Der Wille zum Ruhm war bei Erich Kästner schon früh vorhanden. „Bis 35 will ich anerkannt sein. Bis 40 sogar ein bisschen berühmt, “ schrieb der Schriftsteller 1926 im Alter von 27 Jahren in einem Brief an seine Mutter. Zu Ruhm und Ehre kam Kästner tatsächlich recht schnell als Verfasser frecher Kinderbücher. „Emil und die Detektive“, „Pünktchen und Anton“, „Das doppelte Lottchen“ – sie gehören auch heute noch zum Kanon der Kinderliteratur, und wer die Bücher nicht gelesen hat, kennt zumindest die Verfilmungen der Stoffe aus den 30er- und 40er-Jahren, in denen Kästner nicht das damals gängige Bild des braven Kindes zeichnete.
Emil, Gustav mit der Hupe, die beiden Lottchen sind ebenso abenteuerlustig wie unangepasst und entziehen sich oft dem Willen der Erwachsenen, die meinen zu wissen, was gut für sie ist. Auch der spöttisch-ironische Lyriker Kästner, dessen Gedichte hinter humoristisch gedrechselten Worten einiges an politischer und gesellschaftskritischer Brisanz verbargen, gehört zu dem Bild, das Erich Kästner uns überlieferte.
"Gestatten, Kästner!" im Münchner Literaturhaus
Doch es gibt auch einen anderen Kästner, einen der neben seinen unterhaltsamen Texten Nachdenkliches schrieb wie den Roman „Fabian“, in dem er sich als genauer Beobachter der Lebensumstände in der Weimarer Republik erwies; einen, der während der NS-Zeit düstere und schwere Themen bearbeitete, die aber in der Schublade landeten, während er gleichzeitig als Unterhaltungsschriftsteller („Die drei Männer im Schnee“) über die Runden kam. Und jenen Kästner, der nach dem Krieg den großen Roman über die Zeit der Diktatur schreiben wollte, diesen aber nie fertigstellen konnte, weil er erkannte: „Das Tausendjährige Reich hat nicht das Zeug zum großen Roman.“
Den Schriftsteller mit all seinen Facetten stellt nun die aufschlussreiche wie lebendig gestaltete Ausstellung „Gestatten, Kästner!“ im Münchner Literaturhaus vor. Viele unbekannte Texte und Fotografien finden sich darin, die erst durch die vollständige Erschließung seines Nachlasses im Literaturarchiv Marbach entdeckt wurden. Leitidee war für die Kuratorinnen Karolina Kühn und Laura Mokrohs das Großstadtmotiv. Nicht nur, dass Kästner immer in Städten lebte – während der Kindheit in Dresden, zum Studium in Leipzig, bis Kriegsende in Berlin und schließlich die letzten 30 Jahre seines Lebens in München. Das Städtische mit seinen Bauten, seinem Verkehrstrubel und den Cafés spielt auch in seinem Werk eine gewichtige Rolle.
Erich Kästner genoss das Nachtleben in München
Große Raumwürfel mit Filmprojektionen und Bildern setzen nun im Literaturhaus München die Lebensstationen des Schriftstellers und die historischen Ereignisse in Bezug zu seinem Leben und Werk. Briefe, Notizen, Zeitungsartikel, Fotografien in Vitrinen geben Auskunft über das emsige Schaffen des Autors, zeigen, wie er sich als Erfolgsschriftsteller inszenierte und welche Gedankenwelt sich dahinter verbarg. Wie er sich Verlegern beugen musste, die ihm politisch oder erotisch gewagte Stellen aus seinen Texten strichen oder – Beispiel „Fabian“, der nach Kästners Willen „Sodom & Gomorrha“ bzw. „Der Gang vor die Hunde“ heißen sollte – Buchtitel änderten. Wie er, der gern als „Muttersöhnchen“ gesehen wird, in Wahrheit hin- und hergerissen war zwischen beiden Elternteilen. Und auch, wie er in seinen Münchner Jahren das feuchtfröhliche Nachtleben hinreichend genoss und über 20 Jahre eine Doppelbeziehung mit zwei Frauen unterhielt.
In welchen Widersprüchen Erich Kästner lebte, offenbart sich zudem bei einem Blick auf die Jahre zwischen 1933 und 1945. Anders als viele seiner Schriftstellerkollegen entschied er sich gegen die Emigration. Gerade in dieser Zeit trat auch jenes „Doppelgänger“-Motiv in den Vordergrund, das ein Angelpunkt der Ausstellung ist. Es beschreibt Kästners Identitätssuche und seinen Selbstverlust als Mensch wie als Schriftsteller in dieser Zeit, in der er viele Kompromisse einging. Als ihm bewusst wurde, dass wichtigere Bücher zu schreiben wären als jene leichten Romane und Gedichte, die er unter Pseudonym und mit Billigung der Reichsschrifttumskammer noch veröffentlichen konnte.
Für die Schublade entstanden Entwürfe zu Geschichten, die sich um Schriftstellerfiguren in der Krise, resignierte Idealisten, Selbstentfremdung und Selbstmord drehten. In den „Briefen an mich selbst“ arbeitete Erich Kästner die Spaltung seines Inneren auf: „Oder bin ich mir sogar selber fremd geworden? Mitunter habe ich dieses Gefühl. Dann wird mir unheimlich zumute, und es hilft nichts, dass ich vor den Spiegel draußen im Flur hintrete und mir eine kleine Verbeugung mache. „Gestatten, Kästner“, sagt der Spiegelmensch – Titel der Münchner Schau.
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