Der zweieinhalbjährige Arthur ist untröstlich. Der Junge aus Armenien sitzt auf einem kleinen Kindergartenstuhl und weint. Um ihn herum wirbeln Mädchen und Jungen, sie spielen, malen und lachen. Arthur ist ein Flüchtlingskind. Seit drei Wochen geht er in den Kindergarten gleich neben der Würzburger Gemeinschaftsunterkunft. Alles ist ihm fremd, seine Eltern sind nicht da. Er ist traurig. Und dann kommt auf einmal "Maggy".
Die große Stoffhandpuppe schafft, was den Erzieherinnen trotz aller Fürsorglichkeit nicht gelungen ist: Arthur hört auf zu weinen und nimmt neugierig und vorsichtig die Puppe in Augenschein. "Sie ist unser Eisbrecher", sagt Kita-Leiterin Katja Romberg dann auch. In dem Kindergarten der Katholischen Kirchengemeinde Heilig-Geist werden täglich bis zu 28 Kinder betreut, 17 davon haben Migrationshintergrund, zehn von ihnen sind Flüchtlinge.
Die Kita nimmt seit fast zwanzig Jahren Flüchtlingskinder auf
"Diese Verhältniszahlen sind bayernweit einzigartig", sagt Michael Deckert vom Caritasverband für die Diözese Würzburg. Er leitet die Abteilung Kindertageseinrichtungen. Die Kita nimmt schon seit fast zwei Jahrzehnten Flüchtlingskinder auf. In Bayern leben dem Sozialministerium zufolge derzeit fast 6400 Flüchtlingskinder, die jünger als sechs Jahre sind. Ab einem Alter von einem Jahr haben sie Anspruch auf einen Krippen- oder Kindergartenplatz.
Nicht selten stehen Flüchtlingskinder mit ihren Eltern morgens unerwartet vor den Türen der Kita Heilig-Geist in Würzburg. "Sie können jederzeit kommen, mit einem Zettel in der Hand. Und dann heißen wir sie herzlich willkommen", erklärt Romberg. Die Eingewöhnung dauert für gewöhnlich ein bisschen länger als üblich. Eltern und Kinder seien oft nach einer langen Flucht traumatisiert. Das Wichtigste ist dann Vertrauen und Stabilität. "Und ein Lächeln hilft immer!"
Keine Dolmetscher für die Kinder auf Syrien, Serbien, der Ukraine
Dolmetscher gehören nicht zum Alltag in der Kita. Die Erzieherinnen beherrschen zwar Englisch, Französisch und Russisch. Aber viele Kinder kommen aus Syrien, Serbien, der Ukraine, Afghanistan und Afrika. "Da müssen wir schon kreativ werden. Wir sprechen mit Händen und Füßen, mit Bildern und übersetzen einzelne Sätze auf dem iPad via Google", sagt die Kita-Leiterin. Die Kinder selbst haben mit der Vielsprachigkeit kaum Probleme. "Abgesehen davon: Basteln, Malen und einfach Kind sein - das kann man auch ohne Sprechen", so Romberg. Das sei für sie und ihre Kollegen auch das Wichtigste: Dass die Kleinen im Kindergarten eine heile Welt erleben und einfach nur Kind sein dürfen.
Dazu gehört übrigens auch, dass zum Teil Heißklebepistolen aus der Bastelecke verbannt werden. "In einer unserer Einrichtungen reagierten Kinder total panisch auf die Klebepistolen, weil sie sie an echte Waffen erinnern", sagt Caritas-Kita-Experte Deckert. Auch über den Spielplatz fliegende Hubschrauber hätten schon verschiedene Reaktionen ausgelöst: "Die einen laufen weg und verstecken sich und andere winken wild, weil sie denken, dass Hilfe kommt."
Die meisten Kinder bleiben oft nur für eine kurze Zeit. "Das ist abhängig von den Asylverfahren, in denen sie stecken", sagt Deckert. Manchmal sind sie einfach am nächsten Tag nicht mehr da. Das ist nicht nur für Flüchtlingskinder eine Herausforderung, die dann erneut aus ihrer vertrauten Umgebung herausgerissen werden. Auch den deutschen Kindern und Erzieherinnen fällt der Abschied jedes Mal wieder schwer.
Forderung: Mehr Geld für Kitas, die Flüchtlingskinder aufnehmen
Zudem sei der bürokratische Aufwand nicht zu unterschätzen. Hinzu kommt, dass mit dem plötzlichen Wegzug der Kinder auch die staatliche und kommunale Finanzierung wegfällt. Der Verband Katholischer Kindertageseinrichtungen Bayern fordert deshalb mehr Geld für Einrichtungen, die Flüchtlingskinder aufnehmen. Mit diesem Geld sollte eine zusätzliche Fachkraft eingestellt werden, die nicht abhängig von den Buchungszeiten der Kinder ist. Wie viele Kitas in Bayern Flüchtlingskinder aufnehmen, ist dem Sozialministerium zufolge nicht bekannt. Bayernweit gibt es fast 9000 Einrichtungen, die mehr als 508.000 Jungen und Mädchen betreuen.
In Sachsen gibt es seit einigen Monaten das bundesweit bislang einzigartige Modellprojekt "Willkommenskitas". Mit interkulturellen Schulungen, Beratern und dem Aufbau von Experten-Netzwerken werden die Kitas bei der Aufnahme von Flüchtlingskindern unterstützt. Kita-Experte Deckert von der Caritas wünscht sich für Bayern ähnliches. "Wir brauchen einfach ein Netzwerk, damit nicht jede Einrichtung das Rad wieder neu erfinden muss."
Christiane Gläser, dpa/lby