Die Bahn verschiebt die Elektrifizierung der Strecke München–Lindau–Zürich auf unbestimmte Zeit. „Erst wenn alle offenen Fragen geklärt sind, kann man einen überarbeiteten Zeitplan für das Projekt nennen“, teilte die Bahn am Donnerstag überraschend mit. Der Projektbeirat, zu dem auch Memmingens Oberbürgermeister Ivo Holzinger (SPD) gehört, appellierte an die Bahn, die Wege für eine Inbetriebnahme noch für das Jahr 2019 aufzuzeigen.
Ausbaumaßnahme war ursprünglich 1985 angedacht
Alle Partner im Beirat betonten, nach wie vor hinter der Ausbaumaßnahme zu stehen, die ursprünglich 1985 angedacht war. Ex-Landwirtschaftsminister Josef Miller (CSU) appellierte an die Bahn, ihre Glaubwürdigkeit zu stärken, indem „die Beseitigung von Langsamfahrstrecken und die Erneuerung des Eisenbahnstellwerkes Memmingen-Ost vorgezogen werden“. So könnten bereits vor der Elektrifizierung kürzere Fahrtzeiten erreicht werden. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) habe ihm dies versprochen, beteuert Miller.
Hauptgrund für die erneute Verzögerung ist eine unerwartete Kostensteigerung von 210 Millionen auf 298 Millionen Euro.
Bundestagsabgeordneter: "Bahn bekleckert sich nicht mit Ruhm"
Im Allgäu herrscht Besorgnis. Die erneute Verzögerung der Elektrifizierung der Strecke kam für Bürgermeister und Verkehrspolitiker zwar nicht unerwartet. Die Tatsache aber, dass die Bahn derzeit nicht in der Lage ist, einen Zeithorizont für den Start des Projekts zu nennen, überraschte dann doch.
„Ich bedauere dies außerordentlich“, sagte Ex-Landwirtschaftsminister Josef Miller (CSU). Er gibt sich kämpferisch: „Verschoben ist nicht aufgehoben.“ Auch Memmingens Oberbürgermeister Ivo Holzinger (SPD) bleibt diplomatisch: „Wir sind nicht begeistert, dass sich die Elektrifizierung weiter hinauszieht.“ Der Bundestagsabgeordnete Stephan Stracke (CSU) aus dem Ostallgäu sagte: „Die Bahn bekleckert sich nicht mit Ruhm.“
Schweiz setzt die Bahn unter Druck
Es ist nicht das erste Mal, dass der Bau der Oberleitung auf der internationalen Strecke mit Zugang zur Eisenbahn-Alpentransversale Neat (sie führt durch die Schweizer Alpen nach Italien) verschoben wird. Ursprünglich war er bereits für das Jahr 1985 vorgesehen. Dann stoppte die Bahn die Pläne 1992, bevor sie im neuen Jahrtausend einen neuen Anlauf nahm. Zunächst hieß es, 2015 sei die Strecke elektrifiziert, dann 2017, jetzt wird sie auf unbestimmte Zeit verschoben. Doch lange hat die Bahn nicht mehr Zeit, die Schweiz setzt sie unter Druck. Denn sie übernimmt 50 Millionen Euro als Vorfinanzierung – allerdings an die Bedingung geknüpft, dass die Bauarbeiten spätestens 2020 beendet sein müssen.
Stracke: „Die Bahn ist jetzt gefordert, den vertraglich vereinbarten Termin nicht zu gefährden.“ Die Beteiligten geben sich trotz wiederholter Rückschläge optimistisch: Es sei klar, dass man die Elektrifizierung nicht fallen lasse, sagte Holzinger, der im Projektbeirat sitzt. Bahn-Manager Volker Hentschel ergänzt: „Der Beirat hat einstimmig beschlossen, die Planungen vorrangig voranzutreiben, um die Strecke umzusetzen.“
Spezielle ICE-Züge sind ungeeignet
Doch die aktuellen Probleme sind erheblich – nicht zuletzt, weil die Kosten um 88 Millionen auf 298 Millionen Euro gestiegen sind. Dies hängt unter anderem mit der neuen Prognose des Bundesverkehrsministeriums über künftige Güterverkehrszahlen zusammen. Die besagt, dass nachts abschnittsweise bis zu neun Züge unterwegs sein werden. Deshalb müssen auf einer Gesamtlänge von mehr als 17 Kilometern Schallschutzwände errichtet werden. „Verschärfte Vorschriften und detaillierte Gutachten lassen erkennen, dass die ursprüngliche Kalkulation nicht mehr haltbar sein wird“, sagte Bahn-Manager Hentschel.
So geht es weiter: Zunächst stehen neue Verhandlungen über die Finanzierung an. Einen Termin für den Start der Elektrifizierung wollte Hentschel nicht nennen: „Das wäre Kaffeesatzlesen.“ Holzinger betonte, „die Verhandlungen müssen in einem halben Jahr abgeschlossen sein“. Parallel zu den Finanzierungsgesprächen will die Deutsche Bahn laufende Projekte vorantreiben, etwa die Zulassung einer neuen Fahrzeugtechnik aus der Schweiz. Denn die ursprünglich vorgesehenen Neigetechnik-ICE-Züge sind ungeeignet: „Derzeit gibt es keinen für diese Strecke zugelassenen Fernverkehrszug, der mit Neigetechnik fahren kann“, bekannte Hentschel.