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Augsburger Polizistenmord: Die zwei Gesichter des Raimund M.

Augsburger Polizistenmord

Die zwei Gesichter des Raimund M.

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    Zwei Gesichter: Auf dem aktuellen Polizeifoto (rechts) macht Raimund M. (58) einen kranken, angeschlagenen Eindruck. Er soll an Parkinson leiden. Die Mitglieder des Tennisclubs haben ihn ganz anders in Erinnerung. Er sei ein „Modellathlet“ gewesen, der sehr auf seine Fitness und seine Figur geachtet habe, erzählen sie.
    Zwei Gesichter: Auf dem aktuellen Polizeifoto (rechts) macht Raimund M. (58) einen kranken, angeschlagenen Eindruck. Er soll an Parkinson leiden. Die Mitglieder des Tennisclubs haben ihn ganz anders in Erinnerung. Er sei ein „Modellathlet“ gewesen, der sehr auf seine Fitness und seine Figur geachtet habe, erzählen sie. Foto: Fotos: Polizei, Silvio Wyszengrad

    Augsburg Im Tennisclub Friedberg ist man sich einig: Raimund M. war der beste Platzwart, den der Verein je hatte. Er hielt die Plätze bestens in Schuss und hütete den Werkzeugraum wie seinen Augapfel. Sogar ein bisschen mehr als das: Er ließ niemanden hinein, wechselte sogar das Schloss aus. Damals dachte niemand im Club etwas Böses. Im Lichte der neuen Ereignisse fragen sich manche aber: Hatte Raimund M. etwas versteckt in dem Werkzeugschuppen?

    Von Anfang an sprachen die Ermittler bei dem 58-Jährigen von einem „Mann mit zwei Gesichtern“. Was sie damit meinen, wird nach Recherchen unserer Zeitung immer deutlicher. Der geschätzte Platzwart und Tennisgegner konnte auch anders. Öfter soll er im Vereinsheim über die Polizei geschimpft haben. Nach und nach erinnern sich jetzt Clubmitglieder, dass es im Laufe der Jahre auch Schwierigkeiten mit Raimund M. gab. So soll es zu Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung gekommen sein. Das anfängliche Vertrauen und die Zuverlässigkeit ließen nach. Manche meinen, eine Persönlichkeitsveränderung bei M. festgestellt zu haben. Und der 58-Jährige konnte offenbar sehr empfindlich und aufbrausend sein, wenn ihm etwas nicht passte.

    Raimund M. verbarg möglicherweise seine verbrecherischen Aktivitäten hinter einer bürgerlichen Fassade. Er ist verheiratet mit einer Beamtin bei der Stadt Friedberg. Das Ehepaar hat eine 31-jährige Tochter. Sie wurde jetzt, wie berichtet, verhaftet, weil scharfe Waffen des Vaters und des Onkels bei ihr im Keller gelagert waren. Die Familie wohnt in einem sehr gepflegten Haus. M. arbeitete erst im Augsburger Schlachthof und dann etwa acht Jahre in Vollzeit als Platzwart in Friedberg.

    Auch der körperliche Zustand von M. wurde nach der Verhaftung völlig unterschiedlich dargestellt. M. leidet an der Krankheit Parkinson. Dieser Umstand hatte zu Zweifeln geführt, ob er überhaupt in der Lage gewesen sein kann, in der Nacht des Polizistenmordes das Motorrad gefahren zu haben. Nun heißt es aber von Tenniskollegen auch, Raimund sei ein „Modellathlet“ gewesen, der sehr auf seine Fitness und seine Figur geachtet habe. Und er soll ein sehr „kraftvolles

    Wer ist Raimund M. also wirklich? Fest steht, dass er immer ein sehr enges Verhältnis zu seinem Bruder Rudi R. (56) pflegte. Auch als der im Gefängnis saß, weil er 1975 in Augsburg einen Polizisten erschossen hatte. Raimund soll seinen Bruder aus dem Knast abgeholt haben. Und es gibt diesen verbürgten Satz, den Raimund M. einmal im Tennis-Vereinsheim gesagt hat: Er liebe zuallererst seinen Bruder, dann seine Frau und seine Tochter – und dann niemanden mehr. Nicht nur aus heutiger Sicht ist das ein Satz, der aufhorchen lässt.

    Die Brüder waren unzertrennlich, oft gingen sie spazieren

    Raimund brachte Rudi nach dessen Entlassung aus dem Gefängnis auch immer häufiger in den Tennisclub mit, die beiden schienen unzertrennlich. Oft gingen sie zusammen spazieren, Richtung Friedberger Baggersee zum Beispiel. Auch der verurteilte Polizistenmörder Rudi R.. der wohl sein Leben lang Straftaten beging, hat eine andere Seite. Nachbarn im Augsburger Stadtteil Lechhausen berichten, er habe sich gut um die alte, demenzkranke Mutter gekümmert. Und in seiner Bewährungszeit hat sich R. offenbar mustergültig verhalten. Er kam immer pünktlich, hielt sich strikt an die Auflagen und machte auf seinen Bewährungshelfer einen guten Eindruck.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Haben die beiden Brüder über Jahre ein Doppelleben geführt? Gerieten sie auch deshalb nicht unter Verdacht, wenn es um die Aufklärung von Verbrechen im Raum Augsburg ging? Jetzt sitzen die Brüder getrennt hinter Gittern – und geben bisher keine Antworten darauf. Sie wollen weiter schweigen.

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