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Asyl: Wie die Grenzkontrollen für Flüchtlinge und Pendler alles verändern

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Wie die Grenzkontrollen für Flüchtlinge und Pendler alles verändern

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    Wie früher: Eine deutsche Polizistin bei Grenzkontrollen - ein Anblick, der nach dem Schengen-Abkommen fast vergessen war.
    Wie früher: Eine deutsche Polizistin bei Grenzkontrollen - ein Anblick, der nach dem Schengen-Abkommen fast vergessen war. Foto: Matthias Balk (dpa)

    Letzter Tag der Sommerferien in Bayern. Die Autobahnen von Österreich nach Deutschland sind voll – Rückreiseverkehr. Nichts Ungewöhnliches für einen Montag vor Schulbeginn. Auf der A8, wenige Kilometer hinter Salzburg, stockt die Blechlawine. „Sieben Kilometer Stau wegen Grenzkontrollen“, sagt die Moderatorin im Radio. In Wirklichkeit sind es einige mehr.

    Überhaupt, wie das klingt: Grenzkontrollen zwischen Bayern und Österreich! „Was ist das?“, werden die Jugendlichen im Land fragen. Und die Älteren werden sagen: Seit April 1998 gilt doch freie Fahrt. Nicht immer. Mehrfach schon hat es Ausnahmen von dieser Regel gegeben, zuletzt rund um den G-7-Gipfel in Elmau.

    Jetzt greift wieder so eine Ausnahme. Weil der ungebremste Zustrom an Flüchtlingen für die Behörden kaum noch beherrschbar war und der Hauptbahnhof München als zentrale Anlaufstelle am Wochenende vor dem Kollaps stand. Die Augen der Ermittler richten sich vor allem auf Ober- und Niederbayern.

    Lange Staus wegen der Grenzkontrollen in Bayern

    Grenzkontrolle also. Blaulicht am Standstreifen, Warnblicklicht auf der Fahrbahn, orange-weiße Pylonen leiten die Fahrzeuge auf eine Spur. Kurz nach dem ehemaligen Grenzübergang, auf deutscher Seite, stehen drei Polizisten mit gelben Warnwesten. Ihre Blicke wandern durchs Fahrzeuginnere. Als sich ein grüner Fernbus mit Münchner Kennzeichen nähert, weist eine Kelle darauf hin, doch bitte rauszufahren.

    Der Doppeldecker rangiert auf einen Parkplatz nahe der Ausfahrt Bad Reichenhall. Die Tür geht auf. Ein Beamter steigt ein, lässt sich vom Busfahrer das Mikrofon geben und sagt: „Guten Tag, das ist eine Grenzkontrolle. Bitte halten Sie Ihre Ausweise bereit.“ Die Männer in Uniform und mit gelben Westen laufen durch den engen Gang. Links und rechts zücken Passagiere ihre Ausweise. Sie kommen mehrheitlich aus Österreich und Deutschland.

    Hinter dem Busfahrer sitzt Volker Freystedt. Graue Haare, Dreitagebart, Hemd und Jeans. Er weiß noch nicht, ob er über die Kontrolle lachen oder angesichts des verpassten Termins fluchen soll. Der Pendler hat das Wochenende in Salzburg verbracht und wollte eigentlich mit dem Schnellzug um 10.25 Uhr zu seiner Arbeitsstelle nach München fahren. Von wegen. „Es hat das pure Chaos geherrscht“, erzählt Freystedt.

    Hunderte Flüchtlinge haben die Nacht am Bahnhof verbracht, weil Züge Richtung Deutschland nicht mehr fahren durften. Am Morgen wird das Verbot zwar aufgehoben. Aber weil sich viele Menschen auf den Gleisen aufhalten, geht erst mal nichts voran. „Keiner konnte mir sagen, ob mein Zug fährt oder nicht. Keine Durchsage, kein Schaffner“, schimpft Freystedt. Er hat sich die Info dann über sein Smartphone beschafft.

    15 Minuten dauert die Kontrolle. Inklusive Stau hat der Bus eine Verspätung von knapp einer Stunde. Flüchtlinge sind keine an Bord. Überhaupt entdecken die Bundespolizisten in den Morgenstunden an der A8 nur wenige. Bei den Schleusern haben sich die Grenzkontrollen längst herumgesprochen. Matthias Knott von der Bundespolizei sagt: „Die Schmuggler umgehen die Stationen, indem sie Flüchtlinge noch auf der österreichischen Seite aussteigen lassen. Teilweise mitten auf der Autobahn.“ Zu Fuß fliehen sie weiter in Richtung München. Das Ziel im Blick, die Kinder in der Hand und die Gefahr im Rücken.

    Morgens um 4 Uhr hatten sie wieder so einen Fall, sagt Knott. Auf dem Standstreifen in der Nähe von Bad Reichenhall entdeckten seine Kollegen eine vierköpfige syrische Familie mit Kinderwagen. Getrieben von einer sicheren Zukunft in München, gestoppt von der Bundespolizei, gelandet in der Erstaufnahmeeinrichtung Rosenheim. Nach Einführung der Grenzkontrollen sollen noch mehr Flüchtlinge davon abgehalten werden, in die Landeshauptstadt zu fliehen.

    Zehn Fakten über Asylbewerber in Bayern

    Nach Zahlen, die das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Soziales, Familien und Integration im Internet veröffentlicht, kamen im Jahr 2014 exakt 173.072 Asylbewerber nach Deutschland, davon kamen 25.667 nach Bayern.

    Von den 25.667 Asylbewerbern, die Bayern im Jahr 2014 zugeteilt wurden, stammen die meisten aus Syrien (5624 Personen), danach folgen die Herkunftsländer Eritrea (2557), Afghanistan (1906) und Nigeria (1890).

    Grob gesagt darf jeder dritte Asylbewerber in Deutschland bleiben. Wer als Asylberechtigter im Sinne des Grundgesetzes anerkannt wird oder Flüchtlingsschutz erhält, weil im Heimatland Gefahr droht, bekommt eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis.

    Für Unterbringung und Versorgung von Asylbewerbern und andere Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz investierte der Freistaat im Jahr 2014 etwa 410 Millionen Euro.

    Die Dauer eines Asylverfahrens ist in jedem Bundesland anders. Nach den aktuellsten Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge dauert ein Verfahren im Bundesdurchschnitt 5,3 Monate, in Bayern durchschnittlich 4,7 Monate.

    Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten haben nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl derzeit die besten Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen, zum Beispiel Menschen aus Syrien, Eritrea, Afghanistan, dem Irak und Somalia.

    Asylbewerber aus den Balkan-Staaten Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina haben nur geringe Aussichten auf Erfolg. Der Grund: Diese Länder gelten seit November 2014 als so genannte sichere Herkunftsstaaten.

    Flüchtlinge erhalten pro Monat ein Taschengeld von 140 Euro. Für alle weiteren notwendigen Ausgaben (Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körperpflege) erhalten Alleinstehende außerhalb von Erstaufnahmeeinrichtungen monatlich 212 Euro. Insgesamt sind das also 352 Euro. Das entspricht dem Sozialhilfeniveau.

    Nach den Bestimmungen des Bundesrechts dürfen Asylbewerber in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nicht arbeiten und keine Ausbildung machen. Danach bekommen sie eine eingeschränkte Arbeitserlaubnis, erst nach 15 Monaten haben sie einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt.

    Flüchtlinge, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen, werden in einem schriftlichen Ablehnungsbescheid zur Ausreise aufgefordert. Innerhalb einer bestimmten Frist müssen sie dann das Land verlassen. Wer in dieser Frist nicht ausreist, dem droht die zwangsweise Abschiebung. (jsn)

    Die Polizei nimmt mehrere Schleuser fest

    Es ist ein beeindruckendes Polizeiaufgebot, das an den 14 Grenzübergängen zwischen Salzburg und Rosenheim auffährt. Die Präsenz zeigt erste Erfolge. Von Sonntag bis Montagnachmittag greifen Beamte in dieser Region 650 Flüchtlinge auf und nehmen zehn Schleuser fest. Die meisten in der Nacht. Sie werden dem Ermittlungsrichter vorgeführt, der über einen Haftbefehl entscheidet.

    Ihre Fahrzeuge parken noch immer auf einer Wiese neben der Kontrollstelle Piding. Große Autos, kleine

    Nur 15 Minuten entfernt von Piding liegt Freilassing. Railjet 262 aus Wien steht auf Gleis eins. Kein planmäßiger Halt, der Schnellzug sollte eigentlich ohne Zwischenstopp von Salzburg zum Münchner Hauptbahnhof fahren. Kurz nach der Abfahrt in Salzburg stoppt die deutsche Bundespolizei den voll besetzten Zug in Freilassing. Grenzkontrolle. Beamte inspizieren jeden einzelnen Waggon. Mit hellblauen Gummihandschuhen verlangen sie den Ausweis der Passagiere und fragen nach dem Grund für die Reise nach Deutschland.

    „Ich habe hier sieben Syrer“, ruft ein Polizist an der Zugtür und winkt. „Syrer, Iraker, alle raus“, antwortet ein Kollege. Fünf Männer und zwei Frauen mit vollgepackten Plastiktüten steigen aus. Sie werden hinter eine Absperrung gebracht, wo bereits 150 Flüchtlinge warten. Ihre nächste Station heißt nicht München, sondern Rosenheim. Registrierung, Erstversorgung. Sie werden nicht zurückgeschickt, sie haben das Recht auf ein Asylverfahren. Und München ist ein kleines bisschen entlastet.

    Der Zug hat bereits 45 Minuten Verspätung. Ein Mann mit grauem Anzug, Brille, grauen Haaren und Aktenkoffer irrt am Bahnsteig umher. „Ich habe einen Termin in München. Keiner weiß, wann der Zug weiterfährt.“ Ratlosigkeit. Eine Angestellte der Deutschen Bahn kann ihm nicht weiterhelfen. „Wir fahren erst weiter, wenn die Polizei hier fertig ist.“ Selbst eine Weiterfahrt mit dem Taxi scheint unmöglich. Viele Unternehmen haben ihre Fahrten zwischen Freilassing und Salzburg eingestellt.

    ---Trennung _Grenzkontrollen wirken sich auf München aus_ Trennung---

    In München kommen durch die Grenzkontrollen kaum noch Flüchtlinge an

    Das Chaos in der Umgebung ist auch am Grenzübergang an der Bundesstraße 20 spürbar. Von der Brücke über die Saalach bis ins Salzburger Stadtzentrum staut sich der Verkehr. Knapp eine Stunde dauert es bis zur Kontrolle. Deutsche Fahrzeuge mit nur einem Insassen werden durchgewunken. Im Visier der Ermittler sind vor allem Kleinwagen, Lastwagen und Transporter mit osteuropäischen Kennzeichen. Neben der Bundesstraße führt ein Rad- und Fußgängerweg über die Grenze. Ingrid Schandl geht mit ihrem Hund spazieren. Kontrolliert wird die Salzburgerin nicht. Sie weiß, dass diesen Weg auch Flüchtlinge nehmen.

    Auch 150 Kilometer westlich von hier herrscht an diesem Tag eine seltsame Stimmung. Da befand sich München zwei Wochen lang im Ausnahmezustand, schleusten die Behörden weit über 60.000 Flüchtlinge vom Hauptbahnhof zu Erstunterkünften und weiter in andere Teile des Landes. Und dann stehen gestern hunderte Polizisten und ehrenamtliche Helfer auf ihrem Posten, und kaum ein Flüchtling kommt. Mindestens ein Sonderzug, der ausschließlich Flüchtlinge in andere Bundesländer bringen soll, wird wieder gestrichen.

    Auch in Freilassing kontrolliert die Polizei Autos.
    Auch in Freilassing kontrolliert die Polizei Autos. Foto: Florian Rußler

    Keiner weiß, ob sich das mit Blick auf die Situation an den Grenzübergängen in den nächsten Tagen wieder ändern wird. Vorerst aber kann sich Marina Lessig eine Verschnaufpause gönnen – oder etwa nicht? „Eher nicht“, sagt die Frau, die den unermüdlichen Einsatz der Ehrenamtlichen koordiniert. Schließlich habe sich die Lage auch in anderer Hinsicht gedreht. „Wir beobachten, dass viele Flüchtlinge, die schon hier sind, nicht in die vorbereiteten Unterkünfte gehen wollen, warum auch immer.“

    Würde bedeuten: Sie entziehen sich der organisierten Versorgung und versuchen sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Mittlerweile gebe es mehrere Orte, an denen sich Gruppen sammelten, erzählt Lessig. So hätten um die 100 bislang unregistrierte Flüchtlinge die Nacht zum Montag am Zentralen Omnibusbahnhof an der nahen Hackerbrücke verbracht. Baut sich da ein größeres Problem auf? Simon Hegewald, Sprecher der Bundespolizei, will nicht so weit gehen. Er spricht von „einigen Flüchtlingen“, die sich nicht registrieren lassen wollen, vor allem weil sie ein bestimmtes Reiseziel im Blick haben. Aber ein Problem? „Nein, wir haben hier außerordentlich geringe Probleme mit den Asylbewerbern.“

    Marina Lessig und ihr Team jedenfalls haben mit Fahrzeugen das Notwendigste wie Lebensmittel und Decken zur Hackerbrücke transportiert. Davon, sagt sie, sei weiterhin genügend vorhanden. „Die Spendenbereitschaft ist unverändert groß.“ Und sonst? „Mal sehen, wie das mit den Grenzkontrollen weitergeht“, sagt sie.

    Keine Grenzkontrollen im Allgäu

    „Welche Grenzkontrollen?“, fragen sich die Menschen im Allgäu. An den dortigen Übergängen zu Österreich gilt den gesamten Tag über tatsächlich freie Fahrt. Im Kreis Lindau heißt es hinter vorgehaltener Hand, dass die Zahl der Schleusungen von Flüchtlingen hier nahezu gegen null tendiere. Alle schauen nach Ober- und Niederbayern.

    Nur sieben Urlauber aus dem Rheinland hat es am Sonntagabend erwischt. Sie saßen gerade im Zug von Kempten nach Garmisch-Partenkirchen, als der Bahnverkehr zwischen Deutschland und Österreich kurzfristig eingestellt wurde. Auf dieser Verbindung führen die Gleise ein Stückchen durch Tirol. Aber Taxi. Die Freude der sieben Rheinländer hielt sich in Grenzen.

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