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Augsburg: Polizistenmord-Prozess: Die Risiken beim zweiten Anlauf

Augsburg

Polizistenmord-Prozess: Die Risiken beim zweiten Anlauf

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    Der Verdächtige Raimund M. vor eineinhalb Jahren beim Auftakt des ersten Prozesses. Im September startet das Verfahren in Augsburg neu.
    Der Verdächtige Raimund M. vor eineinhalb Jahren beim Auftakt des ersten Prozesses. Im September startet das Verfahren in Augsburg neu. Foto: Archivfoto Ulrich Wagner

    Wenn am 22. September der zweite Prozess um den Augsburger Polizistenmord beginnt, jährt sich das Verbrechen bald schon zum dritten Mal: Es war in der Nacht zum 28. Oktober 2011, als die Polizeibeamten Mathias Vieth und Diana K. auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee zwei Verdächtige kontrollieren wollten. Die Männer flüchteten auf einem Motorrad. Nach einer Verfolgungsjagd eröffneten sie aus dem Hinterhalt das Feuer auf die Beamten. Vieth wurde mit einer Kalaschnikow förmlich hingerichtet. Diana K. hatte viel Glück, sie erlitt nur einen Streifschuss.

    Einer der spektakulärsten Fälle in der bayerischen Nachkriegsgeschichte

    Nun könnte dieser Fall, einer der spektakulärsten in Bayerns Nachkriegsgeschichte, längst nach allen Regeln der polizeilichen und juristischen Kunst erledigt sein. Denn zwei Monate nach der Tat waren zwei Brüder verhaftet worden. Einer der beiden, Rudolf Rebarczyk, 59, hat bereits im Jahr 1975 einen Polizisten erschossen. Rebarczyk wurde am 27. Februar zur höchsten Strafe verurteilt, die das deutsche Recht vorsieht.

    Raimund M.s Parkinson-Erkrankung ließ den ersten Prozess platzen

    Der Prozess gegen seinen Bruder Raimund M., 61, gestaltete sich schwieriger. Zwar ergab die Beweisaufnahme eine recht schlüssige Kette von Indizien. Aber M. hat Parkinson. Und der zuständige Gutachter Ralph-Michael Schulte erachtete im Herbst vergangenen Jahres M.s Gesundheitszustand als so kritisch, dass er ihn für nicht mehr verhandlungsfähig hielt. Ein Streit um die Behandlung des kranken Angeklagten im Gefängnis brach aus. Im November platzte der Prozess. Das Gericht brauchte eine neue Strategie.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Neun Monate später sind die Richter der Schwurgerichtskammer so weit, dass sie einen neuen Anlauf unternehmen. Vom 22. September bis Ende April 2015 sind 41 Termine angesetzt, die letzten zehn davon nur vorsorglich, teilte das Landgericht mit. Inzwischen ist in der forensischen Psychiatrie in Haar ein neues Gutachten über Raimund M.s Zustand erstellt worden, mit dem Ergebnis: Der 61-Jährige ist verhandlungsfähig. Er sei zwar durch seine Krankheit und sein Alter leicht beeinträchtigt, doch einem Prozess mit verkürzten Verhandlungszeiten stehe nichts entgegen.

    Raimund M. ist verhandlungsfähig - noch

    Dennoch wird die fortschreitende Krankheit wie ein Damoklesschwert über dem Prozess hängen. Sollte sich der Zustand des Angeklagten verschlechtern, werden seine Verteidiger sicherlich erneut den Versuch unternehmen, den Prozess zum Platzen zu bringen.

    Eine weitere Hürde aus dem ersten Prozess hat das Gericht zu nehmen: Der Sachverständige Schulte hatte sich in seinem Gutachten völlig überraschend darauf festgelegt, dass Raimund M. aus neurologischer Sicht gar nicht in der Lage gewesen sei, im Oktober 2011 in halsbrecherischer Fahrt auf einem Motorrad zu flüchten. Gutachter Schulte nimmt nicht mehr am Verfahren teil, seine Aussage steht aber im Raum.

    Deshalb hat das Gericht Oliver Peschel vom Münchner Institut für Rechtsmedizin mit einem weiteren Gutachten beauftragt. Er soll klären, ob M. aus medizinischer Sicht in der Lage gewesen ist, an den Taten mitzuwirken.

    Unklarheit um die Besetzung der Richter

    Peschel hat M. und dessen Bruder unmittelbar nach der Verhaftung untersucht und war damals zu dem Ergebnis gekommen, dass M. trotz Parkinson „muskelkräftig, athletisch und durchtrainiert“ war. Schwer vorstellbar, dass der Gerichtsmediziner im neuen Prozess zu einem anderen Ergebnis kommt.

    Zudem droht dem Gericht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Befangenheitsantrag der Verteidiger. Im Urteil gegen Rudolf Rebarczyk steht unmissverständlich, dass sein Bruder Raimund M. an dem Mord beteiligt war. Den neuen Prozess bestreiten dieselben Richter wie den alten. Die Rechtsprechung in ähnlichen Fällen ist so, dass ein

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