Raimund M. sitzt selbst als Angeklagter im Schwurgerichtssaal 101 des Augsburger Landgerichts, als ihn die Nachricht ereilt: Sein jüngerer Bruder ist jetzt rechtskräftig als Polizistenmörder verurteilt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Revision des 59-Jährigen zurückgewiesen. Rebarczyk gilt damit quasi offiziell als einer der Mörder des Augsburger Polizisten Mathias Vieth. Und sein Bruder? „Mein Mandant ist total niedergeschlagen. Er geht davon aus, dass das Verfahren gegen ihn hier jetzt auch gelaufen ist“, berichtet Verteidiger Werner Ruisinger.
Obwohl Raimund M., 61, als juristischer Laie gelten kann, dürfte er mit dieser Einschätzung recht behalten. Denn der Prozess gegen ihn ist nichts anderes als eine Kopie des ersten Verfahrens um den Polizistenmord. Mit der Ausnahme, dass M. ab November 2013 vorübergehend als verhandlungsunfähig galt und der Prozess gegen ihn deshalb platzte und im September 2014 aufs Neue gestartet wurde.
Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth
Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.
Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.
Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.
Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.
Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.
Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.
Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.
Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.
Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.
Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.
Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.
Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.
Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.
Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.
Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.
Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.
Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.
Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.
August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.
Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.
21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".
August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.
September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.
November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.
Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.
September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.
Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.
Doch in der Sache geht es exakt um dieselben Vorwürfe: M. soll mit seinem Bruder Mathias Vieth ermordet und versucht haben, Vieths Kollegin ebenfalls zu erschießen. Zudem werden den beiden vier brutale Raubüberfälle auf Werttransportfirmen und einen Supermarkt zur Last gelegt. Die damit verbundenen Verstöße gegen das Waffen- und das Kriegswaffenkontrollgesetz kommen noch obendrauf.
Urteil gegen Raimund M. soll im März fallen
All die Thesen der Kripo, der Staatsanwaltschaft und letztlich auch die Feststellungen aus der Beweisaufnahme des Gerichts können mit dem Beschluss des Bundesgerichtshofs nun als gesichert gelten. Der Prozess gegen den parkinsonkranken M. läuft ohne Verzögerungen. Mit einem Urteil ist noch im März zu rechnen. Wie es enden wird, dürfte jetzt klar sein. Selbst Verteidiger Ruisinger sagt: „Ich gehe davon aus, dass das Verfahren durch ist.“
Bei Rudolf Rebarczyk kam freilich noch eine grausame Besonderheit hinzu. Er hat bereits 1975 in Augsburg den Polizisten Bernd-Dieter Kraus erschossen. Auch damals soll er einen Raubüberfall geplant haben. Der Schwurgerichtsvorsitzende Christoph Wiesner sprach in seinem Urteil von einer „erschreckenden Parallelität der Ereignisse“ und sagte „zwei getötete Polizeibeamte sind wahrlich genug“. Mit der BGH-Entscheidung wird Rudolf Rebarczyk wohl nie mehr freikommen, sondern den Rest seines Lebens im Hochsicherheitsgefängnis in Straubing verbringen.
Für die Familie des getöteten Polizisten Mathias Vieth bringt die Entscheidung der Karlsruher Richter „viel Erleichterung“, sagt Rechtsanwalt Walter Rubach, der Vieths Witwe und Schwester als Nebenkläger vertritt. Die laufenden Verfahren haben für Sandra Vieth einen Neubeginn verhindert. Als der Prozess gegen Raimund M. geplatzt war, sprach sie ein einziges Mal mit unserer Zeitung und zeigte sich entsetzt, dass die Justiz nicht in der Lage ist, die Mörder ihres Mannes zu verurteilen. Vielleicht ist jetzt ein Neubeginn für die Witwe zum Greifen nahe. "Kommentar