Selbst Branchenkennern und hochrangigen Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat Ulrich Wilhelm in den vergangenen Monaten Rätsel aufgegeben: Will der 59-Jährige Chef des Bayerischen Rundfunks bleiben oder nicht? Seit Freitagmittag ist seine Entscheidung öffentlich, der BR berichtete in eigener Sache: Intendant Ulrich Wilhelm stehe für eine weitere, dritte Amtsperiode nicht zur Verfügung.
Wilhelm wurde in der Pressemitteilung mit den Worten zitiert: Er habe sich nach "reiflicher Überlegung und intensiver Abwägung der Argumente Pro und Kontra" und "zugegebenermaßen schweren Herzens" zu diesem Schritt entschlossen. Zehn Jahre voller spannender Herausforderungen seien eine gute Zeit gewesen. Wilhelm betonte besonders, dass er die Transformation des BR zu einem trimedialen Medienhaus mitgestalten habe dürfen. Trimediales arbeiten bedeutet, dass die früher getrennten Bereiche Fernsehen, Radio und Online zunehmend verschmelzen. Seit Anfang Juli verantworten zum Beispiel die Programmdirektionen "Kultur" und "Information" alle Inhalte im Fernsehen, im Hörfunk und auf den digitalen Ausspielwegen.
Ulrich Wilhelm kämpfte für einen höheren Rundfunkbeitrag
Was diese Umstrukturierung angeht, galt Wilhelm ARD-intern als einer der Vorreiter. Seine ruhige, fokussierte Art, den BR durch finanziell angespannte Zeiten – der Spardruck auf die Sender ist enorm – zu steuern, brachte ihm großen Respekt von Intendanten-Kollegen ein. Allerdings ärgerten sich die einen oder anderen von ihnen auch über ihn, zuletzt etwa, weil er das gemeinsame digitale Kulturportal der öffentlich-rechtlichen Sender, das nächstes Jahr möglicherweise in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt aufgebaut werden soll, nicht mittrug.
Was er dagegen in den vergangenen Jahren kräftig vorantrieb, war seine Idee einer europäischen Plattform für Medien und Kultur – als Gegengewicht zu Facebook, Google oder Youtube. In den Internetgiganten sah er die schärfsten Konkurrenten für die beitragsfinanzierten Sender ARD, ZDF und Deutschlandradio.
Ohnehin kämpfte Wilhelm entschieden für ein hochwertiges Programm, dessen Qualität er nur durch eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags gewährleistet sah. "Wie alle Unternehmen haben auch wir steigende Energiekosten oder Gehaltserhöhungen durch neue Tarifverträge. Der Rundfunkbeitrag dagegen ist seit Jahren gleich geblieben und zuletzt gesunken, auf jetzt 17,50 Euro. Wenn ein Ausgleich ausbleibt, müssen wir die Qualität ausdünnen", sagte er unmissverständlich in einem Interview mit unserer Redaktion. Kurz danach übernahm er 2018 das Amt des ARD-Vorsitzenden, in dem ihm inzwischen der WDR-Intendant Tom Buhrow nachgefolgt ist. Wilhelms europäische Medien-Plattform sollte eine Vision bleiben. Bereits spekuliert wird, dass er sein Herzensprojekt auf Ebene der EU weiterverfolgen könnte – in welcher Funktion auch immer.
Anfangs wurde dem BR-Intendant eine zu große Nähe zu CDU und CSU vorgeworfen
Mit den Mechanismen der Politik jedenfalls kennt er sich aus, war der Münchner doch einst Regierungssprecher von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und zuvor unter anderem Pressesprecher von Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). Diese Nähe brachte ihm anfangs auch den Vorwurf ein, zu Unions-nah zu sein. Ein Pauschal-Vorwurf, der sich mit Blick auf die Berichterstattung des BR unter seiner Führung nicht halten ließ – durchaus zum Unbehagen manches Mitglieds der Staatsregierung.
Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger könnten im Oktober bei der Herbstsitzung des BR-Rundfunkrats gewählt werden. Ulrich Wilhelm will nach eigenen Angaben im Februar 2021 sein "Haus" übergeben. Für ihn stehe es außer Frage, "dass der BR dann eine erstrangige Persönlichkeit als Intendantin oder Intendant haben wird".
Wer könnte Wilhelms Nachfolger beim Bayerischen Rundfunk werden?
Wer neuer BR-Intendant werden könnte, ist völlig unklar: Es gibt im BR keinen Favoriten, geschweige denn jemanden, der sich in den vergangenen Jahren aus eigener Kraft in diese Rolle hätte bringen können – das zumindest sagen Insider. Als potenzielle Wilhelm-Nachfolger kämen die BR-Führungskräfte, zuvorderst die Direktoren, infrage. Aber durchaus realistisch ist auch, dass die künftige Intendantin oder der künftige Intendant von außerhalb des Senders kommt. Der Rundfunkrats-Vorsitzende Lorenz Wolf muss die 50 Mitglieder seines Gremiums nun auffordern, Kandidaten vorzuschlagen. Jeder von ihnen, darunter einige Landtagsabgeordnete, kann einen Vorschlag unterbreiten. Als durchaus wahrscheinlich gilt bereits jetzt, dass mehrere Kandidaten im Oktober zur Wahl stehen dürften. Am Freitagabend sagte Wilhelm in einem TV-Interview der "Rundschau" des BR zu seiner beruflichen Zukunft: "Das werde ich mir erst im kommenden Frühjahr überlegen." Ein Intendant habe gegenüber allen Anliegen in der Gesellschaft neutral zu sein. "Würde ich jetzt schon eine Verpflichtung eingehen, wäre ich befangen gegenüber einem bestimmten Anliegen, für das ich vielleicht später tätig werde. Das darf nicht sein."
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