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Augsburg: Wie die Wohngruppe "Papillon" Jugendlichen mit Essstörungen hilft

Augsburg

Wie die Wohngruppe "Papillon" Jugendlichen mit Essstörungen hilft

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    Das gemeinsame Kochen gehört auch zum Alltag in der therapeutischen Wohngruppe in Augsburg. So sollen sich die jungen Bewohner wieder an gesundes Essverhalten gewöhnen.
    Das gemeinsame Kochen gehört auch zum Alltag in der therapeutischen Wohngruppe in Augsburg. So sollen sich die jungen Bewohner wieder an gesundes Essverhalten gewöhnen. Foto: Ulrich Wagner

    Es ist ein warmer Frühlingstag in Augsburg. Die Menschen bummeln in T-Shirt und leichter Jacke durch die Straßen. Ein junges Paar schlendert am Bahnhof in Augsburg-Oberhausen vorbei, die Frau hält ein Eis in der Hand, schleckt daran und lacht. In einer Straße nicht unweit des Bahnhofs leben junge Frauen, denen es eigentlich unmöglich ist, unbeschwert ein Eis zu genießen. Sie leiden an Essstörungen. Bulimie, Magersucht, Binge-Eating. Ihre Gedanken drehen sich ständig ums Essen, um Diäten, um Kalorien und um den eigenen Körper.

    Die WG ist ein sinnvoller Einstieg in ein normales Leben

    "Wenn ich nicht so schlank bin, wie ich es mir vorstelle, dann mögen mich die anderen nicht mehr – dieser Gedanke ist immer da", erklärt Friedrich Manzeder, der Leiter der Stationären Hilfen im Frère-Roger-Kinderzentrum der katholischen Jugendhilfe, die das Haus betreibt. Ein normaler Alltag ist für die jungen Frauen dort kaum möglich. Genau das soll sich in der Wohngruppe "Papillon" in Oberhausen ändern. Es ist die einzige WG in Schwaben, in der junge Menschen mit Essproblemen nach einer klinischen Behandlung betreut werden. Seit einem halben Jahr können Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren dort wohnen und gemeinsam lernen, sich wieder selbstständig in einem normalen Alltag mit einem gesunden Ernährungsverhalten zurechtzufinden.

    Der Diplom-Psychologe Andreas Schnebel, Vorsitzender des Bundesfachverbandes für Essstörungen, hält solch eine WG nach einem Klinikaufenthalt für sinnvoll. Vorausgesetzt die jungen Menschen sind nicht mehr zu untergewichtig und die Symptome sind nicht mehr zu stark. "Eine Klinik ist ein Schutzraum", sagt Schnebel. "Das, was dort gelernt wurde, ist am Anfang oft noch sehr wackelig und die Umsetzung im normalen Leben ist für junge Menschen oft sehr schwierig." Die Wohngemeinschaft soll dann helfen.

    Die Mädchen dürfen die WG selbst kreativ dekorieren

    "Das Zurückfinden ins Leben ist ein längerer Prozess", sagt auch Friedrich Manzeder. Selbst wenn bei einem Klinikaufenthalt das Symptom – also der Gewichtsverlust – bekämpft wird, braucht es eine längerfristige Betreuung, um das Selbstwertgefühl eines Menschen wieder aufzubauen.

    Das Haus in Oberhausen, in dem derzeit fünf Mädchen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren leben, ist ein moderner Bau. Die Räume im Inneren wirken hell und freundlich. Noch gibt es einiges zu tun. Die Mädchen, die hier wohnen, haben dem Haus aber bereits ihren Stempel aufgedrückt. Basteleien aus Papier an den Fenstern, Gemaltes an mehreren Wänden. Nach und nach sollen die Mädchen das ganze Haus mitgestalten, sagt Gruppenbetreuerin Jenny Dörkes. So sollen sie auch wieder lernen, auf sich und ihre Fähigkeiten zu vertrauen. Denn in erster Linie soll es bei der Betreuung nicht um das Gewicht, sondern um Persönlichkeit und Selbstwertgefühl gehen. Wichtige Komponenten, wenn es darum geht, selbstständig den Alltag zu bestreiten.

    In der Wohngruppe greifen Jugend- und Gesundheitshilfe ineinander. Medizinische und therapeutische Unterstützung bekommen die Betreuer vom nahen Krankenhaus Josefinum. Wie lange ein Aufenthalt in der Wohngruppe dauert, steht nicht fest, kann bei jedem Mädchen anders sein. "Es ist unheimlich wichtig, zu wissen, dass sich das nicht von heute auf morgen ändert", sagt Dörkes. "Je schneller man versucht, etwas zu erreichen, desto weniger nachhaltig ist es."

    Der Fokus im Alltag soll nicht auf dem Essen liegen

    Weil einige Mädchen, auch aufgrund ihres Alters, nach dem Aufenthalt in der WG nicht mehr zu ihrer Familie zurückziehen, müssen sie lernen, mit bestimmten Dingen umzugehen. Sie lernen, auf eine Essensstruktur zu achten und planen den Speiseplan. "Das ist ein Thema, das man nicht unter den Tisch fallen lassen darf, weil es sonst das Leben einschränkt", erklärt Dörkes. "Also sprechen wir über den Speiseplan, lassen es dann aber auch wieder gut sein." Der Fokus im Alltag soll nicht auf dem Essen liegen.

    Auch Sendungen wie Germany’s next Topmodel werden in der Gruppe thematisiert. Jüngst stand das TV-Format in der Kritik, es könne Essstörungen verstärken. "Der Einfluss solcher Sendungen auf die Mädchen ist enorm", sagt Dörkes. "Sie sagen aber schon von sich aus: Nee, das will ich nicht sehen, das ist mir zu krass." Das sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zurück in einen normalen Alltag, weiß die Gruppenbetreuerin: "Wir begleiten die Mädchen auf dem Weg, sie müssen es aber auch selbst wollen."

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