Der Mörder, das besagt eine alte Detektivregel, kehrt immer an den Tatort zurück. Sollten die Brüder Rudi R. und Raimund M. tatsächlich den Augsburger Polizeibeamten Mathias Vieth erschossen haben, dann haben sie diese Regel beherzigt. Ende November 2011, rund drei Wochen nach dem brutalen Mord, gingen die Brüder im Stadtwald spazieren – genau auf der Strecke, auf der sie sich laut Anklage eine Verfolgungsjagd mit einer Polizeistreife geliefert haben.
Täter am Tatort: Er wirkte keineswegs nervös
Ein Ehepaar hat die Brüder damals bei ihrem Spaziergang getroffen. Das Paar kannte Raimund M. aus dem Tennisklub. „Wir haben uns unterhalten und ich habe Raimund erzählt, dass wir uns wegen des Polizistenmordes hier umschauen wollten“, berichtete der Mann, 62, gestern als Zeuge im Polizistenmord-Prozess. Er, so der Zeuge, sei schon damals überzeugt gewesen, dass die Polizei die Täter erwischen wird. Raimund M. habe aber entgegnet: „Die sind bestimmt schon über alle Berge.“ Dabei habe M. keineswegs nervös gewirkt, sondern „ganz normal“.
Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth
Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.
Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.
Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.
Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.
Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.
Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.
Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.
Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.
Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.
Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.
Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.
Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.
Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.
Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.
Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.
Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.
Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.
Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.
August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.
Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.
21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".
August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.
September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.
November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.
Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.
September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.
Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.
Zahlreiche Zeugen berichteten bisher davon, dass die Brüder seit Jahrzehnten unzertrennlich seien. Gestern bekam dieses Bild leichte Risse. Zumindest nach seiner Verhaftung soll Raimund M. auch abfällig über seinen Bruder gesprochen haben. Das behauptet jedenfalls ein verurteilter Betrüger, der im vergangenen Jahr einige Zeit im Augsburger Gefängnis saß. M. habe dort öfter mit ihm gesprochen, auch über den Mord.
Noch einmal geschossen, obwohl das Opfer bereits am Boden lag
Vor allem ein Zitat M.s, von dem der Zeuge berichtet, lässt aufhorchen. Es lautet: „Er lag am Boden, der Idiot läuft hin und knallt ihn ab.“ Mit Idiot, davon geht der Mithäftling aus, habe M. seinen Bruder Rudi gemeint. Weil der Mithäftling sich an viele Details nicht mehr erinnern wollte oder konnte, zogen die Verteidiger der Brüder dessen Aussage in Zweifel. Eines fällt allerdings auf: Die Aussage deckt sich mit den Erkenntnissen der Sonderkommission, wonach auf den Polizisten noch einmal eine Salve aus einer Kalaschnikow abgefeuert wurde, obwohl dieser bereits am Boden lag.
Auch mehrere Zeugen, die nachts die Schüsse aus dem Wald hörten, berichten von einer ersten und einer zweiten, etwas späteren Gewehrsalve.
Gesundheitszustand von Raimund M. unklar
Wenig Klarheit brachte der gestrige Prozesstag zur Frage des Gesundheitszustands von Raimund M. – die Verteidigung zieht seine Täterschaft in Zweifel, weil er an Parkinson leidet. Ein Tennisfreund berichtete, M. habe in den vergangenen Jahren deutlich körperlich abgebaut und viel schlechter Tennis gespielt als früher. Der Chef eines Fitnessstudios, in dem M. seit den 1990er Jahren trainierte, schätzte ihn dagegen bis zur Verhaftung als „überdurchschnittlich fit“ ein.