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Augsburg: Polizistenmord: Der angeklagte Raimund M. will neue Richter

Augsburg

Polizistenmord: Der angeklagte Raimund M. will neue Richter

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    Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das M. einen besseren Gesundheitszustand attestiert.
    Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das M. einen besseren Gesundheitszustand attestiert. Foto: Fred Schöllhorn

    Bald sind drei Jahre vergangen, seit der Ausburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen wurde. Vieles an diesem Fall ist außergewöhnlich. Sogar die Gestaltung des ersten Urteils gegen den zweifachen Polizistenmörder Rudolf Rebarczyk. Es umfasst 375 Seiten, ist schwarz eingebunden und trägt silberfarbene Schrift. Es gibt erfahrene Juristen in Augsburg, die sagen, so eine Aufmachung hätten sie noch nie gesehen.

    Auch die Wortwahl im Inneren ist teilweise verblüffend. Der Schlusssatz zum Beispiel: „Zwei Polizeibeamte, ermordet durch des Angeklagten tückische Hand, sind aus Sicht der Kammer genug.“ Angesichts solcher Formulierungen könnte man auf die Idee kommen, da hat manch einer den streng juristischen Pfad verlassen.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Juristischen Überlegungen folgt dagegen die Einschätzung des Schwurgerichts, dass der Mord an Mathias Vieth eine gemeinschaftliche Tat der beiden Brüder Rudolf Rebarczyk, 59, und Raimund M., 61, war. Das haben die Richter an vielen Stellen im Urteil klar artikuliert. Es wird sie daher auch kaum überrascht haben, dass jetzt ein Befangenheitsantrag der beiden Verteidiger eingegangen ist. In gut zwei Wochen soll dem mutmaßlichen Mörder Raimund M. zum zweiten Mal der Prozess gemacht werden. Doch M.s Verteidiger wollen das Verfahren stoppen. Rechtsanwalt Adam Ahmed wirft den Augsburger

    Ahmed hat sich offensichtlich eine ganze Menge Arbeit gemacht. In einem 430 Seiten dicken Antrag begründet er, warum er glaubt, dass Raimund M. kein fairer Prozess gemacht wird. Die Richter haben schon einmal über ein halbes Jahr gegen M. verhandelt, ehe der parkinsonkranke Angeklagte von einem Gutachter für verhandlungsunfähig erklärt wurde. Am Ende wurde nur sein Bruder Rudolf Rebarczyk zu lebenslanger Haft mit Sicherungsverwahrung verurteilt, das Verfahren gegen M. platzte.

    Jetzt gibt es ein neues Gutachten, das M. einen besseren Gesundheitszustand attestiert. Verteidiger Ahmed bezweifelt, dass die Richter angesichts des ersten Urteils noch unvoreingenommen urteilen können. „Im schriftlichen Urteil taucht der Name meines Mandanten fast 700 Mal als Täter auf.“ Da von einer Unschuldsvermutung zu sprechen, sei ein Hohn. Dies alles sei eine Konstellation, wie es sie in der deutschen Rechtsgeschichte noch nicht gegeben habe. Für den Fall der Ablehnung kündigt Anwalt Ahmed einen Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht an. „Es geht hier um die Einhaltung rechtsstaatlicher und verfassungsrechtlicher Verfahrensgrundsätze.“ Es gehe nicht darum, das Verfahren zum Platzen zu bringen. Daher sei der Antrag so frühzeitig wie möglich vor Beginn des neuen Prozesses gestellt worden.

    Kann der Prozess wie geplant am 22. September starten?

    Das Schriftstück des Verteidigers sorgt in Justizkreisen allerdings aus einem ganz anderen Grund für Aufsehen. Denn Anwalt Ahmed zitiert darin unter anderem aus den Aufzeichnungen eines Reporters der Bild-Zeitung, der den Polizistenmord-Prozess im Gerichtssaal zeitweise beobachtete. Der Journalist des Boulevardblatts hat dem Verteidiger dafür Teile seiner Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt.

    Dass Journalisten ihre Unterlagen auf diese Weise offenlegen, ist ungewöhnlich. In der Bild ist der Befangenheitsantrag im Polizistenmordprozess bereits vor einigen Tagen Thema gewesen. Bayerns Justiz drohe die nächste Blamage, hieß es in dem Artikel, der Prozess drohe zu platzen. In Augsburger Justizkreisen geht allerdings niemand davon aus, dass es so kommt. Es wird vielmehr damit gerechnet, dass der Befangenheitsantrag abgelehnt wird und der Prozess wie geplant am 22. September starten kann.

    Bislang sind für das Verfahren 41 Sitzungstage bis April 2015 reserviert und 200 Zeugen geladen. Die Aussage von Rudolf Rebarczyk ist für 25. November geplant. Aber der zweifache Polizistenmörder hat bisher eisern geschwiegen.

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