Das Eis ist dünn an diesem Tag für den ansonsten durchaus wortgewaltigen bayerischen Umweltminister Markus Söder (CSU). Im Bayerischen Landtag soll er erklären, wie sich die Staatsregierung nach der Atomkatastrophe in Japan den Ausstieg aus der Kernenergie vorstellt. Söder sagt seit Tagen, er wolle den Ausstieg. Doch genauso wie die schwarz-gelbe Bundesregierung in Berlin hat auch die CSU/FDP-Staatsregierung in München zur Kenntnis nehmen müssen, dass der politische Wille allein nicht einmal für eine schnelle Stilllegung des ältesten bayerischen Atomreaktors Isar I ausreicht.
Nachdem Schwarz-Gelb in Berlin den zuvor von Rot-Grün bereits beschlossenen, schrittweisen Ausstieg rückgängig gemacht und eine Laufzeitverlängerung beschlossen hat, muss im Bund erst wieder ein neues Gesetz her. Söder aber soll an diesem Tag schon sagen, wie sich die Staatsregierung das weitere Vorgehen vorstellt.
Er tritt zur Regierungserklärung ans Rednerpult und beginnt mit einer fast philosophischen Bemerkung: „Seit dem letzten Freitag hält die Welt den Atem an. Das Erdbeben und der Tsunami haben Japan verwüstet und, so glaube ich, die ganze Welt verändert.“ Dann spricht er über die atomare Katastrophe, die in Japan den Naturgewalten folgte, und stellt die Frage, die seine einst von der Atomkraft so begeisterte Partei, offenkundig in ihren Grundfesten erschüttert: „Wieso kann in einem so hoch entwickelten Land wie Japan so etwas passieren?“
Söder spricht über die hohen Sicherheitsstandards in deutschen Kernkraftwerken. Er betont, dass auch die bayerischen Kraftwerke nach den Standards betrieben werden, die von den früheren Bundesumweltministern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) festgeschrieben worden sind. Doch dann räumt auch Söder ein, dass vermutlich nicht einmal diese Regeln ausreichen. Er sagt: „Wissen Sie, Japan verändert alles, auch bei mir.“ Dann stellt er eine Liste von Maßnahmen vor, die nun angepackt werden sollen (siehe Infokasten). Und wie bereits am Vortag CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer gibt sich auch Söder defensiv und sagt an die Adresse der Opposition: „Nachdenklichkeit ist besser als Rechthaberei.“
SPD-Generalsekretärin Natascha Kohnen, die als erste Rednerin der Opposition antwortet, zeigt nicht die geringste Lust, die CSU zu schonen. Sie hält dem Umweltminister vor: „Der Notstand, der herrscht, ist Ihr Erklärungsnotstand.“ Sie erinnert Söder an vergangene Debatten: „Alle, die auf die Risiken hingewiesen haben, wurden von Ihnen als Angstmacher, Panikmacher Fortschrittsgegner und Ewiggestrige diffamiert.“ Und sie fordert: „Wir wollen von Ihnen Klartext hören und nicht ein solches Geschwurbel wie in den letzten 30 Minuten.“
Das Landtagspräsidium hatte sich schon im Vorfeld der Debatte darauf vorbereitet, dass es hoch hergeht. Ein Zimmer, wo sich der Ältestenrat zur Klärung möglicher Streitfälle treffen kann, war für den ganzen Tag frei gehalten worden. Doch es bleibt weitgehend ruhig. Schon während der Rede Kohnens verlassen mehr als die Hälfte der CSU-Abgeordneten den Saal. Das ändert sich auch nicht, als CSU-Fraktionschef Georg Schmid an der Reihe ist.
Auch er versucht zu erklären, wie es aus Sicht der CSU nun weitergehen soll. Er warnt vor „plumpen, populistischen“ Antworten und versichert: „Das Ende der Kernenergie ist bereits beschlossene Sache.“ Er fügt allerdings hinzu: „Die offene Frage ist nun, wann und wie uns der Übergang zu den erneuerbaren Energien gelingt.“
Doch auch Schmid kann die Opposition nicht beruhigen. Der Fraktionschef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, wählt drastische Worte. Wenn angesichts der „brutalen Realität“ in Japan und einst in Tschernobyl hier schon wieder über mögliche Strompreiserhöhungen gesprochen werde, falls Reaktoren vom Netz genommen werden, dann sei das „schlichtweg frevelhaft“. Mit den Konzernlenkern in der Energiewirtschaft geht er besonders deftig ins Gericht: „Dann machen sich diese feinen Herrschaften über alle Berge, wenn die Wolke hochgeht, und wir sitzen in der Scheiße.“
Ludwig Hartmann von den Grünen hat so seine Zweifel am Kurswechsel der CSU. Auch er erinnert an die tausendfachen Beschwörungen der Partei, die deutschen Atomkraftwerke seien sicher. „Wieso brauchen wir dann jetzt eine neue Prüfung?“, fragt Hartmann und weist darauf hin, dass Isar I nach dem Ausstiegsbeschluss von Rot-Grün schon in drei Monaten endgültig vom Netz ginge.
Die Debatte dauert bis weit in den Nachmittag. Das letzte Wort hat Söder. Er sei mit „heißem Herz“ dabei, versichert er. Aber wie schnell es mit dem Ausstieg geht, weiß er nicht.