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Asylstreit: Seehofers Verwirrspiel: Wie konnte es so weit kommen?

Asylstreit

Seehofers Verwirrspiel: Wie konnte es so weit kommen?

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    Was geht in Horst Seehofer vor? Der Bundesinnenminister auf dem Rücksitz seines Dienstwagens.
    Was geht in Horst Seehofer vor? Der Bundesinnenminister auf dem Rücksitz seines Dienstwagens. Foto: Paul Zinken, dpa

    Eigentlich wäre in der CSU jetzt alles ganz einfach: Horst Seehofer hört doch auf. Markus Söder und Alexander Dobrindt müssen ran. Ministerpräsident Söder übernimmt zusätzlich den Parteivorsitz. Landesgruppenchef Dobrindt wird Bundesinnenminister. Und Angela Merkel regiert weiter wie bisher, weil Söder und Dobrindt nach dem gescheiterten Seehofer-Ultimatum gar nicht mehr anders können, als sich in der Asylpolitik dem Kurs der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden zu beugen.

    So wird es wohl trotz der Einigung im Asylstreit kommen, über kurz oder lang. Oder so ähnlich. Auch der bayerische Innenminister Joachim Herrmann kommt als Bundesinnenminister infrage. Doch auf die Namen kommt es nicht an. Entscheidend ist: Die CSU wollte in den letzten Tagen die Spaltung der Union nicht riskieren. In der Bundesregierung mit am Tisch zu sitzen, ist für die CSU, die im Oktober in Bayern eine Landtagswahl gewinnen will, schlicht alternativlos.

    Wirklich schwierig ist eine andere Frage: Wie konnte es vor der Einigung im Asylstreit so weit kommen, dass die Regierung fast zerbrochen wäre? Wie konnte ein mit allen Wassern gewaschener Politik-Fuchs wie Seehofer sich selbst und seine Partei in eine derartige Sackgasse manövrieren? Wie konnte der Vorsitzende einer seit sieben Jahrzehnten staatstragenden Partei den Konflikt mit der CDU bis an den Rand einer Staatskrise treiben? Von dem römischen Denker und Staatsmann Cicero ist der Satz überliefert: „Alle Menschen, die das Ziel ihres Lebens erreicht haben, wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Würde und Eitelkeit, Selbstvertrauen und Verblendung, Ruhm und Selbstzerstörung.“ Nach der spektakulären Krisensitzung des CSU-Vorstands am Sonntag sieht es so aus, als sei Seehofer über die falsche Seite des schmalen Grats abgerutscht. Reißt er die Partei mit?

    Seehofer hatte etwas geschafft, was ihm keiner zugetraut hatte

    Nicht wenige in der CSU sehen in der Landtagswahl des Jahres 2013 das erste entscheidende Datum für Seehofers politisches Schicksal. Damals hatte er etwas geschafft, was ihm kaum einer zugetraut hatte: Er hatte der CSU in Bayern die absolute Mehrheit der Sitze im Landtag zurückerobert. Von da an sei er „völlig abgehoben“ gewesen, habe in der Partei „auf niemanden mehr gehört“ und nur noch „mit Befehl und Gehorsam“ regiert.

    Das zweite Datum sei sein Sturz als Ministerpräsident im Herbst 2017 gewesen. Dass Seehofer nach dem schlechten Abschneiden der CSU bei der Bundestagswahl in einem zermürbenden Machtkampf mit Söder ausgerechnet das Amt des Regierungschefs und nicht des Parteichefs abgeben musste, habe er „nie verarbeitet“. Einer seiner schärfsten Kritiker in der CSU sagt: „Alle, die an seinem Sturz beteiligt waren, sind für ihn Schurken – bis heute.“ Das sei fast schon „ein Freund-Feind-Denken wie bei Donald Trump“. Seehofer leide seit seinem Sturz an einem „Trauma verbunden mit Selbstüberschätzung“. Seine Wahrnehmung der Welt sei „beinahe autistisch“.

    Der große Knall: Horst Seehofer in der Nacht auf Montag nach der dramatischen CSU-Vorstandssitzung.
    Der große Knall: Horst Seehofer in der Nacht auf Montag nach der dramatischen CSU-Vorstandssitzung. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Und dann noch der Dauerkonflikt mit Merkel. Bereits 2004, damals war Seehofer noch Fraktionsvize im Bundestag, hat er vor der CDU-Chefin im Streit über die Gesundheitspolitik kapitulieren müssen und sein Amt aufgegeben. Er schaffte das Comeback, wurde erst Bundeslandwirtschaftsminister und 2008 auch noch CSU-Chef und Ministerpräsident in Bayern. Spätestens 2013, nach seinem großen Wahlsieg in Bayern, sah er sich selbst auf Augenhöhe mit der Kanzlerin. Er herrschte im Land unangefochten und mischte in Berlin kräftig mit.

    Bis zur Flüchtlingskrise im Jahr 2015 ging das halbwegs gut. Dann legte sich Seehofer mit Merkel an, kanzelte sie bei einem CSU-Parteitag im Herbst 2015 auf offener Bühne ab, scheute aber im Streit um die Obergrenze für Asylbewerber die letzte Konsequenz und ordnete sich 2017 im Vorfeld der Bundestagswahl wieder unter. An dem schlechten Abschneiden von CDU und CSU gab es aus Seehofers Sicht nur eine Schuldige: Angela Merkel. Das Problem dabei: Sie blieb Bundeskanzlerin, aber er wurde als Ministerpräsident von den eigenen Leuten gestürzt. Der Boden für einen finalen Machtkampf mit der Frau, vor der in der CDU schon viele mächtige Männer kapitulieren mussten, war also bereitet.

    Als die CSU aufs Ganze ging

    Als unmittelbare Auslöser für den Vorstoß der CSU in der Asylpolitik in diesem Frühjahr können zwei Umstände gelten. Die wieder schlechteren Umfragewerte der Partei in Bayern und die vielen negativen Schlagzeilen über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), für das Seehofer als Bundesinnenminister mittlerweile zuständig ist, schürten in der Partei die Sorge vor einem neuerlichen Debakel bei der Landtagswahl im Herbst. Die CSU wollte ein Zeichen für eine Wende in der Asylpolitik setzen. „Maximale Konfrontation“ lautete die Devise in der CSU-Zentrale. Seehofers Kritiker in der Partei sind überzeugt, dass das eigentliche Ziel des Konfrontationskurses war, die Kanzlerin zu stürzen, um für jedermann sichtbar den Vorwurf zu entkräften, dass die kleinere Schwesterpartei in Berlin ohnehin nix zu melden habe. Seehofer bestreitet derlei Mutmaßungen vehement. Ihm sei es immer nur um eine „Sachfrage“ gegangen.

    Eine gemeinsame Sitzung der CDU- und CSU-Bundestagsabgeordneten am 12. Juni jedenfalls bestärkte Seehofer und Dobrindt in ihrer Einschätzung, eine „Asylwende“ durchsetzen zu können. Sie registrierten Unterstützung aus der CDU. Zwei Tage später aber hatte offenbar auch der letzte CDU-Abgeordnete gemerkt, dass es gegen Merkel geht. Die Reihen bei der CDU hatten sich geschlossen. Spätestens jetzt rasten zwei Schnellzüge aufeinander zu.

    Merkels Verhandlungen in Brüssel galten als letzte Chance, die Weichen noch anders zu stellen. Selbst in der CSU hieß es nach dem EU-Gipfel zunächst, die Kanzlerin habe mehr erreicht, als man sich habe erhoffen können. Die Hardliner in der Partei aber lasen den Beschluss ganz anders: wieder nur Absichtserklärungen, wieder nur Vertagungen, aber keine Lösung. Und mehr noch: In einigen Punkten könnten die Beschlüsse sogar Verschlechterungen für Deutschland bringen. „Nationale Maßnahmen“, insbesondere Zurückweisungen an der Grenze, müssten möglich sein.

    Einer sagt: Er hat die Schnauze voll

    Als entscheidend für den endgültigen Bruch zwischen Seehofer und Merkel gilt der vergangene Samstag. Seehofer-Unterstützer berichten, er sei ohnehin schon ziemlich „geladen“ gewesen, weil Merkel sein Ministerium aus den Gesprächen in Brüssel völlig rausgehalten habe. Am Samstag habe die Kanzlerin ihren Innenminister dann nach Berlin bestellt, nur um ihm zu sagen, dass sie ihm um keinen Millimeter entgegenkommen werde. Man müsse Seehofer verstehen, sagt ein wohlmeinender CSU-Vorstand: „Er hat die Schnauze voll. Die Merkel behandelt ihn wie einen Putzlumpen.“

    Seehofer brauche sich darüber aber auch nicht zu wundern, sagen seine Kritiker. Merkel habe eben nie vergessen, was der CSU-Vorsitzende mit der CDU-Vorsitzenden auf dem Parteitag im Herbst 2015 veranstaltet habe. Von Fairness im Umgang könne seither keine Rede mehr sein – hüben wie drüben. Das Vertrauen sei schon längst dahin. Und bei Seehofer habe sich die Auffassung verfestigt, dass Merkel einfach an allem schuld sei, was ihm und der CSU widerfahre und was seiner Partei im Herbst drohe. Der Parteichef und seine Mitstreiter hätten „sich eingemauert in einem Turm und jeden Kontakt zum normalen Leben verloren“.

    Am Sonntag leitete Seehofer eine Generalabrechnung ein, ließ die Vorstände sieben Stunden debattieren, kündigte dann seinen Rücktritt an und nahm seine Ankündigung wieder zurück. „Haarsträubend“ sei das, hieß es hinterher aus der Partei, „verantwortungslos“ und „grotesk“. „Das ist der Rücktritt vom Rücktritt vor dem Rücktritt“, spottete ein Vorstand.

    Am Montag, vor dem Krisentreffen in Berlin, ließ Seehofer einen tiefen Blick in seine Psyche zu. Der Süddeutschen Zeitung sagte er: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“ Ob er dabei mit dem Fuß auf den Boden gestampft hat? In seiner Partei sind Kritiker und Gegner überzeugt: „Er muss gehen, so oder so.“ Diese Stimmen werden wohl auch nach der am Montag gelungenen Einigung im Asylstreit nicht verstummen.

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