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Augsburg: Paukenschlag beim Goldfinger-Prozess: Gericht will alle Verfahren einstellen

Augsburg

Paukenschlag beim Goldfinger-Prozess: Gericht will alle Verfahren einstellen

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    Am Augsburger Landgericht läuft seit einem halben Jahr einer der spektakulärsten Steuerstrafprozesse. Das „Goldfinger“-Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung findet bundesweit viel Beachtung.
    Am Augsburger Landgericht läuft seit einem halben Jahr einer der spektakulärsten Steuerstrafprozesse. Das „Goldfinger“-Verfahren um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung findet bundesweit viel Beachtung. Foto: Bernhard Weizenegger

    Paukenschlag im spektakulären Goldfinger-Prozess um angeblich milliardenschwere Steuerhinterziehung: In einer langen Stellungnahme hat der Vorsitzende Richter der 10. Strafkammer, Johannes Ballis, die Argumentation der Staatsanwaltschaft komplett in ihre Einzelteile zerlegt.

    Kurz zusammengefasst sieht das Gericht keinen der Vorwürfe gegen die Angeklagten Martin H. und Diethard G. als gerechtfertigt, geschweige denn bewiesen. Das gilt vor allem für die Fragen, ob die Goldhandelsgeschäfte zur Steuerersparnis von den Angeklagten aus Deutschland geleitet wurden und ob in Großbritannien nur Scheinbüros existierten. Beides verneint das Gericht. „Die Beweisaufnahme hat bisher nicht ergeben, dass die Angeklagten ein Steuerhinterziehungsmodell kreiieren wollten“, sagte Richter Ballis. Nach diesen klaren Ausführungen der Richter ist eine Verurteilung der Münchner Juristen, die beide jeweils Rechtsanwälte und Steuerberater sind, praktisch ausgeschlossen.

    Richter will alle Verfahren im Goldfinger-Komplex einstellen

    Richter Ballis macht stattdessen einen folgenreichen Vorschlag: Er halte es für vernünftig, fair, gerecht und juristisch richtig, alle Verfahren in diesem Goldfinger-Komplex zeitnah einzustellen. „Weitere Hauptverhandlungen in diesem Komplex müssten sogar als Ressourcenverschwendung angesehen werden“, schreibt Ballis der Staatsanwaltschaft ins Stammbuch.

    Ist das umstrittene „Goldfinger“-Steuersparmodell zweier Münchner Anwälte strafbar? Darum geht es im Augsburger Mammutprozess.
    Ist das umstrittene „Goldfinger“-Steuersparmodell zweier Münchner Anwälte strafbar? Darum geht es im Augsburger Mammutprozess. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Die Staatsanwaltschaft wirft Martin H., 48, und Diethard G., 46, vor, sie hätten ein illegales Goldfinger-Steuergestaltungsmodell aufgesetzt und an rund 100 Millionäre vertrieben. Auf diese Weise sollen die Rechtsanwälte laut Anklage Steuerhinterziehung beziehungsweise Beihilfe dazu in Höhe von rund einer Milliarde Euro begangen haben. Beim umstrittenen Goldfinger-Modell ergibt sich die Steuerersparnis dadurch, dass mittels Goldhandelsfirmen in Großbritannien steuerliche Verluste erzeugt werden konnten, die in Deutschland die Steuerlast stark senkten. Der Bundesfinanzhof hat in einem Grundsatzurteil 2017 das Goldfinger-Modell unter bestimmten Voraussetzungen für rechtlich zulässig erklärt. Dass diese Art des Steuern sparens nur sehr reichen Menschen möglich und damit moralisch möglicherweise fragwürdig ist, ist eine andere Frage. Der Gesetzgeber hat dieses Problem erkannt und mit einer Gesetzesänderung Goldfinger-Modelle unmöglich gemacht.

    Nach einer Großrazzia saßen die Angeklagten mit mehreren Kollegen in U-Haft

    Zum damaligen Zeitpunkt war diese Rechtsfrage allerdings offen. Die Strafkammer machte jedenfalls deutlich, sie könne nicht erkennen, dass die Angeklagten in den Steuererklärungen falsche Angaben gemacht oder Tatsachen verschwiegen hätten. Daher stelle sich in diesem Fall die Frage nach der strafrechtlichen Relevanz. Man könnte dies auch so deuten: Nach ihrer vorläufigen Prüfung halten es die Richter für äußerst zweifelhaft, ob dieser Goldfinger-Fall überhaupt zu einem Strafgericht hätte angeklagt werden dürfen oder ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, diese steuerrechtliche Frage vor einem dafür zuständigen Finanzgericht zu klären. Jedenfalls gesteht das Gericht den Angeklagten zu, sie hätten eine „vertretbare Rechtsauffassung" gehabt.

    Für die Angeklagten, die nach einer Großrazzia Anfang 2018 mit mehreren Kollegen für mehr als vier Monate in Untersuchungshaft saßen, hat das Gericht nach den rechtlichen Ausführungen eine weitere Überraschung parat, die nur folgerichtig ist: Die seit mehr als zwei Jahren existierenden Haftbefehle samt Auflagen heben die Richter am Mittwochvormittag auf. Sie waren bislang nur außer Vollzug gesetzt. Am Ende wandte sich Richter Ballis in sehr persönlichen Worten an die Angeklagten: Sie hätten nicht immer makellos gearbeitet. Aber sie hätten durch das Verfahren und die U-Haft „bereits in existenziellem Ausmaß gebüßt“.

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