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Bad Aibling: Fahrdienstleiter spielte vor Zugunglück am Handy - weiteres Opfer tot

Bad Aibling

Fahrdienstleiter spielte vor Zugunglück am Handy - weiteres Opfer tot

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    Beim Zusammenstoß zweier Nahverkehrszüge nahe Bad Aibling waren am 9. Februar zwölf Männer ums Leben gekommen und 85 Insassen verletzt worden.
    Beim Zusammenstoß zweier Nahverkehrszüge nahe Bad Aibling waren am 9. Februar zwölf Männer ums Leben gekommen und 85 Insassen verletzt worden. Foto: Peter Kneffel/Archiv (dpa)

    Aus Mitleid dürfte Wut werden. Zwei Monate nach dem schrecklichen Zugunglück von Bad Aibling mit elf Toten steht der beschuldigte Fahrdienstleiter plötzlich in einem ganz anderen Licht da. Bisher erfuhr der 39-Jährige viel Verständnis, obwohl er ein falsches Signal gab. Nun löst eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Kopfschütteln aus. Der Bahnbedienstete spielte unmittelbar vor der Katastrophe Handyspiele, wie die Staatsanwaltschaft am Dienstag mitteilte. Das könnte seine Strafe deutlich erhöhen - der Mann sitzt jetzt in Untersuchungshaft.

    Inzwischen ist außerdem ein weiteres Opfer des Unglücks gestorben. Der 46-Jährige aus dem Landkreis Rosenheim erlag am Mittwoch in einem Münchner Krankenhaus seinen schweren Verletzungen, wie die Polizei mitteilte. Damit erhöht sich die Zahl der Todesopfer auf zwölf.

    Mit der Nachricht vom Handy-Spiel des Fahrdienstleiters ist kaum vorstellbar, was in den Köpfen der Hinterbliebenen der elf getöteten Männer und der 85 verletzten Zuginsassen nun vorgeht. Ein für die Sicherheit auf der eingleisigen Strecke zuständiger Bahnmitarbeiter schaltet unter Missachtung der Vorschriften sein Smartphone ein - und spielt Spiele. "Es muss aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte dadurch von der Regelung des Kreuzungsverkehrs der Züge abgelenkt war", erklärt die Staatsanwaltschaft.

    "Daraus ergibt sich die Frage, ob der Fahrdienstleiter durch dieses Computerspielen längere Zeit abgelenkt war, jedenfalls nicht seine volle Aufmerksamkeit dem eigentlichen Fahrdienst-Geschäft gewidmet hat", sagte Bayerns Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstagabend im Bayerischen Fernsehen. Nun gelte es, weiter sorgfältig zu ermitteln. Herrmann betonte, es sei für ihn "zunächst wichtig gewesen, dass klar im Raum steht, es gibt keine technischen Defizite an den beteiligten Zügen, es gibt keine technischen Defizite an der Ausstattung entlang der Strecke". Dies sei für die Fahrgäste, die dort täglich unterwegs seien, "sehr wichtig".

    Auf Mitleid darf der Fahrdienstleiter mit beinahe 20-jähriger Berufserfahrung da nicht mehr hoffen. Bahnmanager berichteten noch vor kurzem, Hinterbliebene hätten ihnen geschrieben, dass ihnen bei aller Trauer um ihre Liebsten auch der Mitarbeiter leid tue. Die Deutsche Bahn (DB) sorgte dafür, dass sich der 39-Jährige abgeschirmt von der Öffentlichkeit auf seinen Prozess vorbereiten kann. Nun hat er in der Untersuchungshaft Gelegenheit dazu.

    Bad Aibling: Spiel am Smartphone offensichtlich verschwiegen

    Die Staatsanwaltschaft wird sich fragen lassen müssen, warum dieses erschütternde Detail der Ermittlungen erst jetzt bekannt wurde. Nur wenige Tage nach dem Unglück vom 9. Februar, dem verhängnisvollen Faschingsdienstag, hatte sie mitgeteilt, dass sich der Beschuldigte im Beisein seines Anwaltes ausführlich zu den Vorwürfen geäußert habe. Das Spiel am Smartphone verschwieg er offensichtlich. Vielleicht wurde er auch nicht danach gefragt.

    Die schwersten Zugunglücke in Deutschland

    Mai 2018: In Aichach kracht ein Nahverkehrszug in einen im Bahnhof stehenden Güterzug. Der Lokführer und ein Fahrgast sterben.

    Februar 2016: Bei Bad Aibling im Landkreis Rosenheim stoßen zwei Nahverkehrszüge zusammen. Zwölf Männer sterben, über 100 werden verletzt.

    August 2014: In Mannheim rammt ein Güterzug einen Eurocity mit 250 Passagieren - zwei Waggons stürzen um, 35 Menschen werden verletzt. Der Lokführer des Güterzugs hatte ein Haltesignal übersehen.

    September 2012: Ein Intercity entgleist beim Verlassen des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Acht Menschen werden verletzt. Bereits im Juli war an gleicher Stelle ein IC aus den Gleisen gesprungen. Ursache waren jeweils defekte Puffer an den Waggons.

    April 2012: Eine Regionalbahn stößt bei Offenbach (Hessen) mit einem Baukran-Zug zusammen. Drei Menschen werden getötet, 13 verletzt.

    September 2006: Ein Transrapid kollidiert in Lathen im Emsland mit einem Werkstattwagen. Von den 31 Fahrgästen und den zwei Mitarbeitern im Reinigungsfahrzeug verlieren 23 Menschen ihr Leben. Elf Personen werden schwer verletzt. Seither wurde der Versuchsbetrieb der Magnetschwebebahn nicht wieder aufgenommen.

    Juni 2003: Auf der Strecke zwischen Niederstetten und Schrozberg stoßen zwei Regionalzüge zusammen. Sechs Menschen sterben.

    Februar 2000: Ein Nachtexpress entgleist in Bühl bei Köln. 52 Menschen werden verletzt, sechs sterben.

    Juni 1998: In Eschede kracht ein ICE gegen einen Brückenpfeiler. Insgesamt sterben 101 Menschen. Hunderte sind teilweise schwer verletzt.

    Juli 1997: Bei Marburg verliert ein Güterzug Stahlrohre. Eines durchbohrt die Seite des entgegenkommenden Nahverkehrszuges. Sechs Menschen verlieren dabei ihr Leben.

    November 1992: In Northeim entgleist ein Güterzug, weil sich ein Puffer gelöst hatte. Elf Meschen kommen ums Leben, 52 werden zum Teil schwer verletzt.

    Februar 1990: 17 Menschen verlieren ihr Leben, als in Rüsselsheim zwei S-Bahnen frontal zusammenstoßen. Die Schuld lag beim Zugführer, der ein Haltesignal übersehen hatte.

    Januar 1988: Ein Schnellzug, der zwischen Leipzig und Stralsund verkehrt, kollidiert mit einem sowjetischen Panzer. Der Zusammenstoß kostet sechs Menschen das Leben.

    Februar 1984: Dichter Nebel behindert die Sicht. Im Bahnhof von Hohenturm bei Halle übersieht der Lokführer eines Schnellzuges ein Signal und fährt auf einen Personenzug auf. Elf Tote sind zu beklagen.

    Juni 1975: 41 Tote und zahlreiche Verletzte fordert der Zusammenstoß zweier Eilzüge auf einem eingleisigen Streckenabschnitt zwischen München und Lenggries.

    Juli 1971: In der Nähe von Freiburg im Breisgau entgleist ein D-Zug mit viel zu hoher Geschwindigkeit in einer Kurve. Anschließend stürzt er die Böschung hinunter und zerstört ein Wohnhaus. 23 Menschen sterben und 121 werden verletzt.

    Mai 1971: Zwischen Wuppertal und Radevormwald kollidieren ein Güterzug und ein Schienenbus frontal. Der Zusammenstoß fordert 46 Tote, darunter 41 Schüler aus Radevormwald.

    Juli 1967: Das schwerwiegendste Schienenunglück der DDR ereignete sich an einem Bahnübergang bei Magdeburg. Ein Minol-Tanklaster überfährt eine halb geöffnete Schranke und wird von einem Zug gerammt. 15.000 Liter Benzin explodieren. Fast 100 Menschen finden den Tod.

    Ohnedies nahm der Druck der Politik auf die Ermittler zu. Vor zwei Wochen platzte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) mit der Nachricht heraus, dass der Fahrdienstleiter nach Bemerken seines verhängnisvollen Signalfehlers auch die falschen Notruf-Tasten drückte. Statt die Lokführer der beiden aufeinanderzurasenden Züge zu warnen, ging der Alarm bei den Fahrdienstleitern der Umgebung und in der Zentrale ein. Die Katastrophe war nicht mehr zu stoppen. Prompt warnte die Lokführergewerkschaft GDL davor, dem Fahrdienstleiter voreilig die Schuld zuzuweisen.

    Sollten sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft im Prozess bewahrheiten, muss der Fahrdienstleiter mit einer hohen Strafe rechnen. Die Anklagebehörde spricht schon jetzt nicht mehr nur von einem augenblicklichen Versagen, sondern von einer "erheblich schwerer ins Gewicht fallenden Pflichtverletzung". Die Höchststrafe bei fahrlässiger Tötung beträgt fünf Jahre. Und auch zivilrechtlich könnten auf den 39-Jährigen beziehungsweise die DB nach Bekanntwerden des vorschriftswidrigen Handyspielens im Dienst erhebliche Forderungen zukommen. dpa

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