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Auszeichnung: Sie hilft Menschen aus aller Welt

Auszeichnung

Sie hilft Menschen aus aller Welt

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    Seit 27 Jahren engagiert sich Elfriede Roth aus Sonthofen (rechts) für Schutz suchende Menschen. Die 71-Jährige ist immer noch jeden Tag in der Flüchtlingsunterkunft der Oberallgäuer Kreisstadt, in der 100 Menschen leben.
    Seit 27 Jahren engagiert sich Elfriede Roth aus Sonthofen (rechts) für Schutz suchende Menschen. Die 71-Jährige ist immer noch jeden Tag in der Flüchtlingsunterkunft der Oberallgäuer Kreisstadt, in der 100 Menschen leben. Foto: Matthias Becker

    Elfriede Roth sitzt auf einer Holzbank vor dem alten Kasernengebäude in Sonthofen. Um sie herum spielen Kinder im Hof der Flüchtlingsunterkunft, die von einem hohen Metallzaun umschlossen ist. Ein dunkelhäutiger Junge fährt mit dem Fahrrad knapp vor ihren Beinen vorbei und lächelt sie herausfordernd an. Die Menschen hier kennen die 71-Jährige. Sie kommt immer noch fast jeden Tag hierher. Seit 27 Jahren hilft sie Geflüchteten, noch länger setzt sich die Stadt- und Kreisrätin der Grünen für Schutz suchende Frauen ein. Für ihr Engagement erhält Roth jetzt die Silberdistel unserer Redaktion.

    Es begann beim „Memminger Abtreibungsprozess“

    Alles begann mit dem „Memminger Abtreibungsprozess“ im Jahr 1988 gegen einen Mediziner, der Frauen illegal zum Schwangerschaftsabbruch verholfen hatte. Demonstranten aus ganz Deutschland reisten ins Allgäu. Auch Roth ging auf die Straße und begründete, bewegt von den Erlebnissen, mit einer Reihe von Mitstreiterinnen 1993 den Verein „Die Arche Sonthofen“. „Wir waren uns schnell einig, dass wir Schutz suchenden Frauen helfen müssen“, erinnert sich die 71-Jährige. Noch heute ist Roth Vorsitzende des Vereins, der eine Wohnung bereithält, in der Frauen und Kinder Zuflucht finden, bis sie wieder auf eigenen Beinen stehen.

    Als im Jahr 1993 Kinder aus Bosnien ins Oberallgäu kamen, um dem Krieg in ihrem Heimatland zu entkommen, begann Roths Engagement für Flüchtlinge. „Ich musste helfen.“ Sie nahm zwei Mädchen bei sich auf. Später gewährte sie auch deren Mutter und Bruder Zuflucht. Fast zwei Jahre lebten die Familien unter einem Dach. „Das ging gut“, sagte Roth, die zwei Söhne und eine Tochter hat. „Wir haben damals den Dachboden ausgebaut.“ Der Kontakt ist nicht abgerissen. Roth reiste 2018 zu der Familie, die in der Nähe von Sarajewo wohnt, und war schockiert über die Zerstörung, die der Krieg hinterlassen hat.

    Schreckliches Leid

    Viele Menschen, die ihr in den vergangenen drei Jahrzehnten begegnet sind, haben schreckliches Leid erfahren, sind Kriegen entkommen und haben auf der Flucht ihr Leben und das ihrer Kinder riskiert. „Es führt einem vor Augen, dass man die eigenen, kleinen Probleme nicht zu wichtig nehmen sollte“, sagt Roth. „Man wird gelassener.“ Als Belastung habe sie ihr Engagement aber deshalb nie empfunden. „Ich interessiere mich für die Geschichten, aber ich schaue mir nicht die Bilder an“, sagt Roth. „Die meisten zeigen sowieso lieber Fotos von früher – wie sie gelebt haben, bevor alles zerstört wurde.“

    „Ich mache das gerne“, sagt Roth, die in einer Steuerkanzlei gearbeitet hat. „Es ist auch eine Chance, Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen kennenzulernen.“ Nach dem Bosnienkrieg kümmerte sie sich um kosovarische Familien, wurde Mitglied im Integrationsbeirat des Landkreises Oberallgäu. Als 2013 die ersten Flüchtlinge aus Afghanistan kamen, war Roth erneut zur Stelle. Sie half mit anderen Ehrenamtlichen, Kleidung und Lebensmittel aufzutreiben, und begründete den Runden Tisch Asyl, dessen Hilfe sie bis heute koordiniert. An ihre Grenzen seien die Helfer nur einmal gestoßen: Als im August 2015 – zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise – jede Woche fünf bis sechs Busse mit 250 bis 300 Flüchtlingen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Sonthofen ankamen. „Das war für die Ehrenamtlichen schon eine große Belastung“, erinnert sich Roth. „Wir haben gemerkt, dass wir es nicht mehr schaffen, alle zu betreuen.“ Doch im Januar 2016 kamen keine Busse mehr. Heute leben rund 180 Flüchtlinge in Sonthofen in drei Unterkünften.

    Allein in der Kreisstadt ist also derzeit noch viel Platz. Deshalb hat Roth gemeinsam mit ihrer Grünen-Kreistagsfraktion in einem flammenden Appell gefordert, besonders den unbegleiteten Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager auf Lesbos im Oberallgäu Obdach und Hilfe zu gewähren. „Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein“, sagt Roth. „Wir haben die Verantwortung, Menschen zu helfen, die durch Krieg, Verfolgung und andere Notlagen ihre Heimat verlassen mussten und in Europa und Deutschland Zuflucht suchen.“ Wenn Roth das fordert, widerspricht in Sonthofen niemand öffentlich. Denn sie hat gezeigt, was man mit persönlichem Engagement bewegen kann. Für ihren Einsatz erhielt sie 2019 das Bundesverdienstkreuz am Bande. Ihre Überzeugung, Menschen in der Not zu helfen, ist ungebrochen. Obwohl sie die Probleme täglich sieht. Neben der schwierigen Wohnungssuche sind das die Integration in Schule und Beruf. „Die größte Herausforderung ist die Sprache.“

    Ein etwa zwölfjähriger Junge mit schwarzem Haar tritt aus der Tür des Kasernengebäudes, geht auf Roth zu und fragt in fast akzentfreiem Deutsch: „Frau Roth, können Sie uns helfen, ein Formular auszufüllen?“ Der Vater des Jungen steht – das Papier in der Hand – schweigend hinter ihm. Er spricht die Sprache nicht. Die 71-Jährige bittet den Jungen, sich kurz zu gedulden und erzählt leise: „Er ist einer der Besten in seiner Klasse.“

    Alles hinschmeißen? Nein!

    „Ich freu mich für jeden, der es geschafft hat, eine eigene Wohnung und eine Arbeit zu finden“, sagt Roth. „Vor allem wenn man die Kinder sieht, die hier aufgewachsen und jetzt angekommen sind.“ Diese positiven Erlebnisse überwiegen. Das Bedürfnis, alles hinzuschmeißen, habe sie nie gehabt. Gekränkt habe sie, wenn ihr unterstellt wurde, nicht alle gleich zu behandeln.

    Das größte Problem sei die Perspektivlosigkeit vieler Flüchtlinge – in Verbindung mit der ständigen Angst vor Abschiebung. Das könne dazu führen, dass Menschen in Kriminalität und Sucht abrutschen. „Deshalb würde ich mir wünschen, dass alle, die kommen, den Anspruch haben, Deutsch zu lernen“, sagt Roth. „Und dass alle bleiben dürfen, die Arbeit haben und sich nichts zuschulden kommen lassen.“

    Im Eingangsbereich der Unterkunft sitzt der Junge mit seinem Vater auf dem Fußboden. Er hält immer noch das deutsche Formular in der Hand. Sie haben auf Roth gewartet, die hier ein kleines Büro hat. „Geht ruhig schon mal auf Euer Zimmer“, sagt Roth zu den beiden. „Ich klopf’ dann bei euch.“

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