und hoffnungslose Fantast, der auch noch aus der kleinsten Kleinigkeit eine lupenreine Katastrophe konstruieren und Unsinn in Sinn und wieder zurück verwandeln konnte. Er hat den bayerischen Humor zu einer seither vermutlich nie mehr erreichten Kunstform entwickelt. Sein „Winterzahnstocher“ – er ist an einem Ende mit Pelz ummantelt – hat es erst vor rund zehn Jahren bis ins „Museum of Modern Art“ nach New York geschafft.
Wer jetzt meint, dass früher die Zukunft auch mal besser war, der dürfte damit nicht ganz falsch liegen. Zum bayerischen Humor nämlich gehört zwingend die gute alte Zeit, auch früher schon.
Unser Autor Uli Bachmeier ist bekennender Niederbayer und sowohl des „hi“ als auch des „Ha?“ mächtig.